Petry-Austritt: Auch die Reaktion „frisst ihre eigenen Kinder“
Nur einen Tag nach dem fulminanten Wahlerfolg der AfD tritt ihre Vorsitzende Frauke Petry zuerst aus der neuen Bundestagsfraktion aus und kündigt später den Parteiaustritt an. Droht nun schon die Spaltung?
Es war die erste Pressekonferenz, nachdem die Alternative für Deutschland (AfD) am Ende ihres provokanten fremdenfeindlichen und sexistischen Wahlkampfs mit 12,7 Prozent in den Bundestag einzog. Der eigentliche Plan der Spitzenkandidat*innen Alexander Gauland und Alice Weidel war es, voller Freude den Medien die rassistischen Parolen ihrer Partei mitzugeben. Schon am Tag zuvor hatte Gauland den Ton angegeben: Sie werden die neue Regierung „jagen“.
Doch ausgerechnet die Parteivorsitzende Frauke Petry stahl ihnen die Show mit der Ankündigung, nicht Teil der kommenden AfD-Fraktion zu sein und stattdessen als Einzelabgeordnete im Bundestag zu sitzen. Später folgte der Rücktritt vom Fraktionsvorsitz im Sächsischen Landtag und die Ankündigung des Parteiaustritts. Ihr folgten zwei weitere Abgeordnete aus dem Sächsischen Landtag sowie ihr Ehemann Marcus Pretzell aus dem Landtag in Nordrhein-Westfahlen und ein weiterer Abgeordneter aus diesem Bundesland.
Machtoption oder Protestpartei?
Was alle im ersten Moment überraschte, entblößte sich schnell als ein gut kalkulierter Plan. Schon seit Anfang des Jahres hatte sich Petry dafür eingesetzt, dass die AfD eine „realpolitische“ Ausrichtung annimmt, um 2021 regierungsfähig zu sein. Sie wollte in Kurzform die Entwicklung anderer rechtsextremer Parteien in Europa wie dem FN oder der FPÖ durchziehen, die nach Jahrzehnten in der politischen Landschaft bei Wahlen um die Regierungsmacht kämpfen. In Österreich gibt es auf Landesebene schon eine Koalition mit der SPÖ und auch auf Bundesebene können sich einige Sozialdemokrat*innen ein solches „Rot-Blaues“ (oder Blau-Rotes) Bündnis vorstellen.
Dafür stellte sie unter anderem einen Antrag zum Ausschluss von Björn Höcke, dem Fraktionschef der AfD im Thüringer Landtag. Er bildet gemeinsam mit anderen Figuren wie André Poggenburg und Alexander Gauland die Speerspitze des proto-faschistischen Flügels der Partei und das Bindeglied zu Pegida, Bürgerschaften und Neo-Nazi-Banden. Sie stehen für eine enge Verbindung zur rechtsextremen Bewegung und wollen vor allem das Anti-Establishment- und Protestprofil der AfD behalten, ganz im Gegensatz zu Petrys Plänen eines „pragmatischen“ Rechtspopulismus.
Eins ist klar: beide Flügel stehen für das selbe Programm, dass eine Mischung aus neoliberalen Privatisierungen, frauenfeindlicher „Familienpolitik“ und rassistischer Hetze gegen Migrant*innen und Geflüchtete darstellt. Es ging „nur“ um die Frage, wie ein solches Programm durchzusetzen sei: auf dem Weg der größtmöglichen Konfrontation und durch Druck von der Straße oder durch eine Etablierung in der Parteienlandschaft und sich ermöglichende Abkommen mit der Union.
Auf dem Parteitag in Köln Ende April scheiterte Petry jedoch kläglich, als sie ihren sogenannten „Zukunftsantrag“ zur Debatte stellen wollte, der für eben diese strategische Ausrichtung der AfD auf eine möglichst schnelle Regierungsbeteiligung stand. Schon zuvor hatte sie in einer Videobotschaft verkündet, nicht als Spitzenkandidatin antreten zu wollen – vorzeitiges Eingeständnis einer sicheren Niederlage.
Schon damals wird sie die Pläne entwickelt haben, die zu ihrem Parteiaustritt führten und im Juli registrierte sie die Webdomain www.dieblauen.de. Ein frühzeitiger Austritt wäre nicht nur für die Partei schädlich gewesen, wie sie jetzt behauptet. Sie wäre mit Sicherheit nicht als Direktkandidatin für ihren Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 37,4 Prozent der Stimmen in den Bundestag eingezogen und damit eine der wenigen Direktkandidat*innen der AfD geworden. Mit dem Parlamentssitz und der elektoralen Legitimation im Rücken tritt es sich leichter aus, auch wenn die AfD einen großen Erfolg erzielte.
Ende des Flügelkampfes?
Man kann darüber spekulieren, ob Petry bei einem schlechteren Ergebnis den innerparteilichen Kampf gesucht hätte und Gaulands Nazi-Sprüche für das Abschneiden verantwortlich gemacht hätte. Fakt ist, dass sie unter den gegebenen Umständen keine Möglichkeit für einen erfolgreichen Flügelkampf mehr gesehen hat. Der Wahlerfolg und die Stärkung der neuen de-facto-Parteiführung um Gauland und Weidel macht jedoch auch den Austritt aus der drittstärksten Fraktion in Bundestag nicht attraktiv. Darauf deuten auch die letzten Tage hin, in denen die AfD große Geschlossenheit bewahrte.
Frauke Petry droht, zum „Bernd Lucke 2.0“ zu verkommen. Auch Lucke hatte sich 2015 für eine Ausrichtung hin zum rechten Rand der CDU ausgesprochen und sich gegen den faschistoiden Flügel gestellt. Die Quittung war sein Austritt und der darauffolgende Untergang seiner neugegründeten „Alfa“-Partei.
Kurzfristig ist es definitiv so, dass die Wahlstrategie sowohl bei der Parteibasis als auch in der Führung kaum auf Kritik stoßen wird. Mit Hilfe der bürgerlichen Medien ist es gelungen, das arbeiter*innenfeindliche Programm der AfD im Wahlkampf zu verbergen, und sich als – rechtsextreme – Stimme des „besorgten Bürgers“ der vorhandenen Ressentiments in Teilen der Arbeiter*innenklasse und der Mittelschicht anzunehmen und diese zuzuspitzen. Zu diesem Erfolg trugen auch die bürgerlichen Parteien bei, indem sie nach G20 die Frage des „Linksterrorismus“ als große Gefahr darstellten und sowohl die innere Aufrüstung forderten als auch die Hetze gegen Geflüchtete und Nicht-Deutsche salonfähig machten.
Der AfD war es ein leichtes, sich als konsequenteste Garantin von „Sicherheit und Ordnung“ darzustellen und damit die Unzufriedenheit mit der politischen Kaste auszunutzen. Tatsächlich gelang es ihr, zahlreiche Wahlkampfveranstaltungen von Angela Merkel und der CDU durch Mobilisierungen ihrer rechten Basis effektiv zu stören. Damit war die AfD, wie auch während der gesamten vergangenen Legislaturperiode, die einzige Kraft, die offensiv als Alternative zum politischen Establishment aufgetreten ist. Der Linkspartei, die in drei Bundesländern mitregiert und zumindest zu Beginn des Wahlkampfs auf ein Dreierbündnis mit SPD und Grünen hoffte, ist dies nicht gelungen.
Trotzdem wird zu erwarten sein, dass immer wieder Spannungen zwischen dem moderateren Flügel, der durch Kompromisse mit der kommenden Regierung Teile des Programms umsetzen will, und dem Höcke-Lager aufkommen werden. Dieses will sich weiterhin als einzige „Alternative“ darstellen und dabei den Schwerpunkt auf parlamentarische Provokation und Mobilisierung auf der Straße setzen. In diesem Rahmen wird Petry, sollte sie weitere Unterstützer*innen um sich sammeln können, einen stetigen Druck auf die unerfahrene AfD-Fraktion ausüben. Aber auch Teile der CDU könnte sie für ihr Projekt begeistern, sollten diese unzufrieden sein mit einer möglichen Jamaika-Koalition unter Beteiligung der Grünen.
Die Gefahr, die von der AfD für die Ausgebeuteten und die Unterdrückten, für Migrant*innen, Geflüchtete, Frauen, LGBTI, Jugendliche und Linke ausgeht, ist mit Petrys Austritt nicht gebannt. Es kommt deshalb in den kommenden Wochen und Monaten darauf an, eine kämpferische Alternative der Arbeiter*innen und Jugendlichen in den Betrieben, Universitäten, Schulen und auf der Straße gegen die AfD und die kommende Regierung aufzubauen.