Psychische Krankheit und Organisierung sind kein Widerspruch!

22.09.2022, Lesezeit 3 Min.
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Foto: Ayrin

Ich kämpfe mit psychischen Problemen und bin politisch organisiert. Für mich schließt sich das nicht aus, sondern ist vielmehr ein notwendiger und stärkender Umgang damit.

Wer mich persönlich kennt, weiß, dass ich mit psychischen Problemen kämpfe – Depressionen und Angststörung. Und auch, dass ich politisch organisiert bin, was Zeit und Kapazitäten in Anspruch nimmt.

Für mich ist das kein Widerspruch, viel eher der logische und notwendige Umgang mit meinen Problemen. Denn meine Probleme kommen nicht von irgendwo her und sind nicht komplett individuell, sondern auch ein Resultat der materiellen Bedingungen dieses ausbeuterischen Systems.

Ich bin seit fast 4 Jahren in Therapie. Es hilft bei Vielem, aber es ist nicht die Lösung. Meine Therapeutin kann mir nicht die Angst davor nehmen, dass dieses System unseren Planeten aus Profitgier zerstört. Sie kann mich nicht in Sachen Lohnarbeit entlasten – weder die materielle Lage besser machen, die durch die Inflation noch schlimmer geworden ist, noch die belastenden Dinge, die ich als Sozialarbeiterin in diesem System mitbekomme und die so oft direkt aus diesem System hervorgehen, verschwinden lassen.

Es belastet mich zu sehen: Dass wegen bürokratischer Hürden Menschen weiter auf der Straße leben müssen, sogar während es freie Plätze in Unterkünften gibt, und viele Wohnungen leer stehen. Dass Menschen abgeschoben werden. Dass mir 14-Jährige von Suizidgedanken erzählen, weil sie durch die Profitlogik im Umgang mit der Pandemie alleine gelassen werden, und das nicht aushalten können. Dass sie in Armut aufwachsen. Dass das Schulsystem so kaputtgespart ist, dass es an allen Stellen versagt.

Das sind alles Probleme, die aus diesem System hervorgehen und für die meine Therapeutin keine Lösung hat. Und genau hier liegt die Verbindung zum Organisiert-Sein: Zu erkennen, dass die Probleme, die ich habe, die ich sehe, und die mich belasten, durch dieses System mitverursacht sind. Zu wissen, dass das kein individuelles Versagen ist, gibt Kraft. Gemeinsam mit Anderen auf der ganzen Welt organisiert zu sein und diesem System den Kampf anzusagen, gibt ein Gefühl der Hoffnung und Kraft, das mir keine Therapie je geben könnte.

Ich war schon in Therapie, bevor ich organisiert war, und es hat geholfen. Aber seit ich organisiert bin, mache ich Sprünge, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Das heißt nicht, dass die Organisierung meine Depression geheilt hätte, oder ich keine Panikattacken mehr habe. Aber ich kann anders damit umgehen, ich sehe eine Perspektive im gemeinsamen Kampf gegen dieses System. Ich kann mich an Genossis wenden, wenn ich Unterstützung brauche, und wir suchen nach Lösungen.

Es wird offen und ehrlich kommuniziert, sich unterstützt und solidarisch Kritik geäußert – mit dem Ziel, sich gegenseitig zu helfen, zu wachsen, um dieses System besser bekämpfen zu können. Eine Organisation ist keine Therapiegruppe und auch kein Ersatz dafür, aber es wäre falsch, meine psychischen Struggles als etwas von den materiellen Umständen losgelöstes, Privates zu sehen und mich deswegen zurückzuziehen.

Ich weiß, dass ich auf meine Genossis zählen kann, dass sie mich im Umgang mit Verpflichtungen, wie Lohnarbeit und Uni, unterstützen, damit ich das, was mir wirklich gut tut, weitermachen kann – nämlich gegen dieses System kämpfen – gemeinsam für eine bessere Welt!

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