Prekäre Jugendliche: An vorderster Front von der Krise betroffen
Mit Entlassungen, Betriebs- und Filialschließungen und Kurzarbeit wollen die Bosse die arbeitende Bevölkerung für ihre Krise zahlen lassen. Besonders betroffen davon ist die Jugend. Sie litt schon vor der Krise unter der Prekarisierung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Deshalb braucht es eine kämpferische Jugend, die gegen Entlassungen und Kurzarbeit aufsteht.
Bild: Kai Pilger auf Unsplash
Berlin, April 2020. Es war Pablos* dritter Monat in einem Café in Berlin-Mitte, als dieses coronabedingt schließen musste. Er war einer der Ersten, die informiert und daraufhin gekündigt wurde. Auch Magda*, die bei Starbucks arbeitet, wurde wenige Wochen nach Ausbruch der Pandemie entlassen, obwohl der Konzern Millionengewinne weltweit macht. So wie Pablo und Magda geht es Tausenden von Jugendlichen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen unter den schlechtesten Bedingungen versuchen, über die Runden zu kommen. In der aktuellen Krise sind sie die ersten, die entlassen werden oder in Kurzarbeit geschickt werden.
Von der Krise gebeutelt
Diese Situation trifft für die Mehrheit der Jugendlichen zu, seien es Studierende mit Nebenjobs, Auszubildende oder diejenigen, die sich nach ihrer Ausbildung in den ersten Arbeitsjahren befinden und die wenigsten Arbeitsrechte und Sicherheiten genießen. Einer Umfrage zufolge ist jede*r sechste Student*in in der Gastronomie beschäftigt, die gerade besonders von der Krise betroffen ist. Viele von ihnen haben in den letzten Monaten kein Gehalt kassiert oder wurden direkt entlassen. Für viele bedeutet das große Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Mehr als zwei Drittel aller Studierenden gehen einem Nebenjob nach, unter ausländischen Studierenden sind es sogar drei Viertel. 750.000 dieser zwei Millionen Studierenden hatten bereits Mitte April ihren Job verloren, weitere Tausende müssen als Honorarkräfte Lohnausfall beklagen. Dazu kommen die Lohnausfälle durch Kurzarbeit oder Entlassungen bei ihren Eltern, was das Budget weiter einschränkt.
Während die prekären Arbeitsbedingungen in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs von vielen Studierenden als ein rein temporäres Phänomen angesehen wurde, das man mit einem Abschluss hinter sich lassen würde, hat sich diese Perspektive schlagartig geändert. Angesichts der steigenden Zahlen von Arbeitslosen und Kurzarbeiter*innen wirkt die Suche nach einem stabilen Arbeitsplatz immer auswegloser und die Prekarisierung als Markenzeichen einer Jugend ohne Zukunft. In dieser Situation scheinen selbst unbezahlte Praktika als ein annehmbares Übel.
Dazu kommen die schlechten Aussichten für den Einzelhandel, der ebenfalls den Nachfrageeinbruch auf die Beschäftigten abladen und massiv entlassen wird. Die Ankündigungen von Karstadt Kaufhof, die Hälfte aller Filialen zu schließen und Tausende Beschäftigte zu entlassen, sind nur eine Ankündigung dessen. Auch viele andere Einzelhandelskonzerne wie C&A haben bereits Filialschließungen und Entlassungen angekündigt.
Besonders hart trifft diese Situation Auszubildende. Die meisten von ihnen mussten während der Schulschließungen in den Betrieb. Jedoch ist für viele von ihnen die Zukunft sehr ungewiss: Denn die Unternehmen werden nur einen Bruchteil von Azubis übernehmen. Für die meisten steht also die Arbeitslosigkeit oder die prekäre Beschäftigung am Horizont. Neue Auszubildende dürfen sie gar nicht erst aufnehmen, solange ein Teil ihrer Belegschaft in Kurzarbeit ist. Dies ist besonders angesichts der Tatsache erschreckend, dass sich bereits 10,1 Millionen Arbeiter*innen in Kurzarbeit befinden, was jede vierte Arbeitskraft ausmacht.
Den Virus der Prekarisierung gab es schon länger
Gleichzeitig leiden die anderen Jugendlichen, die als Kuriere, an der Kasse im Supermarkt oder für Lieferdienste beschäftigt sind, unter dem zusätzlichen Arbeitsaufwand infolge des veränderten Kaufverhaltens der Bevölkerung. Die geschlossenen Restaurants füllen die schweren Rücksäcke der Lieferant*innen, die schon vor der Coronakrise immer wieder über die schlechten Arbeitsbedingungen klagten, die von Zeitdruck und schlechter Entlohnung geprägt sind. Zudem sind sie besonders den Gefahren einer Infektion oder der Ansteckung von Verwandten oder Bekannten in Riskogruppen ausgesetzt, während sich die Unternehmen kaum um die Einhaltung der grundlegendsten Hygienerichtlinien kümmern.
Dazu kommt, dass sich junge Menschen viel schlechter gegen miserablen Arbeitsbedingungen, rechtswidrige Entlassungen und ähnliche Angriffe der Konzerne wehren können. Die Mehrheit der unter 25-jährigen arbeiten nicht länger als zwölf Monate an einem Arbeitsplatz und kommen so meist kaum über die Probezeit hinaus, in der sie grundlos entlassen werden können. Auch die Tarifbindung ist gerade in den Branchen, in denen Jugendliche arbeiten, besonders niedrig. Und wenn Berufsanfänger*innen in Betrieben mit Tarifverträgen einsteigen, tun sie das zu den schlechtesten Bedingungen.
Zudem sind viele Jugendliche besonders im Einzelhandel oder der Gastronomie kaum gewerkschaftlich organisiert, da sie die Gewerkschaften nicht als die Organe wahrnehmen, die für ihre Interessen eintreten können. Dies liegt zu einem guten Teil daran, dass sich die Gewerkschaftsbürokratien auf die Kernsektoren der Industrie oder Branche verlassen, in denen sie ohne größere Kampagnen oder Kämpfe akzeptable Ergebnisse durchsetzen können, was häufig nicht auf die Jugend zutrifft. Deshalb sind auch Union Busting und gewerkschaftsfeindliche Praktiken besonders im Einzelhandel, in der Gastronomie oder bei Lieferdiensten Gang und Gäbe.
Getrennte Kämpfe, eine Klasse
Doch, warum sollten wir Jugendlichen diese Aussichten einfach so hinnehmen? Denn wer junge Menschen für apolitisch oder und kämpferisch hält, ist weit gefehlt. Tatsächlich waren die letzten Jahre geprägt von Kämpfen und Bewegungen der Jugend: Von der breiten Solidarität mit den Geflüchteten und den Mobilisierungen gegen den Rechtsruck über die Proteste gegen die Ausweitung des Polizei- und Sicherheitsstaates bis hin zu Fridays for Future (FFF), die im letzten September mehr als eine Million junger Menschen in ganz Deutschland auf die Straße brachte gegen die unternehmensfreundliche Klimapolitik der Bundesregierung und für Klimagerechtigkeit. Mit viel Kampfkraft haben Jugendliche immer wieder ihre Unzufriedenheit mit diesem kapitalistischen System zum Ausdruck gebracht, das ihnen gar nichts zu bieten hat und für sie nur für Krisen, Umweltzerstörung, Einschnitte in demokratische Rechte und Tausende Tote, Krieg und Elend an den Außengrenzen der Festung Europa steht.
Eine Schwäche dieser Proteste war es jedoch, dass die bürokratischen und reformistischen Führungen, wie die Grünen bei FFF die Wut von den Straßen in lauwarme Appelle an die „Politik“ verwandelt hat und die Arbeiter*innenklasse von den Protesten ausgeschlossen wurde. Wenn Arbeiter*innen an diesen Protesten teilnahmen, so nur als einfache „Staatsbürger*innen“ und ohne die Stärke ihrer Organisationen. Doch nur mit der Kraft der Arbeiter*innenklasse, die in Verbund mit der Jugend und allen unterdrückten Sektoren das gesamte Land lahmlegen kann, lassen sich die Forderungen gegen die Konzerne und die Bundesregierung durchsetzen. Denn es sind die Arbeiter*innen, die den Kapitalist*innen, die auf Kosten der Umwelt und unserer Gesundheit ihre Profite vermehren, direkt gegenüberstehen und die strategischen Positionen der Wirtschaft einnehmen, um diese zum Stillstand zu bringen.
Beispiele für diese Kampfkraft gibt es viele. Bei Ende Gelände stürmen regelmäßig Hunderte bis Tausende kämpferische und hochmotivierte Aktivist*innen Kohlemeiler und und schaffen es so kurzzeitig, den Betrieb der Werke lahmzulegen. Dabei suchen sie jedoch nie die Verbindung zu den Arbeiter*innen oder Gewerkschaften, die sich in der Verteidigung der Arbeitsplätze gegen die jungen Aktivist*innen stellen. Dabei würde ein gemeinsamer Kampf der Arbeiter*innen und Jugendlichen für die Schließung der umweltschädlichen Kohlereviere, die die Lebensgrundlage der gesamten Bevölkerung bedrohen, mit Sicherung einer Weiterbeschäftigung viel effektiver sein. So könnten die Kohlemeiler wirklich für eine längere Zeit lahmgelegt werden und die großen Energiekonzerne und die Bundesregierung unter Druck gesetzt werden. Ähnliches gilt für den Kampf gegen staatlichen Rassismus und den Rechtsruck. Wenige Pilot*innen, Fluglotsen oder Lokführer*innen können Abschiebungen verhindern oder rechte Aufmärsche verhindern.
Für eine solche Perspektive der Arbeiter*innenbewegung in den demokratischen und sozialen Kämpfen der Jugend braucht es eine Konfrontation mit der Gewerkschaftsbürokratie und den Bürokratien der sozialen Bewegungen, um die Einheit der Arbeiter*innen und Jugendlichen auf der Straße und in den Betrieben zu erreichen, um die Forderungen tatsächlich durchzusetzen.
Die Jugend gegen Entlassungen und Prekarisierung
Eine solche Kampfkraft braucht es auch heute, um gegen die Massenentlassungen, die Kurzarbeit und die zunehmende Prekarisierung zu bekämpfen. Jeden Tag kommen neue Angriffe: So fordern die Unionsparteien eine Absenkung des Mindestlohns und die Ausweitung der Arbeitszeit auf 48 Stunden. Ein brutaler Angriff auf alle Arbeiter*innen, aber besonders auf Jugendliche und Frauen, die überdurchschnittlich häufig Mindestlohn beziehen. Doch die bürokratisierten Gewerkschaftsjugenden sowie die reformistischen Parteijugenden, wie die Jusos, Linksjugend solid oder der SDS mobilisieren nicht für diese wichtigen Forderungen. Zwar geben sie sich in Worten oft kämpferisch oder reden von Sozialismus, doch in den wichtigsten Entscheidungen ordnen sie sich den großen Parteiapparaten von SPD und Linkspartei unter, die beide entscheidend dazu beitragen, die Regierungspolitik zu stützen und keine Infragestellung von links an den Maßnahmen der Bundesregierung aufkommen zu lassen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Organisationen den Kampf gegen die „nationale Einheit“ aufnehmen und mit dem Burgfrieden ihrer „Mutterparteien“ brechen und dafür kämpfen, dass die Krise nicht von den Arbeiter*innen und der Jugend bezahlt wird. Für das Verbot von Entlassungen und Betriebs- oder Filialschließungen und die Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle von allen Konzernen, die entlassen und schließen. Für die verpflichtende Übernahme von Auszubildenden und ein Ende der Prekarisierung der Jugend. Mit einer solchen Perspektive könnten viele Jugendliche gewonnen werden, die in der Klimabewegung oder in antirassistischen Kämpfen aktiv sind, sowie viele, die nicht aktiv sind, jedoch die Angriffe nicht einfach hinnehmen wollen.
Als erster Schritt hin zu einer solchen Bewegung ist es heute zentral, Arbeitskämpfe, wie zuletzt den bei Voith im Allgäu zu unterstützen, wo die Beschäftigten sich über einem Monat gegen die Wrksschließung mit einem unbefristeten Streik zur Wehr setzen und damit einer der reichsten Familien Deutschlands gegenüber standen, die vollkommen kompromisslos an der Schließung festhält. Der Kampf bei Voith in Sonthofen hätte ein Leuchtturm in der Krise sein können, dafür, wie man organisiert gegen Werkschließungen und Entlassungen vorgehen kann. Umso wichtiger, dass wir uns den kommenden Kämpfen, wie zum Beispiel bei Kaufhof, anschließen.
Wir von der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) versuchen, mit Klasse Gegen Klasse eine Stimme der Arbeiter*innen, der Jugendlichen, der Migrant*innen und der Frauen aufzubauen, die dafür kämpft, dass die Kapitalist*innen ihre Krise zahlen sollen.
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.