Der feministische Kampf und die Falle des Punitivismus
Können mehr Strafen patriarchale Gewalt verhindern? Was passiert, wenn wir dem Staat mehr Befugnisse geben? In diesem Artikel geht Josefina Martinez diesen Fragen auf die Spur und zeigt auf, wie wir als revolutionäre Marxist:innen gegen die verschiedenen Auswüchse des Patriarchats kämpfen können.
Die letzten Jahre waren in mehreren Ländern durch das Aufkommen massiver feministischer Bewegungen gekennzeichnet. Es kam zu feministischen Streiks, in denen patriarchale Gewalt angeprangert und reproduktive Rechte gefordert wurden. Das alles eröffnete die Debatte über reproduktive Arbeit im Haushalt, die Feminisierung der Armut oder die Überschneidungen zwischen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus. Die Pandemie hat gezeigt, dass die prekärsten Arbeiterinnen ebenso wie ihre männlichen Kollegen von essentieller Bedeutung sind. Die Bewegung der Frauen und Queers war Ausdruck eines tiefgreifenden Bewusstseinswandels, vor allem unter jungen Menschen. Doch als Reaktion auf diese Dynamik sind reaktionäre patriarchale, rechtsfeindliche und transfeindliche Strömungen wieder aufgetaucht, während wir in jüngster Zeit in mehreren Ländern eine erhebliche Institutionalisierung und Passivierung der Bewegungen erlebt haben – Prozesse, in denen Bürokratien und reformistische Parteien eine Schlüsselrolle gespielt haben.
Von #MeToo über die Bewegung Ni Una Menos in Argentinien oder Italien bis hin zu #SeAcabó der spanischen Fußballspielerinnen lag der Schwerpunkt auf der geschlechtsspezifischen Gewalt und der Bekämpfung dieser Gewalt, indem Feminizide und die zahlreichen sexualisierten Übergriffe am Arbeitsplatz und in anderen sozialen Sphären angeprangert wurden. Die Frauenbewegung hat die Naturalisierung dieser Aggressionen und Missbräuche angefochten, was ein großer Schritt nach vorne ist. Als es jedoch darum ging, Kampfstrategien, Ziele und politische Programme zu artikulieren, traten innerhalb des Feminismus tiefe Meinungsverschiedenheiten zutage. Während in den ersten Jahren dieser neuen feministischen Welle die Strömungen des radikalen Feminismus, die separatistische und manchmal essentialistische Auffassungen vertraten, ziemlich hegemonial waren, wurden in letzter Zeit in der Linken Stimmen laut, die das in Frage stellten, was man als eine Abkehr vom strafenden Feminismus bezeichnen könnte. In diesem Artikel bieten wir einen Überblick über einige dieser Kritikpunkte, um dann die Ansichten und das Programm eines sozialistischen Feminismus zu diesem Thema zu vertiefen.
Kritik am strafenden Feminismus
Der strafende Feminismus (im Folgenden auch Punitivismus/ punitivistischer Feminismus) ist der Ansicht, dass Strafen in Form von härteren Gefängnisstrafen oder der Kriminalisierung einer größeren Anzahl von Vergehen geschlechtsspezifischer Gewalt, eine Lösung für diese Gewalt darstellen können. Mehrere Autor:innen wie Françoise Vergès und Tamar Pitch sprechen daher von einer „strafenden Wende“ des Feminismus, die sie anhand verschiedener Argumente in Frage stellen. Im Folgenden werden die wichtigsten davon behandelt.
I. Der Punitivismus als Komplize des Neoliberalismus
Strafende Tendenzen, sogar über den Feminismus hinaus, ergänzen sehr gut einen gewissen neoliberalen Common Sense: die Vorstellung, dass die Gesellschaft eine Summe von Individuen ist und dass der erlittene Schaden ebenso eine individuelle Angelegenheit ist. Als ob es keine strukturellen Bedingungen gäbe, die die Unterdrückung auf kollektiver Ebene immer wieder neu hervorbringen. Wenn die Verantwortlichkeiten individuell sind, dann ist das „Heilmittel“ die individuelle Bestrafung.
Während die neoliberale Offensive die Prekarität, Armut und Diskriminierung großer Teile der Bevölkerung und der Arbeiter:innen verstärkt hat, war die bevorzugte Antwort des Staates die Kriminalisierung. Dies bedeutete eine strafende Wende in Form von „Sicherheitskampagnen“. Wendy Brown betont in ihrem Buch „States of Injury“ in diesem Zusammenhang die dem Staat übertragene Macht, Schaden und Strafe zu kontrollieren und zu erlassen, als ob er eine neutrale Institution wäre. So wird, „anstatt als Symptom eines tiefen politischen Leids in einer Kultur zu erscheinen, die Schädigung als vorsätzlich und individuell dargestellt, die Politik auf die Bestrafung reduziert“.
Das Abgleiten des Feminismus in den Punitivismus kann nicht losgelöst von diesen Tendenzen verstanden werden, mit denen es eng verbunden ist. Es ist kein Zufall, dass die Feminist:innen, die am stärksten für härtere Strafen als fast ausschließliche Lösung für geschlechtsspezifische Gewalt eintraten, ab den 1980er Jahren in den USA an Einfluss gewannen. Teile des sogenannten nordamerikanischen „Kulturfeminismus“ konvertierten zu einem „Strafgesetzbuchfeminismus“, strebten ein strafrechtliches Verbot von Prostitution und Pornografie an und forderten härtere Strafen für sexualisierte Übergriffe. Einige dieser konservativen Feministinnen verbündeten sich schließlich sogar direkt mit der amerikanischen Alt-Right, um Änderungen in den Strafgesetzbüchern durchzusetzen.
Nancy Fraser wies damals darauf hin, dass der liberale Feminismus ein Komplize des Neoliberalismus sei und die transformative Kraft der feministischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre entwaffne. Der Punitivismus war in diesem Sinne Komplize des Aufstiegs des Neoliberalismus.
II. Punitivismus als Gefängnis-Feminismus
Eine der ersten Kritiken am Punitivismus kam vom Schwarzen und antirassistischen Feminismus. Angela Davis beispielsweise entwickelte eine Kritik des Gefängnissystems als ein vom Staat und von kapitalistischen Großunternehmen geschaffenes Regime zur Kriminalisierung, Inhaftierung und Disziplinierung der armen und nicht-weißen Bevölkerung. Der Anstieg der Inhaftierungen im zeitgenössischen Kapitalismus ist eindeutig durch klassenspezifische, rassistische und geschlechtsspezifische Diskriminierungen gekennzeichnet. Gefängnisse verstärken den Kreislauf von Ausbeutung, Rassismus und Ausplünderung, um die Gewalt der Inhaftierung, die eine Form der Folter ist, durchzusetzen.
Kürzlich haben viele antirassistische Autor:innen die Kritik am Gefängnis-Feminismus aufgegriffen. Françoise Vergès stellt in ihrem Buch „Eine feministische Theorie der Gewalt“ die Frage nach der Komplizenschaft dieser Art von Feminismus mit dem rassistischen Kolonialismus Frankreichs. Gleichzeitig haben andere Autor:innen darauf hingewiesen, dass das Gefängnissystem wie eine Art Maschine funktioniert, die neue Aggressionen produziert. Rita Segato betonte beispielsweise, dass mehr Gefängnisse das Problem nicht lösen und dass „das Gefängnis eine wahre Schule der Vergewaltigung ist“. Diese Autorin erklärte auch, dass keine der Gesetzesänderungen, mit denen die Gesetze repressiver gestaltet werden sollten, zu einer Verringerung der geschlechtsspezifischen Gewalt geführt hat und dass diese Logik darauf hinauslaufen würde, „ein Symptom beseitigen zu wollen, ohne die Krankheit zu beseitigen“.
Als sozialistische Feminist:innen stellen wir das Gefängnissystem, ein System von Klassengewalt und rassistischer Gewalt, ausgehend von einer Kritik des Klassencharakters des Staates in Frage. In diesem Sinne argumentieren wir, dass es widersprüchlich ist, die patriarchale Unterdrückung bekämpfen zu wollen, indem man repressiven Institutionen mehr Macht verleiht.
III. Der Punitivismus, die Logik der individuellen Bestrafung, umgeht die Infragestellung des Patriarchats und des Kapitalismus
Die Logik der strafrechtlichen Sanktionierung berücksichtigt nicht, dass das, was bestraft wird, das „Symptom einer Krankheit“ ist, wie Segato es ausdrückt. Diese Logik funktioniert, wie die der Bestrafung, durch ein Exempel, sobald die Tat geschehen ist. Und diese Bestrafungslogik ist expansiv, indem sie weitere Vergehen in neue Straftaten umwandelt. Beispielsweise enthält das jüngste spanische Gesetz (das sogenannte „Solo si es si“, „Nur ein Ja ist ein Ja“) eine Maßnahme, die „Straßenbelästigung“ unter Strafe stellt, das heißt sexistische Äußerungen oder Beleidigungen in der Öffentlichkeit. Mit anderen Worten: Die Logik der Bestrafung und der juristischen und polizeilichen Intervention wird auf immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt.
Kann das dem Kampf gegen die Unterdrückung der Frau dienen? Ganz im Gegenteil. Deshalb haben wir in Spanien diesen Aspekt des vom Gleichstellungsministerium von Podemos geförderten Gesetzes sehr in Frage gestellt. Denn diese Art der Kriminalisierung legitimiert eine erhöhte Polizeipräsenz auf den Straßen, wobei solche Beschwerden in den meisten Fällen genutzt werden, um gegen die migrantische Bevölkerung vorzugehen. Die Logik von Verbrechen und Bestrafung verschleiert die strukturellen Zusammenhänge, die hinter den individuellen Aggressionen stehen. Sie verhindert, dass der Fokus dort liegt, wo er notwendig ist, wenn wir kollektive Kämpfe aufbauen wollen.
IV. Der Punitivismus und die Figur des Opfers als Identität
Mehrere Autor:innen haben argumentiert, dass die strafrechtliche Sanktionierung auf einem Zweigespann von Täter und Opfer beruhe. Und während einige essentialistische Feminismen alle Männer als potenzielle Aggressoren betrachten, werden gleichzeitig alle Frauen zur Position des ewigen Opfers verurteilt. Die Folgen sind vielfältig. Einerseits werden Frauen als verletzliche Subjekte betrachtet, die geschützt werden müssen, und zwar vom Staat und von den Strafverfolgungsbehörden. Wie Feminist:innen, die sich mit den Mechanismen des „Zivilisationsfeminismus“ oder des „imperialen Feminismus“ auseinandersetzen, angeprangert haben, handelt es sich hierbei um eine ähnliche Funktionsweise wie bei den imperialistischen Staaten, die sich als „Beschützer“ der Frauen in ihren ehemaligen Kolonien oder im sogenannten globalen Süden darstellen. Nun hat die Konstruktion dieser Figur der Frau als Opfer, der nur geholfen oder die nur beschützt werden kann, dazu gedient, imperialistische „humanitäre“ Interventionen und sogar Kriege zu rechtfertigen.
Auf ähnliche Weise betonen mehrere Autor:innen, dass die Hegemonie eines strafenden Feminismus den Status des Opfers in eine Art Identität verwandelt. Insofern die Opfer aus der Erfahrung ihres Schmerzes heraus sprechen, würde dies diesem Sprechen, das von einem erlittenen Schaden ausgeht, einen ontologisch höheren Charakter als jedem anderen Sprechen verleihen. Dies führt zu identitätsbezogenen oder separatistischen Positionen, bei denen dem eigenen Schmerz, der eigenen Erfahrung, Vorrang vor anderen eingeräumt wird. Dies macht zwar das Anprangern von Benachteiligungen, die oft naturalisiert werden, sichtbar, kann aber auch zu einer Logik des Wettbewerbs zwischen den unterdrückten Sektoren, zu ihrer weiteren Fragmentierung führen, auf Kosten ihrer Verbindung und Vereinheitlichung.
Tatsächlich wurde der Schmerz der Opfer von der Rechten oft ausgenutzt, um die Todesstrafe oder härtere Strafen zu fordern. Diese Art der Diskursführung ist auch häufig gegenüber medienwirksamen Fällen von „Unsicherheit“ in lateinamerikanischen Ländern zu beobachten, wie zum Beispiel Raubüberfälle mit Körperverletzung oder Tod, die von der Rechten genutzt werden, um mehr Polizei auf den Straßen durchzusetzen. Diese Vorrangstellung der Opferfigur im Strafdiskurs hat für Frauen noch schädlichere Folgen, da sie Maßstäbe dafür setzt, was es bedeutet, ein „gutes Opfer“ zu sein. Am Ende wird häufig gegen Frauen ermittelt, um zu überprüfen, ob sie diese Bedingungen erfüllen, zum Beispiel die Anordnung, zu leiden und sein Leben nicht fortzusetzen. Diese Viktimisierung, die einen identitätsähnlichen Status annimmt, infantilisiert die Frauen und nimmt ihnen jede Handlungsmacht und kollektive Reaktionskraft.
V. Punitivistischer Druck und sexuelle Panik
Laura Macaya Andrés geht auf die Ausweitung der Verwendung des Begriffs „geschlechtsspezifische Gewalt“ auf verschiedene Arten von machistischen Handlungen und Verhaltensweisen unter dem Einfluss des punitivistischen Drucks ein. Sie betont: „Diese extensive Verwendung des Gewaltbegriffs hat nicht nur andere Ausdrucksformen der Ungleichheit gegenüber Frauen verdrängt, sondern auch dazu geführt, dass Handlungen zur Reproduktion von Sexismus, unangenehme sexistische Verhaltensweisen und sogar unerwünschte sexuelle Annäherungen, Blicke oder Angebote als Gewalt bezeichnet werden.“ Mit anderen Worten: Machistische Verhaltensweisen, die unangenehm sein können und die wir natürlich bekämpfen, werden unter dem punitivistischen Druck mit anderen, schwerwiegenderen sexualisierten Gewalttaten gleichgesetzt, als ob es sich um die gleiche Sache handeln würde.
Nuria Alabao weist zu Recht darauf hin, dass solche Vorstellungen letztlich einen „sexuellen Terror“ erzeugen, da die Sexualität von Frauen mit der Möglichkeit eines sexualisierten Übergriffs in Verbindung gebracht wird, als ob das eine immer das Risiko des anderen implizieren würde. Diese Sichtweisen ähneln dem radikalen Feminismus, der die Unterdrückung der Frauen auf der Grundlage der Sexualität in essentialistischer Weise theoretisiert. In dieser binären Sicht der Sexualität werden alle Männer als potenzielle Aggressoren und Vergewaltiger und alle Frauen als ewige Opfer konzipiert. In diesem Sinne nähert sich Susan Watkins‘ Kritik an der Arbeit der Feministin Catharine MacKinnon dem, was Andrea D’Atri und Matías Maiello an anderer Stelle entwickeln.
Für MacKinnon ist Sexualität die Gelenkachse der patriarchalen Gesellschaft. Es handele sich um eine absolute Unterdrückungsbeziehung und „Vergewaltigung, Inzest, Missbrauch, sexuelle Belästigung, Abtreibung, Prostitution und Pornografie“ seien ein Kontinuum dieses Herrschaftsverhältnisses. Für MacKinnon ist das heterosexuelle sexuelle Verlangen nichts anderes als die Erotisierung von Herrschaft und die wichtigste feministische Aufgabe wäre es, nach einer Rechtsprechung zu suchen, die den aggressiven männlichen Trieb bestraft. Nach Ansicht der Autorin sollten Feministinnen für das Verbot von Pornografie im Rahmen der Gesetze zur sexuellen Diskriminierung und für die Kriminalisierung von Prostitution sowie für die Erhöhung der Strafen für sexualisierte Übergriffe im Strafgesetzbuch kämpfen.
Eine weitere Vertreterin dieser Art von Feminismus ist Andrea Dworkin, eine radikale amerikanische Feministin, die in den 1980er Jahren die Kampagne für ein Verbot von Pornografie initiierte. Für sie stellt die männliche Sexualität „die Substanz des Tötens, nicht der Liebe“ dar. Sie behauptet, dass „Vergewaltigung das Hauptmodell der heterosexuellen Sexualität ist“, wobei sie Geschlechtsverkehr mit Vergewaltigung gleichsetzt. Für Dworkin sind Männer, die Pornografie konsumieren oder einen sexistischen Witz erzählen, und selbst diejenigen, die diese Verhaltensweisen gutheißen, alle „Feinde der Frauen und in das Verbrechen der Vergewaltigung verwickelt“. Für diese Strömungen, die wir als konservative Feminismen bezeichnen, ist der Kampf für die sexuelle Befreiung schädlich für Frauen.
Die Debatte über Sexualität ist seit ihren Anfängen Teil der feministischen Bewegung und stellt diejenigen unter uns, die sich dem Kampf für die sexuelle Befreiung verschrieben haben, gegen Strömungen, die eine stärkere soziale Regulierung der weiblichen Sexualität anstreben. „Pleasure and Danger. Exploring female sexuality“, ein Text von Carol Vance, der vor 35 Jahren veröffentlicht wurde, ist zu einem Klassiker der Debatte geworden. Vance argumentiert darin: „Im Leben von Frauen ist die Spannung zwischen sexueller Gefahr und sexueller Lust sehr stark. Sexualität ist sowohl ein Terrain des Zwangs, der Unterdrückung und der Gefahr als auch ein Terrain der Erkundung, des Vergnügens und der Handlungsfähigkeit [agency]. Wer sich nur auf Lust und Befriedigung konzentriert, übersieht die patriarchale Struktur, in der Frauen leben; wer jedoch nur von sexueller Gewalt und Unterdrückung spricht, übersieht die Erfahrungen der Frauen mit ihrer Handlungsfähigkeit [agency] und ihren sexuellen Wahlmöglichkeiten und verstärkt unbeabsichtigt den sexuellen Terror und die sexuelle Verwirrung, die Frauen erleben“.
VI. Der punitivistische Diskurs in den Bewegungen
Im Zusammenhang mit dem oben Gesagten warnen mehrere Autor:innen vor der „Reproduktion der Kultur der Bestrafung“ in sozialen Bewegungen. Virginia Cano wendet sich gegen die Ausbreitung der Straflogik und das „Überschwappen der Strafrechtssprache“ in aktivistische Räume.1 Sie betrachtet die Logik der Call-outs als eine Praxis, die Spaltungen, Zersplitterung und Isolation sowie die Individualisierung von Verantwortlichkeiten fördert. Ein Thema, das auch von Andrea D’Atri angesprochen wird, die betont, dass es für geschlechtsspezifische Gewalt keine „individuelle Lösung gibt, weder durch strafende Mittel noch durch die Wege der persönlichen Rache“. Wir müssen also „eine Allianz mit unseren männlichen Genossen schmieden, um gemeinsam dem Machismus entgegenzutreten und nicht nur gegen das System zu kämpfen, das ihn legitimiert und reproduziert, sondern auch gegen die Männer, die die abartigste Gewalt gegen Frauen begehen“.
Es ist eine Tatsache, dass in vielen feministischen Organisationen, in der Studierendenbewegung und sogar in den Gewerkschaften die Logik des Punitivismus den Umgang mit machistischen Beziehungen und Verhaltensweisen durchdrungen hat. Laut Laura Macaya entwickeln viele Bewegungen „mit dem Anspruch auf Selbstverwaltung von Konflikten, Strategien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt wie Ausschluss, Erpressung von Geständnissen, um die Anerkennung als Täter zu erzwingen oder öffentliche Anschuldigungen ohne Beweise“. Strategien, die nicht nur das Problem nicht lösen, sondern häufig eine Stigmatisierung des Täters beinhalten, (als ob eine Person mit machistischem Verhalten immer ein potenzieller Täter wäre), sowie eine „Verurteilung“ ohne Verteidigungsmöglichkeit, mit oft unverhältnismäßigen „Bestrafungs“-Aktionen. Es herrscht auch die Vorstellung, dass „alles Missbrauch ist“, ohne die Proportionen, den Kontext und die Besonderheiten jeder Situation zu berücksichtigen. Und vor allem liegt der Schwerpunkt auf der Individualisierung statt auf einer kollektiven Lösung.
Um diese Argumentationskette zusammenzufassen: Die Logik des Punitivismus stärkt die Macht des Staates und seiner repressiven Kräfte, während sie Frauen als individuelle Opfer sieht und nicht als kollektive Subjekte, die für die Veränderung der strukturellen Verhältnisse des Patriarchats, des Kapitalismus, des Rassismus und der Prekarität kämpfen und sich einsetzen können. Diejenigen von uns, die Emanzipation anstreben, sind hingegen der Ansicht, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn wir eine Vereinigung und Verknüpfung aller unterdrückten Bereiche erreichen, und nicht ihre Zersplitterung.
Wenn alle Männer potentielle Angreifer wären, wenn dies eine absolute Wahrheit wäre, wie radikale feministische Strömungen behaupten, dann müsste man in gleicher Weise davon ausgehen, dass alle Weißen Rassist:innen sind oder alle Arbeiter:innen ihr Leben lang durch Lohnarbeit ausgebeutet werden müssen, und es gäbe keine Möglichkeit, gegen dieses System der Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen. Es bliebe nur die Konfrontation zwischen den verschiedenen unterdrückten Sektoren. Aus der Perspektive des revolutionären Marxismus, den wir für uns beanspruchen, argumentieren wir, dass dieses System zwar unterdrückende und unterdrückte Subjektivitäten schafft. Und gleichzeitig aber auch die Bedingungen für eine Revolte gegen diese Bedingungen, für das Entstehen von Bewegungen, die Unterdrückung in Frage stellen, für Mobilisierungen und Revolutionen schafft.
Die Fallstricke des institutionellen Feminismus
Mit der Institutionalisierung der Frauenbewegungen haben wir in mehreren Ländern, von Spanien über Mexiko bis hin zu Chile und Argentinien, die Entwicklung des institutionellen Feminismus oder „Ministerienfeminismus“ erlebt. Im spanischen Staat war die Verabschiedung des Gesetzes „Solo si es si“ problematisch, da dieser strafende Rahmen der Debatte die Rechte und die extreme Rechte dazu ermutigt hat, insgesamt noch härtere Strafen zu fordern. Andererseits hat es die Strafbarkeit ausgeweitet, wie wir gezeigt haben. Was die Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen angeht, so waren diese zudem sehr einseitig und seit Beginn des Jahres ist die Zahl der Frauenmorde nur weiter gestiegen.
Und das ist einer der wesentlichen Aspekte unserer Ausführungen. Denn da die Logik des Punitivismus für uns keine Perspektive darstellt, schlagen wir ein anderes Programm zur Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt vor, in dem der Schwerpunkt auf dem Kampf gegen die Bedingungen liegen muss, die zur Reproduktion dieser Gewalt im patriarchalischen Kapitalismus führen. Von unserem internationalen Kollektiv Pan y Rosas (Brot und Rosen) aus kämpfen wir für eine deutliche Erhöhung der Budgets für die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie für die Einrichtung von Frauenhäusern ohne polizeiliche oder gerichtliche Präsenz. Wir fordern, dass keine Strafanzeige erstattet werden muss, um finanzielle oder psychologische Unterstützung zu erhalten, sowie die Einführung umfassender Sexualaufklärungsprogramme auf allen Bildungsebenen. Wir kämpfen für die Trennung von Kirche und Staat, da es sich bei der Kirche um eine reaktionäre Institution handelt, die Unterdrückung, Machismus und Queerfeindlichkeit reproduziert.
Die Bildung von Kommissionen von Frauen und Queers an ihren Arbeits- und Studienorten ist Teil unseres Kampfes für die Selbstorganisation als Arbeiter:innen und Studierendenbewegung. Diese Selbstorganisierung bedeutet die Infragestellung des Regimes von Ausbeutung, Prekarität, Rassismus und Machismus, welches das Leben von Millionen von Frauen auf der ganzen Welt bestimmt. Dafür ist es, wie wir bereits betont haben, von grundlegender Bedeutung für die Einheit der Bewegungen der Frauen und Queers, mit der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen. Und dafür zu kämpfen, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen aktiv aufgreifen und feministische Streiks unterstützen. Das bedeutet auch, sich mit den Gewerkschaftsbürokratien und den Bürokratien der Bewegungen selbst auseinanderzusetzen, die die feministischen Kämpfe als getrennte Territorien aufrechterhalten.
Wir betrachten den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt als Teil eines Kampfes gegen die vielfältigen Formen der Gewalt, die von diesem System der Ausbeutung und Unterdrückung hervorgebracht werden. Deshalb treten wir für einen klassenkämpferischen, anti-punitivistischen, antikapitalistischen und sozialistischen Feminismus ein.
Dieser Artikel, der auf einem Vortrag bei der Sommeruniversität unserer Schwesterorganisation Révolution Permanente basiert, erschien zuerst am 27. September 2023 auf Französisch bei revolutionpermanente.fr.
Fußnoten
- 1. Virginia Cano: Afecciones punitivas e imaginación política. Desbordes de la lengua penal [Strafende Affekte und politische Phantasie. Auswüchse der strafrechtlichen Sprache], in: Deborah Daich und Decilia Varela (Hg.): Los feminismos en la encrucijada del punitivismo [Feminismen am Scheideweg des Punitivismus], Biblos, Buenos Aires 2021.