Protestieren lohnt sich: Nach einer Woche im Protestcamp bekommen Refugees eine Unterkunft
57 Geflüchtete protestierten eine Woche lang vor dem ICC in Westberlin, um menschenwürdige Unterkünfte zu fordern.
Das International Congress Centrum (ICC) in Westberlin wirkt wie eine Raumstation aus den 1970er Jahren. Das weiß-graue fensterlose Riesengebäude wurde Anfang 2014 geschlossen, doch Ende 2015 als Notunterkunft für Geflüchtete wieder geöffnet. Die neuen Bewohner*innen sah man aufgrund der Architektur kaum.
Am Donnerstag letzter Woche änderte sich das plötzlich. 57 Refugees schlugen ein Protestcamp direkt vor dem Eingang auf. Matratzen und Schlafsäcke lagen auf dem Boden, Planen schützten notdürftig vor Sonne und Regen. Die Geflüchteten stammen vorwiegend aus Syrien, aber auch aus dem Irak und Afghanistan. Darunter waren Männer, Frauen und Kinder. Alle wollen nicht ins ICC, sondern in menschenwürdige Unterkünfte.
Sie hatten ein halbes Jahr in einer Sporthalle am Olympiapark verbracht. Im Mai mussten sie in die Messehalle 26 umziehen. Letzte Woche wurde erneut ein Umzug angeordnet, damit die Internationale Funkausstellung stattfinden kann. Ihnen wurde immer wieder versprochen, dass sie bald in richtige Unterkünfte oder sogar Wohnungen kämen. Doch dann hieß es: Die Familien sollten ins ICC umziehen, alleinreisende Männer in die Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
„Sie haben gesagt, dass sie es sich nicht leisten können, ihre Versprechen einzuhalten“, berichtete Saeed Al-Hassan am Dienstag. Der Kurde kommt aus Syrien und spricht Englisch, weshalb er eine Art Pressesprecher geworden ist. Seine Familie sollte in ein großes Zimmer im ICC ziehen. „Aber dort gibt es keine Fenster und keine frische Luft“, so Al-Hassan. Ältere Verwandte mit Atemproblemen würden das nicht aushalten. Außerdem gebe es überall in der Halle Bettwanzen. Lieber schläft die Familie auf der Straße, wo sie sichtbar bleibt.
Deutsches Recht schreibt vor, dass Asylsuchende nach spätestens sechs Monaten eine Unterkunft mit abschließbaren Zimmern bekommen. Mehr wollen sie nicht: „Unsere einzige Forderung ist: ein Zimmer für drei Menschen.“
Seit neun Monaten harren viele von ihnen in großen Hallen mit bis zu 600 Personen aus, ohne jegliche Privatsphäre, ohne die Möglichkeit zu arbeiten oder Deutsch zu lernen. „Wir werden wie Vieh behandelt“, so Al-Hassan. Jetzt wird ihnen versprochen, dass sie nur noch ein paar Monate in der Halle auszuharren haben, bis Wohnungen gefunden werden.
„Sie könnten eine Lösung finden, aber sie wollen einfach nicht“, sagte der Syrer Khurshid Haj Sinan. Er glaubt den Mitarbeiter*innen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) nicht. „Vier Menschen in einem Zimmer wäre doch okay“, meinte der 23-Jährige. „Aber 300 Menschen in einem Raum geht nicht.“ Obwohl er keinen Deutschkurs besuchen durfte, hat er sich selbst die Sprache beigebracht.
Sascha Langenbach, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, verwies am Dienstag darauf, dass der Senat und die Bezirke so schnell wie möglich neue Unterkünfte bauen, aber zur Zeit eben keine Plätze anbieten können. Er bat die Betroffenen um Geduld. Die Tempelhofer Hangars seien „nicht toll“, aber würden zu den besser ausgestatteten Notunterkünften gehören.
Auf die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten der Zwangsvermietung von leerstehenden Wohnungen, von denen es in Berlin Tausende gibt, erklärte der Senatssprecher, man könne gleich die Wohnung oder das Fahrrad des Reporters konfiszieren. Das bedeutet, Immobilienspekulant*innen können weiter Wohnungen leerstehen lassen, während Geflüchtete in Hangars leben.
In den ersten sieben Tagen des Protestcamps wurden die protestierenden Refugees immer weiter vom ICC weg vertrieben, Gitter wurden rund um den Eingang aufgestellt – angeblich aus Gründen des Brandschutzes. Doch für die Refugees war es klare Schikane. „Wir werden hier bleiben“, sagte Al-Hassan.
Am Mittwoch hat das Lageso dann doch Unterkünfte für die Familien gefunden – die Protestaktion hatte sich gelohnt. 20 alleinreisende Männer blieben vor dem ICC und weigerten sich, nach Tempelhof zu fahren. Doch am Donnerstag, nach einem Unwetter, brachen sie ihren Protest ab und zogen in die Flughafenhangars. Sie haben noch das Versprechen vom Senat, dass sie irgendwann – wie es ihnen rechtlich zusteht – eine menschenwürdige Unterkunft bekommen. Wann, ist allerdings vollkommen unklar.