Prekarisierung erreicht höchsten Stand seit 13 Jahren

29.05.2017, Lesezeit 3 Min.
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Während die offizielle Arbeitslosigkeit auf Rekordtiefs sinkt, zeigen Zahlen zur sogenannten atypischen Beschäftigung, worauf dieser Erfolg basiert: Es wurde ein immer größer werdendes Segment von prekär Beschäftigten geschaffen, mit Teilzeitverträgen, Minijobs, befristeten Stellen und Leiharbeit.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland lag im April 2017 unter der Marke von 6 Prozent – und damit so niedrig, wie zuletzt im April 1991, also vor 26 Jahren. Das entspricht so gar nicht der Stimmung, die aufkommt, wenn wir uns mit der Kollegin oder dem Freund unterhalten. Ist unsere Existenzangst nur eingebildet? Nein, denn die neu geschaffenen Arbeitsplätze sind meist prekär.

Fast der gesamte Abbau der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren geht auf den Anstieg von prekären Arbeitsverhältnissen zurück: Seit 2003 sank die Zahl der regulär Beschäftigten (mit einer kurzen Ausnahme im Jahr 2011) und stieg erst letztes Jahr wieder knapp über die Marke von vor 13 Jahren.

Nach Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung wurde im Jahr 2016 der höchste Anteil an atypischen Beschäftigungsverhältnissen seit 13 Jahren erreicht: Während sich die Anzahl der Minijober*innen leicht verringerte, stieg der Anteil derjenigen, die in Teilzeit oder Leiharbeit arbeiteten. Insgesamt arbeiteten 39,3 Prozent der Beschäftigten in ihrem Hauptjob in einer dieser Formen der Prekarität – die damit alles andere als atypisch ist. Insgesamt arbeiten anderthalb Mal so viele Menschen in solchen Jobs wie noch vor 13 Jahren. Frauen machen den größten Teil dieser Gruppe aus: 70,4 Prozent der knapp 40 Prozent atypisch Beschäftigten sind Frauen – damit arbeiten mehr als die Hälfte aller Frauen (57,4 Prozent) unter diesen Bedingungen. Der Großteil von ihnen befinden sich in Teilzeit, während bei den Männern die Minijobs den größten prekären Posten ausmachen.

Hinzu kommt die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse, die nicht vom WSI erfasst werden: Diese haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt, nach Zahlen aus dem Jahr 2015. Dabei haben etwas mehr Frauen befristete Verträge als Männer – 7,6 Prozent gegenüber 6,5 Prozent. Besonders junge Menschen sind betroffen, und zwar 20 Prozent der 15- bis 25-Jährigen. Befristung bedeutet meist auch deutlich niedrigere Löhne: 30,8 Prozent der Befristeten arbeiten für weniger als 10,36 Euro. Das ist dreimal mehr als der Anteil von Unbefristeten, die für so wenig Geld arbeiten.

Alles deutet darauf hin, dass es für die meisten prekär Beschäftigten schwer ist, in reguläre Jobs aufzusteigen. Prekäre Arbeitssituationen verfestigen sich für den Großteil der Betroffenen. Das deutsche „Beschäftigungswunder“ bietet für sie keinen Ausweg. Doch in den vergangenen Jahren ist auch ein Sektor von prekär Beschäftigten entstanden, die diese Bedingungen nicht länger hinnehmen wollen.

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