Peter Hansen: Der Klassencharakter der amerikanischen Verfassung
Peter Hansen schrieb diesen Aufsatz 1939 für The Militant, die Zeitung der Socialist Workers Party. Die Verfassung der Vereinigten Staaten wird wie ein heiliges Buch verehrt, sogar von selbsternannten Progressiven. Aber sie ist ein historisches Dokument, das das Privateigentum der Kapitalist*innen schützt. Dies ist Teil unserer Sammlung über Marxismus und den Schwarzen Kampf.
Seit dem Ende des Weltkriegs ist in Amerika eine Gruppe neuer Sekten aufgetaucht, die sich aus selbsternannten Verteidigern der amerikanischen Verfassung zusammensetzt. Die eifrigsten von ihnen sind die American Security League, die die Schlüsselleute der Amerikanischen, Heeres- und Marine-Liga, die Liga für Verfassungsschutz und der Ku-Klux-Klan. Sogar der alte Leichnam der Sons of the American Revolution – ganz zu schweigen von der reaktionären Vereinigung der Töchter aus der Konföderation – wurde wiederbelebt und schreit laut mit dem Rest.
Diesen Organisationen ist es bis zu einem gewissen Grad gelungen, Amerika eine neue Religion aufzudrängen, in der die Väter der Revolution zu Heiligen und die Verfassung zu einem heiligen Buch gemacht werden. Wie alle religiösen Fanatiker sind die Macher der neuen Religion bereit, jeden zu bestrafen, der es wagt, die Wahrheit ihrer Doktrinen in Frage zu stellen. Zu suggerieren, dass die revolutionären Vorväter doch nur Menschen waren, mit nicht mehr Macht, in die Zukunft zu blicken, als wir heute haben – und vielleicht mit weniger – bedeutet, ihren Zorn auf dich selbst herab zu brechen. Sie sind ebenso bereit, jeden zu verurteilen, der erklärt, die Verfassung sei jetzt überholt; denn sie sind nicht realistisch genug, um anzuerkennen, dass die Verfassungsgeber nicht vom Himmel inspiriert waren, sondern nur von den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Zeit, in der sie lebten.
Diese heiligen Kreuzritter begnügten sich nicht damit, ihre chauvinistische Religion selbst zu praktizieren, sondern taten und tun ihr Bestes, um den amerikanischen Arbeitern die Verehrung der Vergangenheit und die Furcht vor der Fragestellung der amerikanischen Institutionen einzuflößen. Wie die frühen Christen sind die amerikanischen Arbeiter bereit, eher zu leiden, als darüber nachzudenken, ob diese in der Verfassung verankerten Institutionen ihren Interessen dienen oder nicht.
Tatsächlich liegen die Beweise auf der negativen Seite. Nehmen Sie zum Beispiel das Privateigentum und den Schutz des Individuums und vergleichen Sie die heutigen Bedingungen mit denen von vor 150 Jahren. Damals war das meiste Eigentum in Amerika das Ergebnis individueller Arbeit. Amerika war in erster Linie ein Agrarland mit einem Überfluss an unberührtes Land.1 Es war nur sehr wenig Kapital erforderlich, um die Unabhängigkeit eines Mannes zu begründen. Fast jeder konnte Land bekommen und es für den Anbau roden. Nach einigen Jahren der Arbeit war er der Besitzer von Eigentum, das das Ergebnis seiner eigenen Arbeit war. Ein Mann mit ein paar einfachen Werkzeugen war in der Lage, ein Gewerbe ohne die Hilfe eines Kapitalisten auszuüben. Die damalige Verfassung diente bis zu einem gewissen Grad auch den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung (mit Ausnahme der Sklaven), die aus Kleinbauern und selbständigen Handwerkern oder, mit anderen Worten, aus Kleingrundbesitzern bestand.
Tatsächlich liegen die Beweise auf der negativen Seite. Nehmen Sie zum Beispiel das Privateigentum und den Schutz des Individuums und vergleichen Sie die heutigen Bedingungen mit denen von vor 150 Jahren. Damals war das meiste Eigentum in Amerika das Ergebnis individueller Arbeit. Amerika war in erster Linie ein Agrarland mit einem Überfluss an unberührtem Land. Es war nur sehr wenig Kapital erforderlich, um die Unabhängigkeit eines Mannes zu begründen. Fast jeder konnte Land bekommen und es für den Anbau roden. Nach einigen Jahren der Arbeit war er der Besitzer von Eigentum, das das Ergebnis seiner eigenen Arbeit war. Ein Mann mit ein paar einfachen Werkzeugen war in der Lage, ein Gewerbe ohne die Hilfe eines Kapitalisten auszuüben. Die damalige Verfassung diente bis zu einem gewissen Grad auch den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung (mit Ausnahme der Sklaven), die aus Kleinbauern und selbständigen Handwerkern oder, mit anderen Worten, aus Kleingrundbesitzern bestand.
Die Ausbeutung der Arbeit und das Gesetz
Nun wollen wir sehen, ob das heute noch gilt. Zum Beispiel ist Henry Ford, der herausragende Einzelkapitalist im heutigen Amerika, der angebliche Eigentümer einer Industrie, die mindestens 1.000.000.000 Dollar wert ist. Ist diese Milliarde Dollar das Ergebnis von Fords eigener Arbeit? Natürlich nicht. Sie ist das Ergebnis der Arbeit von Hunderttausenden von Lohnarbeitern, die „für“ Ford arbeiten. Sie ist das Produkt sozialer Mühen. In einem System des Privateigentums ist es Ford möglich, diese Hunderttausende von Männern auszubeuten, oder einfacher ausgedrückt, ihnen auf legale Weise den weitaus größten Teil ihrer Produktion auszurauben.
Ford hat in den letzten vier Monaten 50.000 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen und ihnen das Recht verweigert, in der Industrie zu arbeiten, deren Erbauer nicht er, sondern sie selbst waren. Dennoch würde die Regierung Herrn Ford unterstützen, wenn er den Arbeitnehmern die Mittel vorenthält, mit denen sie leben. Gemäß der Verfassung ist es seine Fabrik, nicht ihre. Angenommen, die Ford-Arbeiter würden verlangen, dass er ihnen die Fabrik übergibt. Ford würde sich auf das Recht berufen, das ihm die Verfassung gibt, die besagt: „Niemand darf … ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren … Leben, Freiheit oder Eigentum … entzogen werden … Ebenso wenig darf Privateigentum ohne gerechte Entschädigung in den öffentlichen Gebrauch genommen werden. Und die Streitkräfte des Staates würden ihn in diesem Recht schützen.
Aber was ist mit dem Recht der 50.000 Arbeiter auf Leben, Freiheit und das Recht auf Arbeit – welches das einzige „Eigentum“ der Lohnsklaven ist? Nun, die Verfassung und die Gesetze des Staates haben damit nichts zu tun. Eigentumsrechte stehen an erster Stelle, und das gilt für die gesamte Nation. Und warum? Weil, obwohl in Amerika eine industrielle Revolution stattgefunden hat und wir uns von einem Agrarland zu einem Industrieland, von der individuellen Produktion zur sozialen Produktion gewandelt haben, wir immer noch von Hand und Fuß an ein Dokument gebunden sind, das in einer vorindustriellen Ära geschrieben wurde. Heute besitzt eine kleine Minderheit fast das gesamte Land, die Rohstoffe und die Industrien, während der größere Teil der Bevölkerung eigentumslos ist (Proletarier). Aber wir haben es versäumt, unsere Institutionen so zu verändern, dass sie den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen gerecht werden.
Kapitalismus abschaffen
Von „wir“ zu sprechen, bedeutet jedoch, ungenau zu sein. Die Nation besteht aus denen, die besitzen und denen, die arbeiten. Von diesen beiden großen Klassen profitiert eine, nämlich die Minderheit, die besitzende Klasse, noch immer von der bestehenden Ordnung. Es wäre vergeblich zu erwarten, dass sie eine Veränderung des Gesellschaftssystems in Amerika herbeiführen. Das kann die andere Klasse, die eigentumslosen, nur dann tun, wenn sie zu der Erkenntnis erwacht, dass eine vor 150 Jahren ausgearbeitete nationale Verfassung heute überholt ist und ihren Platz in einem Museum einnehmen muss, da sie der Vergangenheit angehört. Stattdessen müssen neue Institutionen geschaffen werden. Wir, das Proletariat von heute, wissen viel besser als unsere Vorväter, was die sozialen und politischen Erfordernisse von heute sind. Wir können weder zulassen, dass uns die Vergangenheit im Wege steht, noch können wir zulassen, dass eine Handvoll Berufspatrioten und Ahnenverehrer das Rad des Fortschritts zurückhält. Das Proletariat muss und wird all dies beiseiteschieben und seine eigene Verfassung schreiben und seine eigene Geschichte schreiben.
Quelle: The Militant, Band III Nr. 10, 8. März 1930 / Scan: Marxistisches Internet-Archiv / Abschrift: Left Voice
Fußnoten
1. Bemerkung des Übersetzers: Die Bezeichnung „ein Agrarland mit einem Überfluss an unberührtem Land“ ignoriert den Genozid an der indigenischen Bevölkerung auf diesem Kontinent. Keinesfalls war dieses Land frei von Menschen, es wurde erst freigemacht. Das ist auch die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, die mit Gewalt, Vernichtung und Usurpation einherging.