Parteitag der LINKEN in Berlin: Opposition gegen Rot-Grün-Rot formiert sich
Nachdem am Anfang der Woche die Kampagne "Zusammen für eine linke Opposition" begann und am Mittwoch eine Veranstaltung dazu stattfand, findet heute ein Sonderparteitag der LINKEN in Berlin statt. Wie weiter im Kampf gegen die Regierungsbeteiligung?
Heute findet der Sonderparteitag der LINKEN statt, der ab 10 Uhr hier live angeschaut werden kann. Auf dem Parteitag werden sich unter anderem die Aktiven der Kampagne „Zusammen für eine linke Opposition“ gegen einen Eintritt der LINKEN in eine RGR-Koalition in Berlin einsetzen. Bis 17. Dezember läuft ein Mitgliederentscheid, bei dem die LINKEN-Mitglieder über die Regierungsbeteiligung abstimmen.
Gründe gegen den Eintritt in die Koalition gibt es genug. Unter anderem wurden sie auf einer Veranstaltung in Berlin am vergangenen Mittwoch diskutiert. Ferat Kocak, MdA, nennt sich selbst „Aktivist im Parlament“. Der Neuköllner möchte als Sprachrohr für soziale Kämpfe agieren, weshalb er Vertreter:innen derer am Mittwochabend im Oyoun Club zu Wort kommen ließ.
Zusammen mit dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband (SDS) hatte er ihnen die Frage gestellt, was sie von der LINKEN in einer rot-rot-grünen Landesregierung erwarten. Die moderierende Studentin Paula leitete die Diskussion ein, indem sie bezweifelte, dass sich aus den 14,1 Prozent der abgegeben Stimmen, die Ende September auf die Linkspartei entfielen, ein Regierungsauftrag ableiten lässt – ein indirektes erstes Plädoyer für eine Beteiligung an der Opposition.
Während der ganzen Veranstaltung war die allgemeine Stimmung oppositionell – sowohl auf dem Podium als auch im Publikum. Einige meinen, die Linkspartei habe in der weit entfernten Vergangenheit für soziale Bewegungen noch Sinnvolles geleistet, da sie nicht nur Anfragen stellen konnte und dies auch tat, sondern auch, weil sie besser mobilisieren konnte. Schließlich hatte sie für die Zustände keinerlei politische Verantwortung getragen und hatte keine Angst für die Regierung unangenehm zu werden. Doch heute ist die Frage: Kann man auf der Straße gegen die eigene Partei kämpfen? Viele gehen so weit, die Partei unter anderem deshalb als überflüssig zu klassifizieren – untereinander sei die Vernetzung ohnehin fortgeschritten genug.
Rechtsruck der LINKEN
Der Unmut am linken Rand der Partei ist zurecht größer als je zuvor. Dabei lässt sich der Rechtsruck der Parteispitze aber nicht losgelöst von der bundesweiten Linkspartei betrachten. Diese hatte im Rahmen ihres Wahlkampfs für die vergangene Bundestagswahl, den mit Janine Wissler ausgerechnet jemand vom linken Flügel anführte, für die vage Aussicht auf Regierungsposten sämtliche historischen „roten Haltelinien“ überschritten: Wir alle erinnern uns so gut an Bartschs Aussage, am NATO-Ausstieg solle RRG im Bund nicht scheitern, als hätte er sie gestern getätigt. Aus der Forderung nach einem Stopp aller Waffenexporte wurde die nach einem Stopp der Waffenlieferungen in Krisengebiete, und aus der Forderung nach dem Abzug der Bundeswehr aus allen Einsätzen die nach einer Überprüfung der Einsätze. Es kann daher eigentlich auch nicht überraschen, dass DIE LINKE in Berlin im Koalitionsvertrag eine Reihe von Verschlechterungen für die Berliner Bevölkerung mitträgt.
Denn auch wenn die Entwicklung des Berliner Landesverbandes intern gern als gegensätzlich zu jener der allgemeindeutschen Linken gesehen wird, ist das nur Augenwischerei. Es war schließlich auch die Berliner Linkspartei an der Regierung, die die Teile der Berliner Kliniken privatisierte, keine Mobilisierungen gegen das BVerfG-Urteil, das den Mietendeckel gekippt hat, organisierte. Dieselbe Mitverantwortung ist der LINKEN auch für die Zerschlagung (ergo Weiterprivatisierung) der S-Bahn zu geben, sowie beim massiven Ausbau der Polizei seit mehreren Jahren. Und vor allem plant der alt-neue Berliner Senat das langsame Begräbnis des Votums des Volksentscheids zur Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. – ein glatter Verrat am demokratischen Willen der Berliner Bevölkerung.
Gegen Rot-Grün-Rot mobilisieren!
Es ist ein guter Fortschritt, dass die LINKE Neukölln gemeinsam mit weiteren oppositionellen Kräften in Anbetracht des Koalitionsvertrags eine Kampagne mit dem Titel „Zusammen für eine linke Opposition“ ins Leben gerufen hat. Den Erstaufruf hatten 65 Aktivist:innen unterschrieben, inzwischen sind es 150. In Anbetracht dessen, dass 2016 fast 90 Prozent der LINKE-Mitglieder für einen Regierungsantritt abgestimmt haben, war es dringend notwendig, eine solche öffentliche Kampagne ins Leben zu rufen, um die Parteibasis gegen Rot-Grün-Rot zu positionieren.
Doch wird dies nicht von alleine geschehen – der Kampf gegen die Parteiführung muss vollständig aufgenommen werden. Es ist zwar gut, dass auf Pochen der Oppositionellen hin für heute ein Sonderparteitag einberufen wurde, bei dem vor der Befragung der gesamten Basis diskutiert werden kann. Der politische Kampf kann aber nicht nur auf dem Parteitag geführt, sondern muss auch auf die Straße getragen werden.
Die linke Opposition sollte den Sonderparteitag daran erinnern, dass es politische Kosten hat, der Bevölkerung den Rücken zu kehren. Wir schlagen allen Oppositionellen vor, in den kommenden Tagen zusammen mit der antirassistischen, der Klima- sowie der Mieter:innen- und der Krankenhausbewegung lautstark gegen die Regierungsbildung und unter anderem für die sofortige Umsetzung des Volksentscheids zu demonstrieren. In diesen Mobilisierungen können besonders die Belegschaften der Kliniken, der Berliner BVG und S-Bahn, Beschäftigten der Bildungseinrichtungen, sowie der Industriebetriebe eine besondere Rolle spielen. Als Gegner:innen der Regierungsbeteiligung sollten wir die Diskussion in die Berliner Betriebe tragen, Blocks von Arbeiter:innen auf Demonstrationen bilden, bis hin zur Einsetzung von Arbeitskampfmitteln wie Streiks für die Umsetzung der Forderungen wie die sofortige Umsetzung des Volksentscheids DW & Co. Enteignen, die das gesamte Land lahmlegen und einen enormen Druck auf die Regierung entfalten können.
Was tun, falls DIE LINKE doch in die Regierung geht?
Wird der Koalitionsvertrag dennoch nicht abgelehnt, brauchen wir über die komplette kommende Legislaturperiode über Aktionen. Wie Paula von SDS richtigerweise sagte, liegt die Macht in den Kiezen, Schulen, Unis und vor allem Betrieben, weshalb dort mobilisiert werden muss. Die Regierungsgegner:innen müssen so jede Gelegenheit nutzen, gegen den Berliner Senat, aber auch explizit gegen die Parteiführung der LINKEN in Berlin einen politischen Kampf zu führen und immer größere Teile der Parteibasis hinter sich zu sammeln.
Gleichzeitig brauchen wir jedoch strategische Überlegungen. Wie können wir langfristig ein alternatives Programm und eine alternative Kraft gegenüber den „Regierungssozialist:innen“ aufbauen? Wie können wir tatsächlich eine strategische Allianz zwischen der Arbeiter:innenbewegung und den unterschiedlichen sozialen (Klima, Antira-, Miete-, usw.) Bewegungen aufstellen, mit einem klaren antikapitalistischen Programm?
Unter den regierungskritischen Kräften in Berlin gibt es auch unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Einige sind der Meinung, dass es möglich sei, die rechte Parteiführung in Berlin und bundesweit zurückzudrängen und die Partei hin zu einer echten antikapitalistischen und revolutionären Kraft zu reformieren. Andererseits gibt es auch Kräfte – zu denen auch wir zählen –, die eine solche Entwicklung ausschließen, da die Partei seit ihrer Gründung eine Regierungspartei ist, sich Tag für Tag tiefer in das Regime integriert und Angriffe auf unsere Lebensgrundlagen durchführt.
Wir denken, dass wir die kommenden Monate nach der Regierungsbildung damit verbringen sollten, eine stadtweite linke Opposition zu bilden, die in Betrieben und Bewegungen verankert ist. Abgeordnete wie Ferat Ali Kocak, der sich gegen die Regierungskoalition in Berlin und dadurch auch gegen die eigene Parteiführung positioniert, müssen mit allen Kräften in ihrer oppositionellen Haltung unterstützt werden.
Nach all diesen Kämpfen müssen wir auch sichergehen, dass bei kommenden Abgeordnetenhauswahlen in Berlin keine Stimmen von uns für eine Rot-Grün-Rote Koalition missbraucht wird. Wir akzeptieren nicht mehr, dass wir das „kleinere Übel“ wählen, das immer übler wird, wie der aktuelle Koalitionsvertrag beweist. Wenn das bedeuten soll, dass die Oppositionellen nicht mehr in gemeinsamen Wahllisten mit Klaus Lederer und anderen Regierungssozialist:innen für die Abgeordnetenhauswahlen kandidieren werden, muss das auch vorbereitet werden.
Zur ewigen Allianz mit den Regierungssozialist:innen existiert nämlich eine Alternative: die Bildung einer antikapitalistischen revolutionären Wahlfront der Linken und Arbeiter:innen in Deutschland, die Regierungsbeteiligungen eine Absage erteilt und in Parlamenten alleine die Stimmen der Arbeiter:innen, Unterdrückten und sozialen Bewegungen vertritt.
In Argentinien konnten antikapitalistische Aktivist:innen und revolutionär-sozialistische Organisationen durch vom Reformismus unabhängige Kandidaturen i einer solchen Front 1,3 Millionen Stimmen erlangen und die drittstärkste Kraft im Land werden. Lasst uns darüber diskutieren, welche Lehren wir daraus auch hierzulande ziehen können.