Polizeigewalt und Revolte in den USA. Was ist mit Deutschland?
Nach dem Mord an George Floyd sind in mehreren Städten der USA Revolten ausgebrochen, um Gerechtigkeit zu fordern und Widerstand gegen die mörderische Polizeigewalt zu leisten. Doch wie sieht es eigentlich mit rassistischer Polizeigewalt in Deutschland aus?
Über die USA wird in den Medien immer wieder über unglaublich viele „Einzelfälle“ berichtet: George Floyd ist der jüngste dieser international bekannt gewordenen Fälle ermordeter Schwarzer in den USA. In den letzten Monaten haben wir auch über die Morde von Breonna Taylor, Ahmaud Arbery und Sean Reed gehört. Zudem wurde zwei Tage nach dem Mord an George Floyd, am 27 Mai, ein Schwarzer trans Mann namens Tony McDade von einem Polizisten in Florida angeschossen und umgebracht. Die Statistiken aus den USA sprechen für sich selbst: Seit 2010 wurden insgesamt 4076 Menschen von der Polizei umgebracht.
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George Floyd wurde am Montag, dem 25. Mai, ermordet. Seine letzten Worte waren „Ich kann nicht atmen“ und erinnerten an den brutalen Mord an Eric Garner, der 2014 von der New Yorker Polizei ermordet wurde. Die Wut hat sich im ganzen Land ausgebreitet. Wir müssen diese Wut in Kampf und Organisation umwandeln. Erklärung von Left Voice.
Aber wie schaut es in Deutschland aus? Die Zahl von Morden durch die Polizei liegt mit offiziell 86 (von 2010 – 2018) deutlich geringer als in den USA, was aber einerseits mit der Bevölkerungsanzahl zu tun hat – USA 328 Millionen, Deutschland 83 Millionnen –, und zum Anderen damit, dass die USA auf Sklaverei gegründet wurden und die Polizei historisch als als bewaffnete Sklavenpatrouillen im Süden und heute als Eigentumsbeschützer*innen im ganzen Land arbeiten. Das drückt sich auch in häufigerer rassistischer Selbstjustiz aus.
Aber weil die bürgerlichen Medien allzu gerne Gewalt und Morde an Unterdrückten als „Einzelfälle“ schildern, möchte ich euch auch einige Namen aus unserem Land nennen:
Der Fall Oury Jalloh: Oury Jalloh war während des Bürger*innenkrieges aus Sierra Leone geflohen. Am 7. Januar 2005 wurde der 37-jährige Asylsuchende in Polizeigewahrsam gebracht. Ein paar Stunden später wurde er tot aufgefunden – verbrannt. Laut den ersten Ermittlungen hatte er angblich selbst seine Matratze mit einem Feuerzeug angezündet. In den folgenden Tagen kam es zu ersten Zweifeln: Oury Jalloh hätte sich nicht selbst anzünden können. Der Oberstaatsanwalt Folter Bittmann verteidigte dennoch die These der Selbsttötung. Die erneute Prüfung im Jahr 2012 habe nämlich „keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben“. Seit Jahren kämpfen Initiativen dafür, dass der Mord an Oury Jalloh als solcher benannt und verurteilt wird. Hier gibt es eine gute Doku zu dem Fall.
Terell – Einspruch: In seinem unterschätzten Track „Einspruch“ beschreibt der Musiker Terell, wie die Polizei ihm am 30. März 2020 fast das Leben genommen hätte. Wie fast jede*r Migrant*in das Gefühl kennt, entschied er sich, von der Polizei wegzurennen, weil er ein bisschen Gras dabei hatte und er keinen Eintrag haben wollte. Das gesundheitliche Resultat: ein angebrochener Brustkorb, ein gebrochener Kiefer, Gehirnblutungen und abgefetzte Knochenstücke im Schädel und Blindheit an einem Auge. Das juristische: Er habe die Beamten angegriffen. Hört euch seine Worte selbst an.
Weitere Fälle von Polizeigewalt begleiten uns tagtäglich und ich will deswegen auf einen Instagram-Account hinweisen, welcher zur Meinungsbildung genutzt werden sollte: @polizeigewaltdeutschland
Einzelfälle sind es also nicht, aber wo sind die organisierten Stützpunkte für solche Fälle?
Der NSU-Komplex, Hanau und Halle zeigen uns ein weiteres Kennzeichen, welches in den USA durch den Ku-Klux-Klan verkörpert wird. In Deutschland verläuft die rassistische Gewalt oft in einer verdeckten Verwurzelung zwischen Verfassungsschutz, Polizei, Bundeswehr und Rechtsterroristen. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sogar der Deutschlandfunk veröffentlicht diese Position:
Die Bundesrepublik hat ein Problem mit rechtsextremer Gewalt. Umso alarmierender wirkt da der Verdacht, Rechtsextreme könnten sich ausgerechnet dort ausbreiten, wo das staatliche Gewaltmonopol angesiedelt ist: in deutschen Polizeiapparaten.
Auch in den USA gibt es eine Verwurzelung. Das FBI, welches eine hohe Anzahl von Militärputschen in Lateinamerika organisierte und die Black Panthers Party von Grund auf zerstörte, untersuchte in den letzten Jahren Menschenrechts-Organisationen, da diese eine „Gefahr für die Rechte“ von KKK-Mitgliedern darstellten.
Dieses Verhältnis zwischen Staat und Rassismus äußert sich zudem in einem anderen Bereich: Migration. Ankerzentren sind eine weitere Parallelität zwischen Deutschland und den USA. Über 40 solcher Gefängnis-artiger Einrichtungen gibt es auf deutschem Gebiet. Wie die Situation dort ausschaut und wie die Regierung darauf reagiert, kann man in diesem Video beobachten.
In den USA gibt es schon länger Kritik an der Abschiebebehörde ICE (U.S. Immigration and Customs Enforcement), da diese die aggressivste Instanz gegen Migrant*innen darstellt. Die Statistiken zu den Abschiebekapazitäten der USA sind sehr eindrucksvoll: Zwischen 1892 und 1997 wurden 2,1 Millionen Menschen abgeschoben, zwischen 1993 und 2016 um die sieben Millionen.
Die zweite Zahl sollte man nochmals genauer anschauen, um eine weit verbreite Widerstandsstrategie unter Unterdrückten endlich hinter uns zu lassen: Allein zwischen 2009 und 2016 wurden 3,2 Millionen Menschen abgeschoben. Regiert hat damals der Schwarze Demokrat Barack Obama.
Eine ähnliche Linie vertritt Ilhan Omar, eine der führenden Persönlichkeiten unter den Migrant*innen der Democratic Party, die zur Zeit zur Deeskalation bei den Revolten in Minneapolis, Chicago und New York aufruft.
Auf keinen Fall soll diese Bloßstellung dieser zwei Schwarzen Politiker*innen die Schlussfolgerung nahelegen, es seien andere Demokraten oder gar Republikaner, die eine bessere antirassistische Perspektive anbieten würden. Ich lehne die beiden, auf der Suche nach einer realen zum Sieg führenden Strategie, ab. Auch der linke Reformismus, der sich der Veränderung aus der Regierungsposition verschrieben hat, ist und bleibt am Ende Mitverwalterin der rassistischen Gewalt des bürgerlichen Staates. Eine solche Strategie der „Erneuerung“ des Systems kann nicht zum Sieg führen, der Staat muss zerschlagen werden – mit samt seiner Repressionsapparate wie Polizei und Sicherheitskräften.
Die Revolten, wie sie in den USA ans Tageslicht kommen, haben eine lange Tradition, wo die bekanntesten wahrscheinlich die LA Riots von 1992 waren. Diese Kampfform haben wir in den letzten Monaten und Jahren sehr oft gesehen: in Haiti, im Iran, in Hong Kong, im Arabischen Frühling, in Chile…. Alle diese Prozesse zeigen uns etwas Wichtiges: Diese Revolten sind heroische Akte des Widerstandes, dessen Legitimität man gnadenlos verteidigen sollte. Doch bezüglich eines Sieges sind sie dazu verdammt, eine Illusion zu bleiben. In Chile sehen wir konkret, wie nach sieben Monaten des Widerstandes keine einzige Forderung komplett durchgesetzt wurde.
Die rassistische Polizeigewalt fängt da an, wo es einen bürgerlichen Staat gibt, welcher zur Unterdrückung einer sozialen Klasse durch eine andere nötig wird. Deswegen können Menschen wie Obama trotz ihrer politischen Position im Staat – die in seinem Falle einen betrügerischen Charakter hatte – keine große Veränderungen hervorbringen. Wenn jemand tatsächlich die Interessen der Unterdrückten und der Arbeiter*innenklasse verteidigen und durchsetzen würde, könnte er eine solche Position nicht erreichen.
Gewalt ist eine Frage der Macht, aber diese Macht wird durch Struktur und Organisierung ausgeübt. Deswegen ist die zentrale Frage bei der Suche nach einem Ausweg aus dieser Unterdrückung und Ausbeutung die Folgende: Wie und auf welcher Grundlage können wir uns organisieren, um die Macht zu erobern, um dieser Misere ein Ende zu setzen?
An dieser Stelle will ich euch einladen den Folgenden Artikel zu lesen, der sich eben mit dieser Frage beschäftigt: Black Lives Matter – Welche Strategie gegen den Polizeiterror?