Putsch in Hamburg?

25.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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Landesmitgliederversammlung der Linksjugend-Solid in Hamburg endet mit einem Eklat. Politische Differenzen zwischen den zerstrittenen Fraktionen bleiben unklar. Versuch einer Rekonstruktion durch einen außenstehenden Reporter.

Chaotische Szenen in Hamburg: Am Sonntag hielt der Jugendverband der Linkspartei eine
Landesmitgliederversammlung in der Geschäftsstelle in Altona ab. Doch gleich zu Beginn dieser „LMV“ sollen Redebeiträge niedergebrüllt worden sein. Manche Teilnehmer*innen seien „stark alkoholisiert“ gewesen, „persönliche Einschüchterungsversuche“ habe es gegeben

Die Darstellung ist natürlich umstritten. Aber fest steht: Nach wenigen Minuten wurde eine Tagungsleitung gewählt und im Anschluss ein neues Führungsgremium (Landessprecher*innenrat, LSPR). Da hatten sich bereits die Mitglieder der „Basisgruppe West“ und des alten LSPR von der Tagung zurückgezogen. Am gleichen Abend erklären diese die LMV für „nichtig“.

Die Website des Landesverbandes ist seitdem aus dem Netz verschwunden, während auf konkurrierenden Facebook-Seiten heftig diskutiert wird. Einen Tag später erscheint eine Gegendarstellung von der anderen Seite, die sich als neuer LSPR bezeichnet.

Dies ist ein Versuch eines außenstehenden Reporters, die Geschehnisse zu rekonstruieren, durch Stellungnahmen, Gespräche mit Teilnehmer*innen und öffentlichen Kommentaren in sozialen Medien. Wir laden dazu ein, diesen Artikel zu in Form von Kommentaren zu ergänzen.

Was ist passiert?

Die politischen Differenzen zwischen den beiden Basisgruppen im Landesverband bleiben vollkommen unklar. Die „Basisgruppe West“ wird von der trotzkistischen Gruppe SAV politisch angeführt – aber längst nicht alle Mitglieder dort gehören zur SAV. Auch im bisherigen LSPR spielt die SAV eine wichtige Rolle.

Geschlossen zur Versammlung kam eine Gruppe von rund 30 Menschen – diese gehören zu „Solid Eastside“. Diese „Ossis“ sagen, es handelt sich größtenteils um junge Genoss*innen, „die erst vor wenigen Jahren oder Monaten ihre Mitgliedschaft aktiviert haben“, in den Worten von Jan Vahlenkampf aus der Gruppe. Die „Wessis“ dagegen bezweifeln, dass es sich mehrheitlich um aktive, beitragszahlende und stimmberechtigte Mitglieder des Jugendverbandes handelt.

Das konnte vor der Wahl des neuen LSPR nicht ermittelt werden, zumindest nicht in den Augen des alten LSPR. Fest steht allerdings, dass ein Sprecher der östlichen Gruppe, Bijan Tavassoli, in der Vergangenheit wegen fragwürdiger Wahlkampfmethoden aufgefallen ist: Bei der Wahl zum Referat für internationale Solidarität an der Universität Hamburg im Jahr 2014 wurde er vom Studierendenparlament gerügt, weil er vor dem Wahllokal Waffeln für seine Liste verschenkt hat.

Dass Mitglieder seiner Gruppe alkoholisiert waren, bestätigte Tavassoli indirekt am gleichen Abend in einem Facebook-Kommentar:

„Wenn ein Alkoholverbot selbstverständlich sein sollte (in einem Verband der die Legalisierung ALLER Drogen fordert), dann sollte der LSpR die Versammlung vielleicht nicht in einem Raum stattfinden lassen in dem Kistenweise Bier zur Selbstbedienung steht.“

Eine interessante Idee: Weil wir als Sozialist*innen die Abschaffung aller repressiven Gesetze zu Drogen fordern, sollten wir auf unseren Treffen permanent berauscht sein?

Vahlenkamp dagegen bestreitet das: Er habe lediglich ein Mitglied gesehen, das zu viel Restalkohol im Blut vom Vorabend hatte: „Es handelte sich um eine Mitgliederversammlung der Linksjugend Solid und nicht der APPD.“

Doch weder zu Drogen noch zu irgendwelchen anderen Themen gab es eine politische Aussprache. Stattdessen ging es sofort zur Wahl von Posten über. Nach weniger als zehn Minuten zogen sich die etwa zehn Leute von der Basisgruppe West und dem bisherigen LSPR zurück.

Der bisherigen Führung wird vorgeworfen, im letzten Jahr nicht professionell gearbeitet zu haben. Sie habe sich nicht an den Sitzungen des Landesvorstandes der Linkspartei beteiligt und sich genauso wenig um Finanzanträge und Presseanfragen gekümmert.

Nun gibt es in der Hamburger Linksjugend-Solid mehrere LSPR – wie Papst und Gegenpapst. Sehr wahrscheinlich steht nun eine Auseinandersetzung vor den Schiedsgerichten des Jugendverbandes an.

Die Fragen, vor denen ein linker, sozialistischer Jugendverband heute steht – die Antworten auf kapitalistische Krise, Militarismus und Rassismus –, werden jedoch mit kaum einem Wort erwähnt. Dieses komplett unpolitische Gerangel um Posten ist typisch für die Linksjugend-Solid, schon seit der Gründung des Verbandes.

Und warum passiert das?

Die Genoss*innen der SAV müssen sich einige Frage stellen: Die Linkspartei bekam bei den letzten Wahlen etwa dreieinhalb Millionen Stimmen und wurde damit zur größten Oppositionspartei im Bundestag. Doch sie hat – selbst bei einer großzügigen Zählung – nur einige hundert aktive Mitglieder, die man als „jung“ beschreiben könnte. Und selbst diese bestehen zu einem erheblichen Teil aus Bürokrat*innen oder offen reaktionären Proimperialist*innen (sogenannte „Antideutsche“).

Sollen Revolutionär*innen sich an diesem leblosen Jugendverband orientieren? Die Linkspartei verantwortet Abschiebungen und Sozialabbau, überall wo ihr die Möglichkeit dazu gegeben wird. Und deswegen zieht sie extrem wenige Jugendliche an, die an sozialistischer Politik interessiert sind. An vielen Orten müssen SAV-Mitglieder Solid-Basisgruppen selbst aufbauen, bevor sie in diesen arbeiten können. (Und dafür sind sie hasserfüllten Kampagnen seitens der Bürokratie ausgesetzt.) Unserer Meinung nach sind die Bedingungen für ein entristisches Projekt nicht ansatzweise gegeben – und erst recht nicht für einen Zeitraum von vielen Jahren.

Wir schlagen den Genoss*innen der SAV eine Diskussion darüber vor, wie wir einen starken revolutionär-sozialistischen Jugendverband in Deutschland aufbauen können. Unserer Meinung nach muss es unter Revolutionär*innen kontroverse, aber solidarische Diskussionen geben – doch „Pluralismus“ darf nicht so weit gehen, dass wir völlig perspektivlos unter der Führung eines reformistischen Apparates arbeiten und unsere Zeit mit „Mitgliederversammlungen“ dieser Art verschwenden.

Heißt das, den Verband kampflos den Bürokrat*innen zu überlassen? In unseren Augen gehört dieser Verband mit einem bisschen Kohle, aber fast keinen aktiven Mitgliedern, völlig zu Recht den Bürokrat*innen. Die Gründung des Bundesarbeitskreises Revolutionäre Linke in Linksjugend-Solid, die maßgeblich unter Führung der SAV zu Stande kam, begrüßen wir als Schritt der Differenzierung mit der Mutterpartei. Doch wie die Revolutionär-Kommunistische Jugend (in Gründung) in ihrer ersten Zeitung schrieb, kann ein revolutionärer Jugendverband nur in scharfer Abgrenzung zur und im unnachgiebigen Kampf gegen die reformistische Linkspartei entstehen.

Für eine solche Diskussion bieten wir diese Website an.

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