Politisches Urteil gegen Stuttgarter Jugendliche: Gleiches Strafmaß wie für NSU-Unterstützer

14.11.2020, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Montecruz Foto

2,5 Jahre Jugendgefängnis: So lautete die Strafe für zwei Jugendliche, die im Sommer bei den Krawallen in Stuttgart Polizeiautos beschädigt hatten. Es ist ein politisches Urteil, das der Jugend Angst vor der Polizei machen soll.

Nachdem es im Juni in Stuttgart zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei kam, gierten Politiker:innen nach harten Strafen. So forderte etwa Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident, „konsequente Verfolgung und Verurteilung“. Diesen Wunsch haben ihm die Gerichte in den ersten beiden Prozessen erfüllt:

Ein 18-Jähriger muss 2,5 Jahre ins Jugendgefängnis, weil er die Scheiben eines Polizeiautos eingeschlagen hatte. Verurteilt wurde er wegen besonders schwerem Landfriedensbruch und versuchter schwerer Körperverletzung. Damit fällte der Richter ein Strafmaß, das sogar noch über der Forderung der Staatsanwaltschaft lag (2 Jahre auf Bewährung). Auch ein 19-Jähriger muss für 2,5 Jahre ins Gefängnis, ebenfalls wegen der Beschädigung eines Polizeiautos. Die Anwälte haben Berufung gegen die Urteile eingelegt.

Polizei hat die Krawalle erst verursacht

Der Auslöser für die Krawallen war, weil die Cops meinten, einen 17-Jährigen in einem Park wegen Cannabis drangsalieren zu müssen. Andere Leute solidarisierten sich mit dem Jugendlichen, bald setzte die Polizei Pfefferspray ein, die Lage schaukelte sich hoch und endete in Krawallen.

Die Jugendlichen hatten keinen Bock, sich ständig von der Polizei schikanieren zu lassen und haben sich gewehrt. Viele sind frustriert, weil sie mit der Corona-Krise ihre Jobs verloren haben. Doch der deutsche Staat denkt gar nicht dran, Lösungen anzubieten. Die Polizeikontrollen gegen Jugendliche, besonders mit dunkler Hautfarbe, gehen weiter.

Wegen der Ausschreitungen in Stuttgart wird es bis zu 100 Strafprozesse geben. Die Verfolgungswut der Behörden erinnert an den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Dort knüppelt die Polizei wahllos in die Menge und verletzte hunderte Menschen zum Teil schwer. Während es bis heute keine einzige Anklage wegen Polizeigewalt gab, läuft ein Gerichtsmarathon gegen die Demonstrant:innen. Ein 28-Jähriger wurde wegen eines Flaschenwurfes zu 3,5 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Landesinnenminister Thomas Strobl von der CDU freut sich darüber, dass der „Rechtsstaat seine Zähne zeigt“. Dieses Urteil hat eine revanchistische Botschaft an Jugendliche: Beug dich den Bullen oder geh in den Knast. Die beiden Stuttgarter müssen nun ins Gefängnis, weil sie ihren Frust gegen die Polizei ausgelassen haben. Mit Polizei und Justiz will der Staat der Jugend ihren Platz zuweisen: Sie sollen ihr Leben mit Schulstress, schlechtem Job und beengten Wohnungen akzeptieren. Wer aufmuckt, kriegt aufs Maul und fährt ein.

Rassistische Gewalt bleibt straflos

Die Stuttgarter Jugendlichen bekommen nun eine ebenso harte Strafe wie André Eminger, der den NSU-Terroristen Autos und Pässe besorgt hatte. Obwohl er die rassistischen Morde unterstützte, wurde er gerade mal zu 2,5 Jahren Gefängnis verurteilt.

Polizist:innen hingegen kommen selbst für schwerste Verbrechen oft straflos weg, vor allem, wenn sie aus rassistischen Motiven geschehen. Die Initiative Death in Custody hat 179 Todesfälle in Polizeigewahrsam von nicht-Weißen seit 1990 in Deutschland gezählt. Einige von ihnen wurden erschossen, gefoltert oder angezündet. Für kein einziges der Vergehen saß ein Bulle auch nur einen einzigen Tag im hinter Gittern.

Auch in der Stuttgarter Krawall-Nacht handelte die Polizei aus rassistischen Motiven. Sie haben gezielt die Migrant:innen stigmatisiert. Ein Polizist meinte, sie seien „im Krieg gegen die Kanaken“. Dieser Aspekt der Geschehnisse wurde allerdings unter den Teppich gekehrt. Wenn die Polizei rassistisch interveniert, gibt es kein Problem. Wenn Scheiben klirren, läuten sofort die Alarmglocken. Nach den Ereignissen in Stuttgart setzte die Polizei bei ihren Ermittlungen auf rassistische Stammbaumforschung.

Der sogenannten Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist das Urteil zu milde

Der Landesvorsitzende der GdP, Hans-Jürgen Kirstein, findet das Urteil nicht radikal genug. Seiner Meinung nach sollten die Jugendlichen nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Kein Wort zu Polizist:innen, die im Verdacht stehen, die Jugendlichen rassistisch kriminalisiert zu haben. Die GdP will die Jugendlichen verurteilt sehen, obwohl die Polizei die Gewalt erst entfachte. Falls dieses Urteil nicht gekippt wird, verliert der 18-jährige Angeklagte seinen Ausbildungsplatz. In dem Fall hofft die „Gewerkschaft“ der Polizei, die Jugendlichen in erzwungene Arbeitslosigkeit zu schicken.

Die GdP ist nur im Namen eine Gewerkschaft. In Wirklichkeit ist sie ein krimineller Verein, der entgegen der Interessen von Arbeiter:innen und Jugendlichen handelt, der gegenüber den Migrant:innen und den linken Aktivist:innen hasserfüllt auftritt und die rechtsextremen Polizist:innen in ihren Reihen verteidigt. Es ist inakzeptabel, dass diese Organisation einen Platz in den Reihen des Gewerkschaftsbundes einnimmt. Dieser Verein gehört aus dem DGB ausgeschlossen. Der Einsatz der Stuttgarter Polizei muss von einer unabhängigen Kommission untersucht werden, rassistische und gewalttätige Beamt:innen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

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