Putsch gegen Merkel?
Fast 50 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag unterschreiben einen Brandbrief an die Kanzlerin. Die CSU droht gar mit einer Verfassungsklage gegen die Bundesregierung. Steht ein parteiinterner Putsch gegen Angela Merkel bevor?
Die Migrationskrise seit Mitte letzten Jahres ist die größte Krise, die Angela Merkel während ihrer zehnjährigen Kanzlerinnenschaft überstehen musste. Nicht einmal die Eurokrise hat die politischen Fundamente des Schengenraums und der Europäischen Union bisher so sehr ins Wanken gebracht. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf den europäischen Hegemon.
Denn die Ereignisse der Kölner Silvesternacht wirken aktuell als Katalysator einer Rechtsbewegung in der Bundesrepublik, die sich in einer immer schärferen Kritik an der angeblichen „Willkommenskultur“ der Bundeskanzlerin Bahn bricht. Diese Debatte ist nicht neu – der CDU-Parteitag im Dezember zeigte die Bruchlinien klar auf. Doch im Dezember war es Merkel noch gelungen, die Union ruhigzustellen. Köln hat die Kritiker*innen lauter werden lassen. Der schon beschlossene Rechtskurs geht ihnen dabei nicht weit genug: in der aktuellen Diskussion um das „Asylpaket II“ stehen beispielsweise sogar Abschiebungen selbst im Krankheitsfall (!) sowie ein Bundeswehreinsatz im Inneren zur Debatte.
Eine neue Qualität?
Das Spiel ist bekannt: Die Bundeskanzlerin gibt sich „humanitär“, die Gesetzeslage und die Repression verschärfen sich trotzdem, und die Kritiker*innen vom rechten Rand krakeelen nach noch härterem Durchgreifen. Dann wundern sich alle, warum die Alternative für Deutschland (AfD) in den Umfragen immer größeren Zuwachs bekommt. Diese ist inzwischen drittstärkste Partei, laut Umfragen liegt sie sogar bei über 12 Prozent.
Doch es wäre verfehlt, so zu tun, als sei alles beim Alten. Die Kritik von rechts an der Bundesregierung und besonders an Angela Merkel wird immer stärker. In der Geschichte der Bundesrepublik hat noch nie eine Koalitionspartei eine Verfassungsklage gegen die eigene Regierung eingereicht – damit droht jedoch gerade die CSU. Am Dienstag erreichte Merkel ein Brief von knapp 50 Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hinter dem aber bis zu einem Drittel der Unions-Parlamentarier*innen stehen sollen. Darin forderten sie Merkel zu einem „Kurswechsel“ auf. Zwar gab es auch einen anderen Brief, unterschrieben von etwa 40 Abgeordneten, der Merkel Rückendeckung versprach; doch das ändert nichts daran, dass die (Partei-)Rechte in die Offensive geht.
Für die FAZ ist klar: „Die Kabinettsdisziplin innerhalb der Bundesregierung löst sich auf; Bundesminister streiten auf offener Bühne. Öffentlich attackieren sie die Kanzlerin. […] Nichts anderes als einen Kurswechsel grundsätzlicher Art verlangen die parteiinternen Kritiker von Merkel. Sie tun es mit immer größerer Vehemenz – mit offenen Briefen und mit Ultimaten. Sie sagen zwar, es gehe ihnen nur um die Sache, Merkel sei Kanzlerin und müsse es bleiben. In Wahrheit stellen sie die Führungsfähigkeit und die Autorität Merkels in Frage.“
Das Anfang vom Ende?
Und doch, ein Machtwechsel ist ungewiss. Das liegt vor allem daran, dass das „System Merkel“ in der CDU dafür gesorgt hat, dass es kaum ernstzunehmende innerparteiliche Kontrahent*innen zu Merkel gibt. Der aktuell aussichtsreichste Kandidat neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für eine mögliche Merkel-Nachfolge ist wohl Wolfgang Schäuble – einer ihrer engsten Vertrauten.
Die Kritiker*innen in der Union machen jedoch nicht ohne Grund gerade jetzt verstärkt Druck auf Merkel. Zum Einen erschuf – oder besser gesagt: verstärkte – die Debatte um die Kölner Silvesternacht ein gesellschaftliches Klima, in dem ein Diskurs über hartes Durchgreifen gegen „kriminelle Ausländer“ mehrheitsfähig ist. Sogar Sahra Wagenknecht von der Linkspartei forderte den Entzug des „Gastrechts“ bei Übertretung des Gesetzes. Um sich zu profilieren, will niemand als zu „weich“, zu „nachlässig“ gelten. Die Rechtsaußen der Parteien sehen hier ihre Chance.
Brisante Zeiten stehen bevor
Zum Anderen stehen im März in drei Bundesländern Landtagswahlen bevor: Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gewählt. Momentan steht die CDU in diesen Ländern zwar als stärkste Partei da. In alle drei Parlamente wird aber wahrscheinlich auch die AfD einziehen. Die Union hat damit möglicherweise die Chance auf einen Regierungswechsel sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz. Die FAZ kommentierte entsprechend: „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Doch dass Merkel diesen Erfolg durch ihre Politik herbeigeführt haben könnte, glauben die Leute nicht im Ernst. Schlimm für Merkel würde es aber, wenn es SPD und Grünen in beiden Ländern gelänge, mit der FDP eine Koalitionsmehrheit zu zimmern. Eine Debatte würde losbrechen, die Kanzlerin trage die Verantwortung dafür, den sicher geglaubten Sieg verspielt zu haben. Dann würde ihr selbst ein Kurswechsel kaum noch helfen.“
Es mag überzogen scheinen, das Schicksal Merkels an drei Landtagswahlen festmachen zu wollen. Doch eindeutig sind diese Wahlen Gradmesser für eine gesellschaftliche Stimmung – auch an der Parteibasis. Eine Niederlage der CDU würde den Autoritätsverlust, den die Kanzlerin in ihrer Partei gerade erlebt, nur noch verschärfen.
Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Der Putsch ist noch nicht in Sicht. Doch die Parteirechte formiert sich. In der Regierung drücken sich so zentrifugale Tendenzen aus, die für eine immer größere Instabilität sorgen. Verschärft sich die aktuelle Regierungskrise, ist es bis zu einer ernsthaften Krise des politischen Regimes – ausgelöst durch eine massive Polarisierung nach rechts – nicht mehr weit. Die nächsten Monate werden für die (radikale) Linke sehr wichtig sein: Wenn sie es nicht schafft, sich in dieser schwelenden Regierungskrise mit klaren Antworten massenwirksam zu positionieren, werden sich die bisherigen Rechtstendenzen multiplizieren.