Politischer Bahnstreik vor den Wahlen?

09.08.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Wikipedia Commons

Auf den ersten Blick geht es bei dem bevorstehenden Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) lediglich um Lohnforderungen. Doch der Streik könnte auch zu einem ersten Kampf gegen das Tarifeinheitsgesetz werden, womit die GroKo 2015 das Streikrecht für Minderheitengewerkschaften radikal einschränkte.

Es bahnt sich ein politischer Streik in einem essentiellen Sektor an. Die Eisenbahnergewerkschaft GDL verkündet, ab dem 11. August bundesweite Streiks für einen neuen Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn (DB) aufzunehmen. Am Sonntag endete eine Urabstimmung in der Gewerkschaft. 95 Prozent der Mitglieder votierten für einen Streik. Seit letztem Jahr fordern sie Lohnerhöhungen auf einem niedrigen Niveau. Doch während der DB-Vorstand sich selber 10 % Lohnerhöhungen genehmigte, bieten sie der GDL nur denselben Tarifvertrag an, den die DB bereits letztes Jahr mit der DGB-Gewerkschaft Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) abgeschlossen hat: 3,2 % verteilt auf drei Jahre. Also durchschnittlich gerade einmal 1,06 %. Die Inflationsrate stieg zuletzt auf 3,5 %. Immer mehr Ökonom:innen gehen davon aus, dass diese auch längerfristig auf einem hohen Niveau bleiben wird. Die GDL versucht für ihre Mitglieder etwas kleinere Reallohnverluste durchzusetzen.

Laut dem Tarifeinheitsgesetz ist in einem Betrieb mit mehreren Gewerkschaften nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit dem meisten Mitgliedern gültig. Bei der Bahn ist dies die EVG. In dem letzten Tarifvertrag, den die GDL mit der Bahn 2017 abschloss, vereinbarten sie, bis 2020 das Tarifeinheitsgesetz nicht zu berücksichtigen. Der DB-Konzern ist in insgesamt 300 Einzelbetriebe gegliedert: Lediglich in 16 davon stellt die GDL eine Mehrheit, da sie historisch nur die Berufsgruppe der Lokführer:innen vertrat. Mittlerweile sind aber auch viele Zugbegleiter:innen und Beschäftigte der Instandhaltung in der GDL organisiert. Konkret geht es um 29 Teilbetriebe, für die durch das Tarifeinheitsgesetz die Abschlüsse der GDL nicht mehr gültig sind. Bahnvorstand Seiler geht nun zu direkten Drohungen über: es würde ersucht werden, die Streiks gerichtlich zu verbieten. „Es gibt in Deutschland klare Regeln für einen Streik. Wenn die verletzt werden, würden wir uns wehren“, sagt Seiler gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Streiken dürfen die Lokführer:innen zwar für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen. Gegen das Tarifeinheitsgesetz dürften sie mit einem Ausstand jedoch nicht vorgehen. Sprich, wenn die GDL nicht nur zu Arbeitsniederlegungen in den 16 Betriebsteilen aufruft, in denen sie die Mehrheitsgewerkschaft sind, wird die Bahn mit Hilfe der Gerichte versuchen, ein Verbot des Streiks zu erwirken.

Das Tarifeinheitsgesetz: SPD und DGB für die Beschneidung des Streikrechtes

Auslöser für die Einführung des Tarifeinheitsgesetzes war eine Streikwelle im Frühjahr 2015. Die GDL führte mehr als halbes Jahr lang einen historischen Streik. Aber nicht nur die legte mit ihren Streiks über Wochen den Zugverkehr in Deutschland lahm – auch bei der Lufthansa kämpften Piloten der Vereinigung Cockpit (VC) und Flugbegleiter der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) gegen massive Verschlechterungen und Zerschlagung des Unternehmens. Der GDL-Streik war besonders brisant, da er sehr lange Bahnverkehr und sogar den Gütertransport effektiv lahmlegen konnte. Die EVG hingegen grenzte sich von den GDL-Streiks ab und orientierte sich kompromissbereit. Der GDL-Streik hatte die regierungsnahe Position der EVG enthüllt. Doch die DGB-Bürokratie und die GroKo haben das Tarifeinheitsgesetz eingeführt, um die Tarifauseinandersetzungen zu regulieren. Dadurch gewann die EVG als eine Mehrheitsgewerkschaft den Status als Ansprechpartnerin von DB und die GDL musste sich den Vereinbarungen anpassen. Die reaktionäre Konkurrenz unter Gewerkschaftsbürokratien und die Maßnahme der Regierung haben dazu geführt, dass eine arbeiter*innenfeindliche Verschärfung des Streikrechts entstand.

Erklärtes Ziel des Gesetzes war es, die folgenreichen Streiks kleiner Berufsgewerkschaften zukünftig verbieten zu können. Zwar ermöglicht das Gesetz nicht direkt ein Verbot, doch seit den 50er Jahren sind in der BRD nur noch Streiks legal, bei denen eine Gewerkschaft ersucht, einen Tarifvertrag zu erwirken. Ebenso müssen die Gerichte einen Streik für “verhältnismäßig” halten. Viele Rechtsexpert:innen gehen davon aus, dass nach gängiger Rechtsprechung solche Streiks als illegal eingestuft werden, die für einen Tarifvertrag geführt werden, aber im Rahmen des Tarifeinheitsgesetzes nicht gültig sein werden: Streiks für einen anschließend ungültigen Tarifvertrag zu führen, werden die bürgerlichen Gerichte höchstwahrscheinlich als „nicht verhältnismäßig“ einstufen. Laut Tarifeinheitsgesetz ist nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft eines Betriebes gültig.

Der Kampf um das Streikrecht

Beim GDL-Streik handelt es sich daher um einen Kampf mit politischem Charakter um das Streikrecht selbst, der von DGB-Bürokratien reprimiert wird. Wenn die GDL ihre Lohnforderungen durchsetzen möchte, muss sie die gesamte Belegschaft zu Streiks aufrufen, und nicht nur in den 16 Teilbetrieben, in denen sie die Mehrheit stellt. Die Kolleg:innen sollten demokratisch ihren Streik kontrollieren und führen können. Da bürgerliche Presse, Politiker:innen und Bürokrat:innen mit Vorwürfen und Verleumdungen einen extremen Druck auf die GDL-Kolleg:innen ausüben, müssen sie ihre Streikversammlungen abhalten und sich mit anderen Kolleg:innen aus DGB-Gewerkschaften und Minderheitengewerkschaften koordinieren können. Dadurch wäre de facto ein Kampf für die Ausweitung des Streikrechtes geschaffen. Zuletzt hatten die Beschäftigten von Gorillas das restriktive deutsche Streikrecht in Frage gestellt. Doch die Bahner*innen haben aufgrund der Zentralität ihrer Arbeit für die Wertschöpfungsketten der deutschen Industrie eine viel standfestere Position. Sie könnten in Verbindung mit anderen Sektoren wie Gorillas mit ihren Ausständen tatsächlich wirksam für eine Ausweitung des Streikrechtes kämpfen.

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