Prekarität und Betrug: Die Realität von migrantischen Arbeiter:innen bei DHL
Eine spanische Arbeiterin bei DHL in Leipzig erzählt uns von den prekären Arbeitsbedingungen, denen die von diesem multinationalen Unternehmen eingestellten migrantischen Arbeiter.innen ausgesetzt sind.
Seit mehr als einem Jahr wirbt das deutsche internationale Logistik- und Kurierunternehmen DHL Arbeiter:innen aus dem Spanischen Staat für die Arbeit in einem seiner globalen HUBs (Transit- und Vertriebszentren) in Leipzig an. Dieses Zentrum hat mehr als 7.000 Beschäftigte, von denen etwa 500 als Arbeiter:innen aus dem Spanischen Staat kamen.
Die Situation, die wir als Arbeiter:innen aus dem Spanischen Staat erleben, beginnt mit der Anwerbung durch die spanische Leiharbeitsfirma Synergie für einen Monat Weiterbildung. Dieser Prozess gliedert sich in eine zweiwöchige theoretische Weiterbildung, in der wir in das Unternehmen eingeführt werden und die Grundlagen der Arbeit im operativen Bereich vermittelt bekommen. Danach absolvieren wir ein zweiwöchiges Praktikum an DHL-Standorten in Madrid, Vitoria oder Barcelona.
Während der Ausbildung wurden uns verschiedene Hilfsmittel angeboten und vorgestellt, insbesondere in Bezug auf die Unterbringung bei der Ankunft in Leipzig, die als gute Geschäftspraxis von DHL angepriesen wird. Aber aber wenn man etwas genauer nachforscht, stellt man fest, dass sie mit dem EURES-System verbunden sind, einem Programm der Europäischen Union für die Freizügigkeit der Arbeiter:innen.
Als wir am HUB in Leipzig an unserem Arbeitsplatz ankamen, wurden wir ziemlich schnell unzufrieden und desillusioniert. Denn viele der Dinge, die sie uns versprochen hatten, haben sich als falsch herausgestellt.
Die Ursachen für diese starke Unzufriedenheit sind das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein, was die versprochene Unterstützung während der Weiterbildung und die Begleitung bei der Unterbringung angeht, sowie ein großer Mangel an Informationen über unsere Arbeitsrechte. DHL macht sich die Tatsache zunutze, dass die meisten von uns weder Deutsch noch Englisch können, was es uns unmöglich macht, mit unseren direkten Vorgesetzten zu kommunizieren.
Der Vertrag, den wir mit DHL unterzeichnen, ist ein unbefristeter Teilzeitvertrag mit 35 „flexiblen“ Stunden pro Woche. Das bedeutet, dass wir nicht 35 Stunden pro Woche arbeiten, sondern z.B. 31 Stunden, sodass 4 Minusstunden übrig bleiben, die dem Unternehmen geschuldet werden und über die das Unternehmen frei entscheiden kann, wann und wie sie eingesetzt werden. Dadurch stehen die Beschäftigten ständig in der Schuld, je nach den Produktionserfordernissen.
Eine weitere Unzufriedenheit besteht darin, dass die Verträge der Gruppen, die aus dem Spanischen Staat gekommen sind, unterschiedlich sind. Zum Beispiel erhielten die Gruppen, die Ende 2021 und Anfang 2022 aus dem Spanischen Staat kamen, eine höhere Kategorie als die Gruppen, die erst kürzlich von dort gekommen sind. Das vertieft die immer wiederkehrende Geschäftspolitik des „Teile und Herrsche“, um einen einheitlichen gewerkschaftlichen Kampf auf der Grundlage gemeinsamer Forderungen zu verhindern. Es ist auch zu beachten, dass DHL mit verschiedenen Leiharbeitsfirmen zusammenarbeitet, um Arbeiter:innen für bestimmte Produktionszeitpunkte mit einer maximalen Vertragsdauer von sechs Monaten anzuwerben.
Vor Kurzem hat sich die Gewerkschaft Verdi mit einigen Beschäftigten des DHL-Hubs Leipzig aus dem Spanischen Staat getroffen, um unsere Forderungen und Bedenken zu sammeln und einen Kampfplan für das Jahr 2023 zu definieren. Thema war vor allem eine Lohnerhöhung, da es sich um eines der profitabelsten multinationalen Unternehmen der Welt handelt, das in vielerlei Hinsicht als Lobby fungierte und weiterhin fungiert. Aktuell wird die Möglichkeit ins Auge gefasst, einen Streik für das Frühjahr 2023 zu organisieren.
Zweifellos würde die Möglichkeit eines Streiks in diesem Sektor einen starken Impuls für die gewerkschaftliche Neuorganisation in einem der wichtigsten multinationalen Unternehmen der Welt bedeuten. Wir, die migrantischen Arbeiter:innen, die unter sehr prekären Bedingungen angekommen sind, haben die Aufgabe, im Kampf für unsere Rechte und bessere Bedingungen an der Spitze zu stehen.