Plebiszit in Chile: Die neue Verfassung ist ein historischer Betrug

31.08.2022, Lesezeit 20 Min.
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Quelle: Wikimedia Commons

In Chile wird am 4. September über eine neue Verfassung abgestimmt. Welche Position sollen Revolutionär:innen dazu einnehmen? Wie sieht eine unabhängige Alternative der Arbeiter:innenklasse und der Massen aus? Erklärung unserer chilenischen Schwesterorganisation PTR.

Wir veröffentlichen im Folgenden die Erklärung unserer chilenischen Schwesterorganisation, der Partei Revolutionärer Arbeiter:innen (PTR), zum Verfassungsplebiszit am 4. September. Sie wurde von der VI. Nationalen Konferenz der PTR verabschiedet und erschien zuerst am 16. August 2022 auf Spanisch bei La Izquierda Diario Chile

Wenige Wochen vor dem Plebiszit am 4. September gaben alle regierungsfreundlichen Parteien (von der Kommunistischen Partei Chiles über die reformistische Frente Amplio bis zu den Parteien der ehemaligen Mitte-Links-Koalition „Concertación“) hinter dem Rücken der Bevölkerung einen neuen Pakt bekannt, um die chilenischen Rechte sowie die Kapitalist:innenklasse zu beruhigen. Worüber wird am 4. September tatsächlich abgestimmt? Es geht um einen Blankoscheck für die Parteien, um den ohnehin schon moderaten Entwurf einer neuen Verfassung weiter einzuschränken und gemeinsam mit dem rechten Sektoren im Kongress Reformen auszuhecken.

Die Parteien der Koalition „Apruebo Dignidad“ (aus der der aktuelle chilenische Präsident Gabriel Boric kommt, A.d.Ü.) sowie die der ehemaligen „Concertación“ verpflichteten sich, auch unter der neuen Verfassung ein gemischtes Rentensystem zu garantieren, in dem die AFPs (das private Rentensystem Chiles) weiterbestehen wird; sie versprachen, den Ausnahmezustand wieder einzuführen, um das Militär im Falle einer „ernsthaften Störung der öffentlichen Sicherheit“ einzusetzen; die Profite der privaten Gesundheitskliniken zu schützen; die Justiz und die Zustimmung der indigenen Völker zu begrenzen; die Eigentumsrechte weiter zu stärken und einige Punkte des politischen Systems zu ändern.

Es gibt jedoch keinen Grund, überrascht zu sein. Das „Friedensabkommen“ nach dem Aufstand 2019 und die neue Verfassung sowie die von allen Fraktionen des Verfassungskonvents verabschiedeten Übergangsnormen haben dem gegenwärtigen, unter Pinochets Verfassung gewählten Kongress bereits zahlreiche Instrumente an die Hand gegeben, mit denen er tun und lassen kann, was er will.

Zwei Versuche, die Hegemonie der herrschenden Klasse wiederherzustellen

Das rechte Lager hat eine hasserfüllte und demagogische Kampagne zur Ablehnung des Verfassungsentwurfs beim Plebiszit durchgeführt. Hinter ihren Losungen wie „Wahlfreiheit“, „Gleichheit vor dem Gesetz“ und ihre Fake News zu den Themen Wohnen, Abtreibung, Gesundheit usw. verbirgt sich eine erbitterte Verteidigung des Erbes der Pinochet-Diktatur, der AFPs, der Isapres (private, gewinnorientierte Krankenversicherungen), der Immobilienspekulation, der konservativen Moral der Kirche, die seit jeher gegen das Recht auf umfassende Sexualerziehung, das Recht auf Abtreibung und die Anerkennung sexueller Dissidenz ist, und eine Verteidigung der großen Bergbau- und Forstunternehmen, der Großgrundbesitzer:innen, die die natürlichen Ressourcen auf Kosten von Niedriglöhnen und Umweltzerstörung plündern.

Hinter dieser Kampagne stehen nicht nur rechte Parteien, sondern auch wichtige Personen der Christdemokraten wie Ximena Rincón, Matías Walker oder Felipe Harboe. Die wichtigsten Wirtschaftsverbände, angeführt von Juan Sutil, dem Präsidenten des Verbandes für Produktion und Handel, sind ebenfalls Teil der Ablehnungskampagne.

Im Lager des „Apruebo“ („Ich stimme zu“) befindet sich jedoch nicht nur „das Volk“ oder „die sozialen Bewegungen“, wie die Narrative des Reformismus es zu verstehen geben. Die wichtigsten Parteien der ehemaligen Regierungskoalition Concertación – die PPD („Partei für die Demokratie“), die DC (Christdemokraten) und die Sozialistische Partei – schlossen sich dem „Ja“ zur Verfassung an. „Apruebo Dignidad“ und Socialismo Democrático (der Name der heutigen Koalition, die zum Großteil aus Parteien der ex-Concertación besteht) sind tatsächlich heute die beiden Teile der Regierungskoalition. Die neue Verfassung wurde zudem auch von „progressiven“ Unternehmer:innen und internationalen Finanzagenturen gebilligt.

Es handelt sich also um den Versuch von Teilen der herrschenden Klasse, eine neue „Übergangsperiode“ einzuleiten, um dem kriselnden politischen Regime neues Leben einzuhauchen, indem bestimmte soziale Rechte anerkannt werden. Das Ziel ist, die Organisationen der Arbeiter:innen und des verarmten Volkes zu kooptieren und die Autorität des kapitalistischen Staates wiederherzustellen. Analog zum Plebiszit von 1988, als es um die Frage der Kontinuität Pinochets im Amt ging, stellt die neue Verfassung eine erneute historische Falle dar: Die Massen sollen ihre „Zustimmung“ erteilen, damit später gemeinsam mit den Rechten ein neuer „Übergangspakt“ gestaltet werden kann, bei dem die Forderungen und Erwartungen der Arbeiter:innenklasse und des verarmten Volkes wieder einmal ungelöst bleiben werden.

Ein großer Teil der Bevölkerung hofft, dass mit der neuen Verfassung die Pinochet-Verfassung abgeschafft wird. Die neue Verfassung erkennt eine Reihe von Rechten an, die jahrzehntelang verweigert wurden, wie z. B. sexuelle und reproduktive Rechte, das Recht auf Bildung, das Recht auf angemessenen Wohnraum, die Anerkennung von Haus- und Pflegearbeit, die verfassungsmäßige Anerkennung indigener Völker und einen umfangreichen Katalog von weiteren Rechten. Dass der Verfassungskonvent diese Rechte in den Verfassungstext aufnahm, liegt daran, weil seit Jahrzehnten auf der Straße dafür gekämpft wird.

Doch während soziale Rechte versprochen werden, hat der Linksreformismus gemeinsam mit den Rechten das gesamte wirtschaftliche Erbe der Diktatur beibehalten, von der Privatisierung über die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen bis hin zur Prekarisierung der Arbeit und dem Profitschlagen aus der Bildung und Gesundheit. Aber außerdem kollidieren diese Versprechen mit einer wirtschaftlichen und sozialen Krise, in der die Inflation die Löhne auffrisst, in der das Leben immer unsicherer wird und in der die Bänker:innen und Unternehmer:innen weiterhin die Gewinner:innen sind.

Es sind nun fast drei Jahre Mobilisierungen vergangen, und es hat sich nichts geändert. Forderungen, für die im Oktober 2019 gekämpft wurden, konnten nicht durchgesetzt werden: angemessene Löhne und würdige Renten; ein Ende der Wartelisten für eine kostenlose und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung; kostenlose öffentliche Bildung für alle, ein Ende der Schulden aus dem staatlich garantierten Bildungskredit CAE; ein Ende der AFP und angemessene Renten für unsere Großeltern. Weder die Freiheit der Gefangenen des Aufstandes noch die Inhaftierung von Piñera und der unbestraft freilaufenden Mörder:innen konnten durchgesetzt werden. Während der Reformismus von Plurinationalismus spricht, verschärft die Regierung Borics die staatliche Gewalt mit der Militarisierung der Wallmapu (das historische Siedlungsgebiet der indigenen Mapuche), der Militarisierung der Grenzen und der Grenzstädte und der Vertreibung von Straßenverkäufer:innen in den Armenvierteln durch die Polizei.

Währenddessen in der Jugend, profilieren sich Student:innenorganisationen wie der Confech unter der Führung der Frente Amplio und der Kommunistischen Partei als Sprachrohr der Regierung. Statt die Student:innen- und Schüler:innenbewegung, die der Auslöser der Rebellion war, zu entwickeln und zu stärken, akzeptieren sie lieber Brosamen wie die klägliche Erhöhung des BAES-Stipendiums um 4.800 Peso (umgerechnet etwas mehr als 5 Euro). Und das, nachdem Tausende von Schüler:innen nicht nur für diese Forderung, sondern auch gegen sexistische Gewalt, für die Freilassung politischer Gefangener oder für die Verbesserung der Infrastruktur und allgemein gegen die Krise des öffentlichen Bildungswesens demonstriert hatten. Die Jugendlichen, die über die U-Bahn-Drehkreuze sprangen und so gegen die steigenden Nahverkehrspreise protestierten, durften nicht einmal so etwas Grundlegendes tun wie wählen und gewählt werden. Im Gegenteil wurde das ihnen aktiv verwehrt, und heute werden sie angesichts ihrer Mobilisierungen, wie z. B. der Besetzung ihrer Gymnasien, von der Regierung unterdrückt.

Weder der Verfassungskonvent noch die Regierung Boric haben strukturelle Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Arbeiter:innen nicht für die Kosten der Krise zahlen müssen. Aus diesem Grund ist ein bedeutender Teil der arbeitenden Bevölkerung auf diesem Weg desillusioniert worden. Die neue Verfassung entspricht nicht den Forderungen, für die im Oktober 2019 gekämpft wurde, und wird diese auch nicht erfüllen. Der von Boric geführte Block des „Apruebo“ passiviert die sozialen Bewegungen und spielt gleichzeitir zunehmend der Rechten in die Hände und stärkt sie.

Der Verfassungskonvent und das Aushecken neuer Pläne hinter dem Rücken der Massen

Wir von der Partei Revolutionärer Arbeiter:innen (PTR) beteiligen uns seit Jahrzehnten am Kampf für die Beseitigung aller Hinterlassenschaften der Diktatur und teilen den Wunsch von Millionen Menschen, Pinochets Verfassung abzuschaffen. Wir glauben jedoch, dass wir weder mit diesem verfassungsgebenden Prozess noch mit der Regierung Boric in der Lage sein werden, die Forderungen der Oktober-Rebellion durchzusetzen, geschweige denn den Privilegien einer Handvoll Kapitalist:innen, den strukturellen Ungleichheiten und dem Elend dieses Systems ein Ende zu setzen.

Während der Rebellion kämpften wir für die Absetzung Piñeras durch den Generalstreik und die Einsetzung einer freien und souveränen verfassungsgebenden Versammlung, die sich der Institutionen des alten Regimes nicht unterordnet und alle Forderungen der Rebellion erörtert und aufgreift. Wir kämpften für den Aufbau von Organen der Selbstorganisierung der Arbeiter:innenklasse und des verarmten Volkes, die in der Lage sind, die kapitalistischen Mächte – sowohl die wirtschaftlichen als auch die repressiven – zu konfrontieren und zu besiegen, um eine Arbeiter:innen-Regierung zu erkämpfen.

Wir gehörten zu den zig Tausenden, die das Friedensabkommen und die neue Verfassung als einen Pakt hinter dem Rücken des Volkes anprangerten, um Piñeras Haut zu retten, Straffreiheit zu gewährleisten und einen verfassungsgebenden Prozess voller Fallen einzuführen, damit am Ende die Kapitalist:innen und ihre Politiker:innen bestimmen können, welche Änderungen vorgenommen werden und welche nicht. Bei den Wahlen zum Verfassungskonvent haben wir die „Liste der Revolutionären Arbeiter:innen“ unterstützt, die für ein Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse kämpfte und eine breite Agitation unter der Arbeiter:innenklasse und dem verarmten Volk machte.

Wir prangerten auch an, dass der Verfassungskonvent sich völlig den bisherigen Verfassungsorganen unterordnete und sich von den Nöten und Dringlichkeiten des verarmten Volkes entfernte. Wir haben aus erster Hand erfahren, wie der Verfassungskonvent die Freiheit der Gefangenen der Rebellion abgelehnt hat, da wir gemeinsam mit Familien und Aktivist:innen eine Volksinitiative für die Freiheit der politischen Gefangenen initiierten, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgelehnt wurde. Der Verfassungskonvent ist keineswegs eine Errungenschaft der Rebellion, wie Gruppen wie die Konstituierenden Sozialen Bewegungen oder das Movimiento Internacional de Trabajadores (LIT-CI) von María Rivera behaupten, sondern einer der wichtigsten Mechanismen zur Demobilisierung. Weder der Konvent noch deren Mitglieder waren Instrumente, um die unabhängige Organisation der Arbeiter:innenklasse und Sektoren des Volkes zu stärken, sondern um die Straße den alten Verfassungsmächetn unterzuordnen – denselben Kräften, die heute bereits mit der Rechten hinter den Kulissen Reformen aushandeln.

Diese Politik eines Konvents, der weit von den Bedürfnissen des verarmten Volkes und der Forderungen des Oktoberaufstandes entfernt ist, hat entscheidend dazu beigetragen, Millionen von Menschen zu demoralisieren und den Weg für das Erstarken der Rechten und der extremen Rechten zu ebnen, die nach ihrer Zeit auf der politischen Intensivstation nun mit ihren reaktionären Forderungen wieder die Tagespolitik mitbestimmen.

Die neue hinter den Kulissen ausgehandelte Absprache, die von den Regierungsparteien – von der Kommunistischen Partei bis zur ehemaligen Concertación – unterzeichnet wurde, zielt nun darauf ab, den Rechten und die Großkapitalist:innen zu beruhigen. Es ist dieser Weg, der die Rechte und die extreme Rechte gestärkt hat. Dieser Ausweg wurde der Rechten auch von denjenigen Sektoren eröffnet, die vor Beginn des Verfassungskonvents davon gesprochen hatten, „den Konvent zu umzingeln“ und „nicht zu tagen, solange es politische Gefangenen gibt“, wie die Konstituierenden Sozialen Bewegungen oder die KP selbst. Denn als sie in den Verfassungskonvent gewählt wurden, ließen sie diese Losungen beiseite und widmeten sich einer parlamentarisch-institutionellen Praxis, ohne ihre Stellungen zu nutzen, um die außerparlamentarische Mobilisierung zu stärken, um den reaktionärsten und konservativsten Sektoren entgegenzutreten. Und was soll man über die Gewerkschaftsbürokratie der CUT sagen, die sich selbst voll den parlamentarischen Zeiten unterwarf, ohne einen Finger zu rühren, um ernsthaft gegen die prekären Bedingungen, in denen Arbeiter:innen ihr Dasein verbringen, zu mobilisieren. Stattdessen integrierte sie sich immer mehr in die Regierung und begnügte sich mit einem „historischen“ Mindestlohn, der jetzt schon von der Inflation aufgezehrt wurde.

Selbst nachdem die Ex-Concertación, die KP und die Frente Amplio ein Abkommen zur „Reform“ im Falle eines Sieges des „Ja“-Lagers beim Plebiszit ausgeheckt haben, rufen zahlreiche Organisationen der Linken und sogar diejenigen, die sich selbst als „revolutionär“ bezeichnen, weiterhin zum „Apruebo“ („Zustimmung“ zum Verfassungsentwurf) auf. Damit unterwerfen sie sich selbst vollständig diesem Abkommen. Sie rufen dazu auf, das Apruebo zu „verteidigen“, obwohl bereits bekannt ist, dass der Verfassungsentwurf dann in das Hornissennest des Senats gehen wird, wo alle Entscheidungen mit den Rechten ausgehandelt und zu einem neuen „Pakt“ gekrönt werden, der den Interessen des verarmten Volkes entgegen gesetzt sein wird. Diese Organisationen sind weit davon entfernt, der Arbeiter:innenklasse zu helfen, Erfahrungen auf dem Weg zu einer unabhängigen politischen Position zu machen. Stattdessen tragen sie dazu bei, die Massenbewegung der Führung der Mitte-Links-Kräfte und der Regierung unterzuordnen – also einer Politik der Klassenkollaboration mit jenem Sektor des Reformismus, der die Geschäfte der Kapitalist:innen in den letzten der 30 Jahren mitverwaltete, und somit zur Passivierung der Bewegungen.

Aus all diesen Gründen unterstützen wir weder den verfassungsgebenden Prozess noch die neue Verfassung, die sich als ein neuer historischer Betrug entpuppen wird und sich völlig dessen unterordnen wird, was die Parteien im gegenwärtigen Kongress festlegen. Am 4. September werden wir also ungültig stimmen. Als Sozialist:innen werden wir nicht für eine Verfassung stimmen, die neue Grundlagen für die Ausbeutung des chilenischen kapitalistischen Staates schafft. Dieser verfassungsgebende Prozess ist das Kleid, mit dem die Ausbeutung und Unterdrückung des kapitalistischen und patriarchalen Chile umhüllt wird. Deshalb kämpfen wir für eine Alternative und ein Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und der verarmten Volkssektoren.

Für ein Programm der Arbeiter:innen und des verarmten Volkes, um die Oktoberforderungen durchzusetzen und die Kapitalist:innen für die Krise bezahlen zu lassen

Vor dem Hintergrund dieses Szenario müssen wir uns zusammenschließen und all diejenigen organisieren, die der Meinung sind, dass die tiefsten Ursachen der Rebellion nicht gelöst wurden und dass sie nicht durch die Institutionen dieses Regimes gelöst werden. Wir werden diese Rechte nur erobern, wenn wir die Interessen der Großkapitalist:innen antasten und nicht, indem wir einen Pakt hinter dem Rücken des Volkes billigen, der mit den traditionellen Parteien und dieser Regierung ausgehandelt wurde.

Die Versprechen der neuen Verfassung stehen im Widerspruch zur aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Wir können nicht erwarten, dass die in der neuen Verfassung verankerten Rechte Wirklichkeit werden, wenn sie nicht durch den Kampf und die Organisation der Arbeiter:innenklasse und des verarmten Volkes verwirklicht werden. Beginnend mit der Forderung nach einem Finanzierungsplan, der einen kostenlosen, qualitativ hochwertigen, nicht-sexistischen, universellen und uneingeschränkten Zugang zur öffentlichen Bildung ohne jegliche Subventionierung des privaten Sektors gewährleistet; für die sofortige Abschaffung des CAE-Bildungskreditsystems; für die Abschaffung der Wartelisten durch die Einrichtung eines einheitlichen Gesundheitssystems, das vom Staat und durch Steuern auf große Vermögen finanziert wird; für einen von Arbeiter:innen und Wohnungsbauausschüssen verwalteten Wohnungsbauplan, um das wachsende Wohnungsdefizit zu beheben. Abschaffung der AFP und Einführung eines solidarischen, von den Arbeiter:innen und Rentner:innen verwalteten Verteilungssystems, ohne welches das „Recht auf soziale Sicherheit“ nur leeres Gerede ist. Ebenso kämpfen wir für das Recht auf freie, sichere und kostenlose Abtreibung im öffentlichen Gesundheitssystem, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, umfassende Sexualerziehung und die Forderungen der Frauen, die das rechte Lager im Kongress zu beschneiden versuchen wird, indem sie gemeinsam mit Apruebo Dignidad und der ehemaligen Concertación einen neuen Pakt aushecken werden.

Dieser Kampf muss von einem Programm begleitet werden, das die Forderungen der Arbeiter:innen und des verarmten Volkes in den Mittelpunkt stellt, die in der neuen Verfassung nicht gelöst werden. Die herrschende Klasse und ihre Politiker:innen wollen die kämpfenden Sektoren bei diesen Wahlen spalten – und das zu einem Zeitpunkt, in dem es für die Arbeiter:innenklasse am dringlichsten ist, für ein Notprogramm der Arbeiter:innen zu kämpfen, damit die Krise von den Kapitalist:innen bezahlt wird. Denn die Inflation frisst die Löhne auf, die Mieten und Rechnungen steigen und die Lebensbedingungen werden immer prekärer. Es handelt sich um grundlegende Forderungen wie eine allgemeine und sofortige Anhebung der Löhne entsprechend der Lebensmittelinflation sowie einen Mindestlohn und eine Mindestrente von umgerechnet 780 Euro; die Verkürzung des Arbeitstages und die Aufteilung der Arbeitszeit auf Beschäftigte und Arbeitslose ohne Lohnkürzungen; die Beendigung der Teuerung bei der Grundversorgung mit Wasser, Strom und Treibstoff, indem alle Unternehmen der Grundversorgung, die mit den Preisen spekulieren, wie es im Fall von Metrogas geschehen ist, entschädigungslos enteignet und unter die Leitung der Arbeiter:innen gestellt werden. Außerdem muss für die Verurteilung und Bestrafung aller in der Repression verwickelten Kräften sowie die Auflösung der Carabineros (chilenische Polizei) gekämpft werden.

Dazu müssen die großen Vermögen des Landes angetastet werden – jenes Vermögen, das sich in diesen letzten 30 Jahren durch die Verweigerung der Bedürfnisse des verarmten Volkes, durch die Ausplünderung der Umwelt, des Gesundheits- und Bildungswesens oder durch die Enteignung der Mapuche-Gemeinden gebildet hat. Mit anderen Worten: Verstaatlichung strategischer Ressourcen wie Kupfer oder Lithium unter der Verwaltung von Arbeiter:innen und Gemeinschaften. Gleichzeitig müssen grundlegende Maßnahmen ergriffen werden, um die nationale Abhängigkeit vom Imperialismus, die sich heute durch die Abwertung gegenüber dem Dollar und die Inflation noch verschärft, durch die Verstaatlichung des Bankensystems zu bekämpfen. Gleichzeitig müssen wir angesichts der historischen Forderungen des Mapuche-Volkes der Militarisierung der Wallmapu ein Ende setzen, die Rückgabe der von den Gemeinschaften beanspruchten Ländereien garantieren und das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker sicherstellen.

Wir kämpfen für dieses Programm, um die Mobilisierung und Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und der verarmten Volkssektoren zu entfalten, ausgehend von einer Politik der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse in der Perspektive des Kampfes für eine Arbeiter:innenregierung. Wir Sozialist:innen kämpfen dafür, dass die großen Hebel der Wirtschaft in gesellschaftliches Eigentum übergehen und die Handvoll Familien, die heute das Land regieren, enteignet werden, damit diese Ressourcen demokratisch von der Arbeiter:innenklasse und den Gemeinden, der großen Mehrheit des Landes, verwaltet werden können.

Dies steht für uns in der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus und der Umgestaltung der Gesellschaft auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den wichtigsten wirtschaftlichen und produktiven Ressourcen, die sich heute in den Händen einer Handvoll Familien befinden, die das Land regieren. Diese herrschenden Gruppen haben Interessen, die der Mehrheit entgegengesetzt sind: Wenn es darum geht, reich zu werden, zögern sie nicht, durch Umweltverschmutzung Regionen zu „opfern“; sie zögern nicht, den Mapuche Land wegzunehmen, während sie inmitten der Inflation miserable Gehälter zahlen. Sozialismus bedeutet, dieses Elend hinter sich zu lassen, und dafür bedarf es keinen „neuen Gesellschaftsvertrag“ mit den Kapitalist:innen, sondern die wichtigsten Produktionszentren und wirtschaftlichen Ressourcen in den Dienst der gesamten Gesellschaft zu stellen, die von den Arbeiter:innen demokratisch verwaltet wird. Für diese Gesellschaft zu kämpfen, in der Perspektive einer Welt ohne Ausgebeutete und Unterdrückte, bedeutet, sich den Großmächten der herrschenden Klasse, ihrem Staat, ihren repressiven Kräften entgegenzustellen und sie durch eine soziale Revolution zu besiegen. Deshalb müssen wir eine Partei der Arbeiter:innenklasse aufbauen, die an den Arbeits- und Studienplätzen verwurzelt ist. Diesem Kampf, den wir uns nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf internationaler Ebene als Teil der Trotzkistischen Fraktion für den Wiederaufbau der Vierten Internationale führen, widmen wir uns. Eine Partei, die sich den Sieg auf ihre Fahnen geschrieben hat, und für die Eroberung einer Arbeiter:innenregierung kämpft, die mit dem Kapitalismus bricht.

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