Putsch gegen Merkel?

09.02.2016, Lesezeit 8 Min.
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REGIERUNGSKRISE: Mit der neuesten Verschärfung des Asylrechts will die Große Koalition Geschlossenheit demonstrieren. Doch die Autorität der Kanzlerin ist weiter angeschlagen und die Regierungsrechte auf dem Vormarsch. Steht ein Putsch gegen Angela Merkel bevor?

Die Migrationskrise seit Mitte letzten Jahres ist die größte Krise, die Angela Merkel während ihrer zehnjährigen Kanzler*innenschaft überstehen musste. Zwar stellten sich schon in der Griechenland-Krise bekannte Figuren der CDU/CSU gegen den Kurs von Merkel. Letzten Endes konnte sich die Kanzlerin jedoch durchsetzen und sich dabei den Rückhalt aus anderen wichtigen Euroländern sichern. Diese internationale Rückendeckung existiert jetzt nicht mehr: Ein Land nach dem nächsten verschärft Grenzkontrollen und Asylgesetze, was sowohl die Autoritätskrise von Merkel verstärkt als auch den reaktionärsten Sektoren der Regierung Unterstützung gibt.

Innenpolitisch wirken zudem die Ereignisse der Kölner Silvesternacht als Katalysator einer Rechtsbewegung. Zwar wird schon seit Monaten nach immer mehr repressiven Gesetzen geschrien, doch die Debatte hat seit Jahresbeginn an ohrenbetäubender Radikalität gewonnen. Daran ändern auch die neuesten Angriffe der Regierung auf Geflüchtete nichts, wie die Verschärfung des Aufenthaltsrechts und die Maßnahmen des sogenannten „Asylpakets II“.

Erneute Gesetzesverschärfungen

Die neueste Verschärfung des Aufenthaltsrechts bedeutet letztendlich nichts anderes als eine menschenrechtswidrige Sonderbestrafung von Menschen ohne deutschen Pass. Selbst jede Bewährungsstrafe kann jetzt zur Ausweisung führen. Bei einer Haftstrafe von über einem Jahr wird der Person sogar das Attribut des „Geflüchteten“ aberkannt. Es wird also bald möglich sein, politisch Verfolgte oder Kriegsgeflüchtete aufgrund einer Straftat der Folter oder des Todes auszusetzen.

Das Asylpaket II beinhaltet unter anderem, den Familiennachzug für zwei Jahre für alle Geflüchteten auszusetzen, die „nicht unmittelbar persönlich verfolgt“ sind. Damit werden die Kinder und Familienmitglieder von geflüchteten Männern und Frauen, genauso wie die Eltern von geflüchteten Kindern, in Bürger*innenkriegsländern wie Syrien dem Tod ausgesetzt. Dazu werden Geflüchteten ab jetzt 10 Euro von den ohnehin schon geringen und sachbezogenen Leistungen abgezogen, um sie für eine „rasche Integration“ zur Kasse zu beten. Zudem werden Marokko, Tunesien und Algerien zu „sicheren Herkunftsländern“ umdeklariert. Selbst die Türkei, wo die Regierung einen blutigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt, oder das von imperialistischen Interventionen geplagte Mali stehen in der Diskussion, auch „sichere Herkunftsländer“ zu werden.

Bisher hatte sich die SPD dagegen gewehrt, den Familiennachzug für syrische Geflüchtete auszusetzen. Doch wie schon in der Debatte um die Transitzonen, die im Asylpaket II als „Aufnahmezentren“ enthalten sind, zeigt sich der flüchtige Charakter dieser „Opposition“. Die einzige Rolle der SPD in der Regierung ist es, die von der extremen Rechten geforderten Verschärfungen umzubenennen oder wenige Monate zu verzögern.

Die neuen Angriffe auf Grundrechte von Geflüchteten sollen die Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit einer zerstrittenen Koalition vermitteln. Tatsächlich waren sich CDU, CSU und die SPD immer darin einig, ihren menschenfeindlichen Kurs gegen die Refugees zu vertiefen. Merkel hatte diesen Konsens in ihrer Neujahrsansprache in der Formulierung ausgedrückt, „die Zahl der Flüchtlinge nachhaltig und dauerhaft spürbar zu verringern“.

Bricht die Koalition?

Doch in den ersten Wochen des neuen Jahres hat die Kritik an der Bundesregierung und besonders der Bundeskanzlerin vom rechten Flügel der CDU und der CSU eine neue Qualität gewonnen. Diese Tendenz nimmt auch mit den beiden beschlossenen Gesetzesverschärfungen nicht ab, sondern spitzt sich weiter zu.

Vor der Verabschiedung des „Asylpakets II“ hatte die FAZ geschrieben: „Die Kabinettsdisziplin innerhalb der Bundesregierung löst sich auf; Bundesminister streiten auf offener Bühne. Öffentlich attackieren sie die Kanzlerin. […] Nichts anderes als einen Kurswechsel grundsätzlicher Art verlangen die parteiinternen Kritiker von Merkel. Sie tun es mit immer größerer Vehemenz – mit offenen Briefen und mit Ultimaten. Sie sagen zwar, es gehe ihnen nur um die Sache, Merkel sei Kanzlerin und müsse es bleiben. In Wahrheit stellen sie die Führungsfähigkeit und die Autorität Merkels in Frage.“

Ein besonders extremes Beispiel für diese Kritik der Parteirechten sind die Vorstöße der CSU aus den letzten Wochen. Die bayrische Schwester der CDU fordert unter anderem die Registrierung aller Geflüchteten an der Grenze und die Rückweisung aller Geflüchteten ohne Pässe, die Wiederherstellung der „Grenzsicherheit“ und eine Obergrenze von 200.000 Geflüchteten im Jahr.

Sollte Merkel nicht schnell auf diese Forderungen eingehen, droht Seehofer mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. In der Geschichte der Bundesrepublik hat noch nie eine Koalitionspartei eine Verfassungsklage gegen die eigene Regierung eingereicht – die (Partei-)Rechte geht in die Offensive.

Angesichts dieser Töne sprach SPD-Fraktionsvorsitzender Oppermann von einer „Ankündigung des Koalitionsbruchs“ und fügte hinzu, dass die Koalition auch ohne die CSU regierungsfähig sei. Und tatsächlich ist die Sozialdemokratie weit von einem Koalitionsbruch entfernt. Ihre symbolische Opposition gegen die extremsten Vorschläge der CSU bleibt solange bestehen – bis sie zu Gesetzen werden. Damit wird die SPD zum Garanten einer Regierungskoalition, die für Kriegsinterventionen in Afrika und im Nahen Osten und eine reaktionäre Offensive gegen Geflüchtete steht. Dass ein Sturz Merkels trotz der größten Krise ihrer Kanzler*innenschaft ungewiss ist, liegt zum großen Teil auch daran, dass die SPD trotz aller pompöser Wortgefechte weitaus loyaler gegenüber Merkel ist als große Teile ihrer eigenen Partei.

Und noch ein weiterer Faktor erschwert einen Putsch gegen die Kanzlerin: Das „System Merkel“ hat in der CDU dafür gesorgt, dass es kaum ernstzunehmende innerparteiliche Kontrahent*innen zu Merkel gibt. Neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist der aktuell aussichtsreichste Kandidat für eine mögliche Merkel-Nachfolge wohl Wolfgang Schäuble – einer ihrer engsten Vertrauten.

Der rechte Rand auf dem Vormarsch

Dennoch: In dem Maße, in dem die Autorität von Merkel sinkt, wächst der Protagonismus der Politiker*innen des rechten Rands der CDU. Zuerst sammelten sie über 40 Unterschriften für einen Brief, in dem ein Kurswechsel in der Geflüchtetenpolitik gefordert wurde. Dann preschte die Kandidatin bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner (CDU), mit ihrem „Plan A2“ vor, der für nationale Maßnahmen zur Eindämmung der Migration eintritt. Die öffentliche Vorstellung eines Alternativplans ist ein Affront gegen die Kanzlerin, zumal er sich inhaltlich an den Forderungen anlehnt, die schon seit Monaten aus den bayrischen Alpen kommen.

Merkel wehrt sich nicht deshalb so vehement gegen die Ausweitung von Grenzkontrollen, weil sie weniger nationalistisch oder rassistisch als ihre Kritiker*innen wäre. Sie weiß jedoch, dass der Schengen-Raum im Falle einer Abkehr Deutschlands von diesem Abkommen verloren wäre. Die Europäische Union (EU) und Schengen waren für den deutschen Imperialismus wichtige Meilensteine auf dem Aufstieg zum europäischen Hegemon. Zudem können Grenzkontrollen die deutsche Wirtschaft, deren hauptsächlich innerhalb von Europa stattfindenden Exporte zu 60 Prozent auf dem Landweg transportiert werden, hart treffen. Deshalb verteidigt sie „europäische Lösungen“, auch wenn ihr Ziel dasselbe ist: Deutschland und Europa von den Problemen abzuschotten, die sie selbst erschufen.

Ein Gradmesser werden die bevorstehenden Landtagswahlen in drei Bundesländern sein: Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gewählt. Momentan steht die CDU in diesen Ländern zwar als stärkste Partei da. Die FAZ kommentierte entsprechend: „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Doch dass Merkel diesen Erfolg durch ihre Politik herbeigeführt haben könnte, glauben die Leute nicht im Ernst. Schlimm für Merkel würde es aber, wenn es SPD und Grünen in beiden Ländern gelänge, mit der FDP eine Koalitionsmehrheit zu zimmern. Eine Debatte würde losbrechen, die Kanzlerin trage die Verantwortung dafür, den sicher geglaubten Sieg verspielt zu haben. Dann würde ihr selbst ein Kurswechsel kaum noch helfen.“ Eine Niederlage der CDU würde den Autoritätsverlust, den die Kanzlerin in ihrer Partei gerade erlebt, nur noch verschärfen.

Welche Antwort auf die Regierungskrise?

Die aktuellen politischen Auseinandersetzungen in der großen Koalition machen deutlich, dass die Regierungskrise trotz der neuen Welle repressiver Gesetze noch lange nicht vorbei ist. In der Regierung drücken sich so zentrifugale Tendenzen aus, die für eine immer größere Instabilität sorgen. Verschärft sich die aktuelle Regierungskrise, ist es bis zu einer ernsthaften Krise des politischen Regimes – ausgelöst durch eine massive Polarisierung nach rechts – nicht mehr weit.

Die nächsten Monate werden für die (radikale) Linke sehr wichtig sein: Wenn sie es nicht schafft, sich in dieser schwelenden Regierungskrise mit klaren Antworten massenwirksam zu positionieren, werden sich die bisherigen Rechtstendenzen multiplizieren.

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