Podemos driftet nach rechts
// NEOREFORMISMUS: Vor einem Jahr gründete sich Podemos als neue linke Partei im Spanischen Staat. Die politische Mäßigung, auf der Suche nach der politischen „Mitte“, führt aktuell zum Scheitern. Doch auch die Idee einer Rückkehr zum „Podemos der Ursprünge“ hat ihre Grenzen. //
Ein Jahr nach der Gründungsversammlung von Podemos in Vista Alegre erschienen zahlreiche Reportagen über den kurzen, aber intensiven Werdegang der neuen Formation. Die Blickwinkel sind sehr unterschiedlich, doch alle weisen auf die krasse politische Entwicklung hin, die Podemos in nur zwölf Monaten durchmachte: Eine Mäßigung, die soweit geht, dass das Gründungsprogramm nun unvereinbar mit der aktuellen Ausrichtung der Partei ist. Aktuell zielt Podemos auf die Eroberung der politischen „Mitte“ als Hauptachse ihrer Strategie.
Diese Tatsache erinnert uns an ein traurigerweise bekanntes und oft angewendetes Theorem aus der argentinischen Politik: das „Baglini-Theorem“. Dieses Konzept wurde 1986 von dem konservativen Abgeordneten Raúl Baglini formuliert. Es besagt, dass der Grad der „Verantwortung“ einer Partei oder ihrer politischen Leitfiguren proportional zu ihrer Nähe zur Macht ist. Die „Verantwortung“ wird hier in einem bürgerlichen Sinne verstanden, es handelt sich also um eine „Staatsverantwortung“. Anders ausgedrückt: Je näher sie an der Macht ist, desto konservativer wird die Partei.
Im Falle von Podemos und ihrem Generalsekretär Pablo Iglesias trifft dieses „Theorem“ voll zu. Iglesias wurde immer konservativer, als er glaubte, sich auf der Überholspur hin zur Regierungsübernahme zu befinden. Doch wie wir wissen, scheiterte dieses Projekt. Das letzte Stimmungsbarometer von eldiario.es räumt Podemos nur noch bescheidene zehn Prozent der Stimmen ein.
Nach links und rechts
Die Strategie von Podemos, wie sie eins zu eins von ihrer Führungsfigur vorgegeben wurde, geht nicht auf. Auf ihrem Weg in die „Mitte“ verloren sie Stimmen nach rechts, an die neue konservative Partei Ciudadanos (Bürger*innen) und die sozialdemokratische PSOE, die eine enorme Widerstandskraft gegen ihren Niedergang als Partei des Regimes bewies. Und sie verloren Stimmen nach links, da sich breite Schichten der Bevölkerung enttäuscht von der neuen Partei abwandten.
Die Frage ist: Was nun? Verschiedene Sektoren innerhalb von Podemos schlagen mehr oder weniger kritisch vor, zum „Podemos der Ursprünge“ zurückzukehren. So drückte es vor einigen Tagen die Generalsekretärin der Partei in Andalusien, Teresa Rodriguez, aus. Sie meinte, die Partei müsse „zurück zu den Wurzeln gehen, als sie ein Werkzeug zum Empowerment der Bevölkerung war“.
„Tausende Zirkel organisierten sich innerhalb weniger Monate, um Politik zu machen wie in der 15M-Bewegung“, sagte Rodriguez, führendes Mitglied der Gruppe Anticapitalistas, weiter. Dabei versucht sie einen schwierigen Balanceakt zwischen ihrer Kritik an der Podemos-Führung und ihrer vollständigen Unterordnung unter dieselbe (die soweit ging, dass sich ihre alte Organisation, Izquierda Anticapitalista, in Podemos auflöste).
Gibt es einen primitiven Ursprung, zudem man zurückgehen könnte, um Podemos in eine Organisation zu verwandeln, die die dringenden Forderungen der Arbeiter*innen und Massen erkämpfen kann? Wie Alejandro Arias schrieb, lassen sich einige positive Elemente aus der Entstehungszeit von Podemos herausziehen, „wie die politische Organisierung breiter Bevölkerungsschichten, nicht nur von Aktivist*innen, sondern auch von Sektoren, die vorher passiv waren“. Doch dieses „Podemos der Ursprünge“ war die Grundlage für das aktuelle Podemos, das sich nicht heute, sondern schon vor einem Jahr konsolidierte. Auch damals wurde, bis auf seltenste Ausnahmen, das politische Projekt von Pablo Iglesias nie infrage gestellt.
In der Krise
Ein Jahr nach der Versammlung in Vista Alegre befindet sich das Projekt an sich in der Krise: Die „populistische Hypothese“ oder, noch schlimmer, die Ablehnung der Notwendigkeit einer organischen Verbindung mit der Arbeiter*innenklasse und dem Klassenkampf als Motor tiefgreifender sozialer Veränderungen; die Überbewertung des Diskurses (und des Fernsehens) als Erschaffer von „Kräfteverhältnissen“; die mangelnde politische Klarheit als Methode und die Wiederbelebung des sozialdemokratischen Credos als Programm; die bürokratische Zentralisierung einer Partei aus Sympathisant*innen, die für die „Medien-Politik“ und nicht für den Aktivismus organisiert sind; die passive Integration in die liberale Demokratie und die Annahme ihrer Legalität und Spielregeln.
Jeder kritische Blick auf den aktuellen Kurs von Podemos macht eine Infragestellung des gesamten Projektes, seiner Führung, seines Programms und seiner politischen Strategie nötig. In diesem Sinn wird diese Strategie auch aus einem „autonomen“ Blickwinkel angegriffen. Ein Ausdruck davon ist die kürzlich öffentlich gewordene Kritik von Emmanuel Rodríguez nach der Implosion von Ahora en Común, einem Wahlbündnis aus Basisinitiativen und politischen Gruppierungen unter der Schirmherrschaft der reformistischen Partei „Vereinigte Linke“ (IU):
„Den anfänglichen Erfolg von Podemos kann man nicht ohne den Motor der 15M-Bewegung und ihre demokratisierende Energie verstehen“, schreibt Rodríguez. Das Problem sei gewesen, dass die „Partei-Form“ (Podemos) auf die Bewegung (15M) gestülpt wurde. Es sei nötig gewesen, diese Bewegung weiter hin zu „einer ‚Allianz der Bürger*innen’ mit einem gemeinsamen Programm für einen verfassungsgebenden Prozess“ zu entwickeln.
Das Problem an dieser Sichtweise ist, dass Podemos aus einer Dynamik heraus entstand, in der die „Empörten“ als demokratische Bewegung sich nicht an die Arbeiter*innenklasse als grundlegende Verbündete wandten – sie gingen nicht „von den Plätzen in die Betriebe“. Damit beschränkten sie sich auf eine Infragestellung der politischen Formen des Staates.
Podemos blieb also ein Nebenprodukt der Blockade eines möglichen Anstiegs des Klassenkampfes. Dieser Anstieg kam nicht zu Stande – dies lag zu großen Teilen an den reformistischen Parteien und besonders an den bürokratischen Führungen der Gewerkschaften. Dadurch erstarkte Podemos in dem Grade, in dem die soziale Mobilisierung und der Klassenkampf abnahmen. Sie war sogar aktiv an der Passivisierung beteiligt.
Bewegung und Partei
Der Gegensatz zwischen „Bewegung“ und „Partei“ ist nicht hilfreich, sondern birgt das Risiko eines Rückschrittes von der „politischen Illusion“ hin zur ursprünglichen „sozialen Illusion“.
Nicht der Kampf gegen die „Herrschaft der Parteien“ ist notwendig, sondern der Aufbau einer neuen Form von Partei, die demokratisch, revolutionär, antikapitalistisch und organisch in der Arbeiter*innenklasse und den Massen verankert ist. Eine Partei, die – während sie die Grenzen der neoreformistischen Varianten aufzeigt – zum Aufbau von Organen der Selbstorganisierung der Massen beiträgt, die die Macht und das Eigentum der Kapitalist*innen hinterfragt, also die sozialen Beziehungen angreift, die den Staat aufrecht erhalten. Das ist der einzige Weg, einen ernsthaft „verfassungsgebenden Prozess“ zu eröffnen, in dem „alles diskutiert wird, um alles zu ändern“.
Wir erinnern daran, dass im Laufe der Geschichte diese Organe der direkten Demokratie (Sowjets, Räte, Koordinierungen) außerhalb der Institutionen des kapitalistischen Staats entstanden sind und diese mit ihrer eigenen Legitimität konfrontierten, anstatt sich in sie zu integrieren und sie „zu verwalten“.
Nach acht Jahren kapitalistischer Krise wird es langsam Zeit, dass eine neue revolutionäre und antikapitalistische politische Hypothese stärker wird, die eine subversive Beziehung zwischen den sozialen Bewegungen und der Partei aufbaut. Die Partei muss ihren Einfluss unter den Arbeiter*innen und Massen ausbauen, indem sie die Bewegung selbst vorantreibt, revolutionäre Fraktionen in den Gewerkschaften und Massenorganisationen gründet und die Selbstorganisierung und die Einheitsfront im Klassenkampf organisiert.
Könnte diese neue Hypothese im Spanischen Staat mittelfristig an Gewicht gewinnen? Das wird sich zeigen. Doch mit Sicherheit ist es die einzige realistische Hypothese, um „den Himmel zu erstürmen“.
zuerst veröffentlicht am 21. Oktober bei IzquierdaDiario.es