Polizei stempelt Vergewaltigte als psychisch krank ab
Wir veröffentlichen einen anonymen Erfahrungsbericht aus einer psychiatrischen Klinik. Eine Frau wurde vergewaltigt, kam deshalb zurück ins Krankenhaus und die Polizei verdrehte die Tatsachen.
Ich arbeite seit Jahren als Pflegekraft in einer Psychiatrie auf der allgemeinpsychiatrischen Station. Dies tue ich auch sehr gerne, da es mir liegt, für Menschen in Krisen da zu sein, ihnen zuzuhören und sie bei ihrem Genesungsprozess zu unterstützen. Allerdings ist auch die Pflege in der Psychiatrie von Personalmangel und hohem Krankenstand durch die hohe Belastung betroffen. Daher kommt es auch ab und zu vor, dass man alleine auf einer offen geführten Station arbeiten muss. Im Nachtdienst ist das sogar der Regelfall. Gleichzeitig kommen immer mehr Menschen zu uns in die Klinik. Durch steigende Kosten und weniger soziale Unterstützung durch Kürzungen geraten nämlich immer mehr Patient:innen in psychische Krisen durch Armut und Obdachlosigkeit.
Heute war wieder so ein Tag, an dem ich alleine arbeiten musste, da es im ganzen Krankenhaus zahlreiche Krankheitsmeldungen gab. Zum Abend hin kam eine Patientin laut weinend, deutlich geschockt, im totalen Ausnahmezustand zurück auf die Station, nass vom Regen und nur bekleidet mit Top und Jeans. Sie berichtete sichtlich verzweifelt, dass sie vergewaltigt und beklaut wurde. Sie ärgerte sich und weinte, dass sie sich überhaupt auf ihn, den Bekannten und Täter, eingelassen habe.
Daraufhin holte ich mir zur Unterstützung einer ärztlichen Kollegin, die mit der Patientin die Situation nochmal besprach. Die Patientin wollte den Übergriff anzeigen und eine ärztliche Untersuchung, um den Übergriff nachweisen zu können.
Nachdem die Patientin schon einige Zeit auf die Polizei wartete, rief ich nochmal bei der Wache an, um nachzuhören. Daraufhin antwortete mir der Polizist auf meine Nachfrage, wann die Polizei eintreffen werde, dass „wir“ (also die Pflegekräfte) ja nicht alles den psychisch Kranken glauben sollten. Schließlich hätte diese Patientin ja schon öfter Menschen angezeigt und die Polizei wolle jetzt gegen die Patientin ermitteln wegen Falschaussage. Ich und die Ärztin, die das Telefonat mitgehört hat, waren geschockt von dieser Aussage. Die Patientin wird jetzt von der Polizei als Täterin dargestellt und vorverurteilt. Der mutmaßliche Täter hatte sich wohl schon direkt nach der mutmaßlichen Vergewaltigung bei der Polizei gemeldet und die Patientin als unglaubwürdig dargestellt.
Als zwei Polizist:innen auftauchten, um die Anzeige aufzunehmen, kam zum Glück die ärztliche Kollegin mit ins Gespräch, weil sie der Polizei deutlich misstraute. Laut der Kollegin war es im Gespräch tatsächlich auch so, dass eine der anwesenden Polizeibeamt:innen der Patientin direkt Vorwürfe machte und massiven Druck ausübte. Der mutmaßliche Täter habe sich bereits bei der Polizei gemeldet und wenn sie jetzt eine Falschaussage mache, wäre das eine Straftat.
Allerdings ließ sich die Patientin nicht einschüchtern und erzählte ihre Sicht der Dinge. Am Telefon argumentierte die Polizei im Vorfeld, dass die Patientin sich über Chatnachricht zur sexuellen Handlung mit dem mutmaßlichen Täter bereit erklärt hatte, da sie in Geldnot gewesen sei und vorhatte, sich zu prostituieren. Allerdings habe sie sich es dann anders überlegt. Er habe sie daraufhin nicht mehr aus dem Auto gelassen, wo es dann zu dem Übergriff kam.
Unter den Kolleg:innen in der Klinik stieß das Verhalten der Polizei auf totales Unverständnis und stärkte das Misstrauen in die Polizei, die wieder mal zeigte, dass sie Menschen in Not, die unter sexueller Gewalt und Unterdrückung leiden, nicht helfen wollen. Ich sehe dies als frauenfeindlichen Angriff. Frauen, die akut sexuelle Gewalt erlitten haben, direkt zu misstrauen, statt ihnen Hilfe anzubieten, ist pure Demütigung und menschenverachtend.
Für mich und einige meiner Kolleg:innen macht das nochmal deutlich, dass diese Institution kein Recht schafft. Sie kriminalisiert Betroffene von sexualisierter Gewalt – besonders psychisch kranken und mittellosen Frauen und Jugendlichen – eher, als dass sie ihnen hilft.