Parlamentarischer Staatsstreich und Volksaufstand in Peru

16.01.2023, Lesezeit 25 Min.
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www.shutterstock.com / Joel Salvador

Der parlamentarische Staatsstreich der den Ex-Präsidenten Pedro Castillo das Amt gekostet hat, wurde zum Auslöser für eine Protestbewegung, vor allem in den Regionen, in denen die wirtschaftliche Lage besonders schlecht ist. Einen solchen Massenaufstand gab es in Peru seit vielen Jahren nicht mehr.

Bei Redaktionsschluss hat die von Dina Boluarte angeordnete brutale Unterdrückung durch Polizei und Militär und die Verhängung des Ausnahmezustands, der die Militarisierung der Gebiete mit den größten sozialen Konflikten ermöglicht, bereits 28 Demonstrant:innen das Leben gekostet (mit der Aussicht, dass es in den nächsten Tagen noch mehr werden) und Hunderte von Verletzten gefordert, die meisten durch Schusswaffen, die von Mitgliedern der staatlichen Repressionsorgane eingesetzt wurden.

In den folgenden Zeilen werden wir versuchen, die Dynamik dieses sozialen Prozesses, der Peru erschüttert, zu erklären und die unserer Meinung nach wichtigsten Ursachen für diese soziale Explosion aufzuzeigen. Wir werden auch auf die Rolle eingehen, die die reformistische Linke in diesem Prozess gespielt hat, vor allem durch die Regierung von Pedro Castillo. Wir schließen diesen Beitrag mit einigen Vorschlägen, die aus unserer Sicht dazu beitragen würden, einen Ausweg im Sinne der Arbeiter:innenklasse, der Armen und Unterdrückten zu ermöglichen, der zu einer Regierung der Arbeiter:innen und Massen mit einer sozialistischen Perspektive führt.

Gescheiterter Bonapartismus, parlamentarischer Putsch und die Reaktion der Bevölkerung

Am 7. Dezember sollte das peruanische Parlament über den dritten Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Pedro Castillo debattieren und abstimmen. Zuvor hatte die rechte Mehrheit im Kongress zweimal versucht, Castillo seines Amtes zu entheben und zwar aufgrund einer Reihe von Anschuldigungen und Erklärungen verschiedener „Mitarbeiter:innen“, wonach der ehemalige Präsident in Korruptionsfälle verwickelt war und öffentliche Gelder zu Gunsten seiner Familie und seinen engsten politischen Vertrauten verwendet hatte.

Bekanntlich weigerte sich seit dem Amtsantritt von Pedro Castillo ein wichtiger Teil der parlamentarischen extremen Rechten, darunter Kongressabgeordnete der Fuerza Popular (Partei von Keiko Fujimori) und der Renovación Popular von López Aliaga, seinen Wahlsieg anzuerkennen, den sie sogar schon vor Castillos Amtsantritt unter dem Vorwurf des Betrugs in Frage stellten. Diese Sektoren führten mit Unterstützung der bürgerlichen Presse und später der Staatsanwaltschaft und der Justiz eine gut abgestimmte mediale und juristische Kampagne durch, um den Anschein zu erwecken, dass der damalige Präsident ein „kriminelles Netzwerk“ anführte und dass er es verdiente, aus dem Präsidentenamt enthoben zu werden. Damit wollten sie in Wirklichkeit versuchen, den bei den Wahlen geäußerten Willen der Wähler:innen abzuerkennen, der Castillo zum Präsidenten gemacht hatte. Deshalb behaupten wir, dass der parlamentarische Staatsstreich vom ersten Tag an, an dem Castillo den Regierungspalast betrat, vorbereitet und in die Tat umgesetzt wurde.

Am 7. Dezember war diese Eskalation des Staatsstreichs bereits weit fortgeschritten. In den vergangenen Tagen hatten wichtige ehemalige Funktionär:innen im Dienste von Castillo, wie sein ehemaliger persönlicher Sekretär Beber Camacho und sein ehemaliger Leiter des Geheimdienstes (DINI) José Fernández Latorre, öffentlich Anschuldigungen erhoben, die den ehemaligen Präsidenten in die illegale Flucht seiner Neffen und des ehemaligen Ministers Silva verwickelten und ihm Vetternwirtschaft bei der Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter vorwarfen. Am 7. Dezember, wenige Stunden vor der Sitzung, in der über die Amtsenthebung diskutiert werden sollte, gab Castillos ehemaliger Berater, Salatiel Marrufo, aus dem Gefängnis heraus Erklärungen im Fernsehen ab, in denen er den ehemaligen Präsidenten ebenfalls der Korruption bezichtigte.

All diese Anschuldigungen, die darauf abzielten, die Kongressabgeordneten zu brechen, die sich weigerten, für die Amtsenthebung des Präsidenten zu stimmen (87 Stimmen waren dafür erforderlich), haben offenbar dazu geführt, dass Castillo selbst gebrochen wurde, der aus Angst vor einer möglichen Amtsenthebung schließlich einen bonapartistischen Versuch unternahm, den Kongress zu schließen und hohe Funktionär:innen der Justiz, der Generalstaatsanwaltschaft und des Verfassungsgerichts zu entlassen. Aufgrund der mangelnden Unterstützung durch die Streitkräfte und die Polizei war dieser bonapartistische Versuch jedoch nicht mehr als ein öffentlicher Diskurs, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Im Folgenden unterstützten viele der parlamentarischen Verbündeten der Exekutive, wie z.B. der Lehrerblock, Perú Libre und Nuevo Perú, doch den Antrag auf Amtsenthebung, der somit die erforderliche Stimmenzahl (101 Stimmen) weit überschritt. Unmittelbar nach der Amtsenthebung wurde Castillo von der Polizei verhaftet, deren Chefs er noch Stunden zuvor angerufen hatte, um seinen bonapartistischen Plan zur Ausschaltung des Kongresses und der anderen Regierungsorgane in die Tat umzusetzen. In der Zwischenzeit vereidigte der Kongress in aller Eile Dina Boluarte als neue Präsidentin, mit der, wie es scheint, bereits alles für die Ablösung Castillos vorbereitet war.

Womit die Befürworter:innen des Staatsstreichs und Dina Boluarte selbst nicht gerechnet hatten, war die spontane Reaktion der Bevölkerung. Am Tag nach der Amtsenthebung Castillos begann sich diese Reaktion allmählich, aber mit Nachdruck in Protestaktionen gegen das Parlament und die neue Präsidentin zu manifestieren. Die Slogans „Sie müssen alle gehen“ und „Neue Wahlen“ wurden von den Demonstrant:innen am häufigsten verwendet. Vor allem in den ärmeren Regionen im Landesinneren begannen sie, Protestmärsche zu veranstalten und in der Folge wichtige Straßen wie die Panamericana im Süden der Region Ica und in Chala-Arequipa zu blockieren. Auch die Panamericana Norte wurde blockiert, und in Regionen des zentralen Hochlands, wie z.B. Apurímac, waren die Aktionen wesentlich heftiger, so kam es zur Übernahme von Flughäfen und dem Niederbrennen wichtiger öffentlicher Einrichtungen.

Die diktatorische Regierung von Dina Boluarte reagierte mit Repressionen, die die Demonstrant:innen keineswegs zum Schweigen brachten, sondern die Gemüter nur noch mehr erhitzten, insbesondere als es zu den ersten Todesfällen kam. Die Protestdemonstrationen breiteten sich auf fast das ganze Land aus (am vierten Tag des Kampfes kam es in 20 der 24 Regionen Perus zu kämpferischen Aktionen der Demonstrant:innen, wie Straßenblockaden, Massenmobilisierungen, Besetzungen öffentlicher Plätze usw.). Boluarte, die ein Kabinett aus Bürokrat:innen vereidigte, die den Eliten und dem Großkapital sehr nahe stehen, verhängte den Ausnahmezustand und ordnete das Eingreifen des Militärs an, das mit dem Ruf „Töten oder getötet werden“ brutal gegen die mobilisierte Bevölkerung vorging. Zu diesem Zeitpunkt stieg die Zahl der Toten und Verletzten von 7 auf fast 30 zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels, sowie auf Hunderte von Verletzten, von denen viele aufgrund von Schussverletzungen noch immer im Koma liegen.

Heute ist ein großer Teil Perus militarisiert und befindet sich im Ausnahmezustand, Panzer sowie Gruppen von Militär- und Polizist:innen in Kampfmontur patrouillieren täglich durch die Straßen, um die Menschen, die auf die Straße protestieren gehen, einzuschüchtern, welche inzwischen als Terrorist:innen und Angehörige der nicht mehr existierenden Organisationen „Leuchtender Pfad“ und „MRTA“, die in den 1980er Jahren bewaffnete Aktionen durchführten, abgestempelt werden. Trotz alledem gehen die Demonstrationen in verschiedenen Formen weiter. Was hat eine Bevölkerung, die bis vor kurzem im Vergleich zu den Ereignissen in Chile, Ecuador oder Kolumbien als konservativ und friedlich galt, dazu veranlasst, sich zu erheben? Was ist aus dem „peruanischen Wunder“ geworden, auf dem viele rechte Politiker:innen und Ökonom:innen in der Region zu zeigen pflegten, um die „Vorzüge“ des Kapitalismus und des Neoliberalismus aufzuzeigen?

30 Jahre Neoliberalismus: die strukturellen Wurzeln des Problems

Peru ist ein abhängiges kapitalistisches Land mit einer sehr ungleichen Entwicklung, weshalb viele Wissenschaftler:innen von der Existenz zweier Perus sprechen: ein Land, in dem die wichtigsten politischen, administrativen, kommerziellen, finanziellen und produktiven Aktivitäten konzentriert sind und in dem trotz der diesem System innewohnenden Widersprüche und Ungleichheiten als eine Welt, in der Fortschritt und Wohlstand herrscht, wahrgenommen wird. Dieser Sektor wird durch die Hauptstadt Lima vertreten. Das andere Peru, das von dem Historiker Jorge Basadre auch als „tiefes Peru“ bezeichnet wird, besteht aus dem Großteil der Regionen im Landesinneren, wo die größten sozialen Probleme wie Armut, prekäre Arbeit, Arbeitslosigkeit, prekäre Sozialleistungen, Rassismus usw. am stärksten ausgeprägt sind. Genau dieses „tiefe Peru“ ist das Epizentrum dieses sozialen Aufschwungs, der die Krise des peruanischen Staates und der Gesellschaft deutlich gemacht hat.

Diese Krise wurde durch die Umsetzung von 30 Jahren Neoliberalismus erheblich verschärft, einem Wirtschaftsmodell, das, wie wir uns erinnern, von der autoritären Regierung von Alberto Fujimori nach dem Staatsstreich vom 5. April 1992 durchgesetzt wurde, was ein Jahr später die Verabschiedung der aktuellen Verfassung von 1993 ermöglichte, die die rechtlichen Voraussetzungen für die Profitmaximierung großer in- und ausländischer Geschäftsleute zum Nachteil der Interessen und Bedürfnisse der Arbeiter:innenklasse, der Jugend und der Bäuer:innen schuf. So ist seit der Einführung der Verfassung von 1993 ein neues politisches Regime in Gang gesetzt worden, das eine bürgerliche Demokratie fördert, in der die großen Mehrheiten ihre Vertreter:innen (Präsident und Abgeordnete) nur alle fünf Jahre wählen können und dann hinnehmen müssen, dass ihre Wahlversprechen gebrochen werden, wie es beispielsweise bei Ollanta Humala oder Pedro Castillo selbst der Fall war.

Als Folge dieser 30 Jahre neoliberale Offensive, wie auch die Gesundheitskrise der COVID-19 deutlich gezeigt hat, haben wir heute in Peru ein zusammengebrochenes und unterfinanziertes Gesundheitssystem, das nicht in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der ärmsten Bevölkerungsschichten zu befriedigen, die es sich nicht leisten können, eine Privatklinik aufzusuchen. Dasselbe gilt für das öffentliche Bildungswesen, wo aufgrund der geringen finanziellen Ausstattung Prekarisierung der Lehrtätigkeit und ein Mangel an grundlegenden Infrastrukturen herrscht. Dieses Modell ist auch für den hohen Anteil an informeller und prekärer Arbeit verantwortlich, eine Tatsache, die letztlich nur Großunternehmern zugutekommt, die so ihre Profitrate steigern können.

Auf dieser materiellen Grundlage wird das so genannte „peruanische Wunder“ aufrechterhalten. Aus dem jüngsten Bericht „Performance of the Peruvian labour market to 2021“, der von der Firma ComexPerú erstellt wurde, geht hervor, dass die Zahl der informell Beschäftigten auf nationaler Ebene auf 13.156.308 gestiegen ist, was einen Anstieg von 17,2 Prozent im Vergleich zu 2020 bedeutet. Wie aus den Berichten des Nationalen Instituts für Statistik und Informatik (INEI) hervorgeht, liegt der Anteil der informellen Beschäftigung (d.h. ohne Vertrag und ohne Rechte) in Peru bei etwa 70 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung (EAP).

Dieser hohe Anteil an informellen Arbeitsverhältnissen ist gerade in den Regionen im Landesinneren am stärksten ausgeprägt. In diesem Sinne wiesen insgesamt 18 Departements eine über dem nationalen Durchschnitt liegende Informalitätsrate auf. Insbesondere Huancavelica war das am stärksten betroffene Departement mit insgesamt 285.677 informellen Arbeitsplätzen im Gegensatz zu nur 15.700 im formellen Sektor, was einer Informalitätsrate von 94,8 Prozent entspricht. An zweiter Stelle lag Apurímac mit einer Informalitätsrate von 90,6 Prozent, gefolgt von den Departements Puno (90,4 Prozent), Huánuco (89,9 Prozent), Cajamarca (89,4 Prozent), San Martín (89,3 Prozent), Ayacucho (88,8 Prozent) und Amazonas (88,3 Prozent). Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass Cusco, Loreto, Pasco, Junín, Ucayali, Áncash, Piura, Tumbes, Madre de Dios und Tacna ebenfalls über dem nationalen Durchschnitt liegen. Es ist also kein Zufall, dass die meisten Regionen im Landesinneren, in denen die Informalität der Arbeit und die Armut am höchsten sind, auch die Regionen sind, in denen heute die stärksten Kampfdemonstrationen gegen die Regierung Boluarte und andere staatliche Institutionen stattfinden.

Ein weiterer Sektor, der von der Umsetzung der neoliberalen Politik hart getroffen wurde, ist der ländliche Raum, in dem sich der soziale Unmut zusammenbraut und äußert. Die Bäuer:innen im Landesinneren, die im Wesentlichen von der Landwirtschaft leben, befinden sich heute in einer schweren Krise, die mit dem Preisverfall ihrer Produkte infolge der Einfuhr von Agrargütern und der Verteuerung der ebenfalls importierten Betriebsmittel, wie z.B. Düngemittel, zusammenhängt. Die großen privaten Bergbauinvestitionen, die als Hebel für die soziale Entwicklung angepriesen werden, tragen keineswegs zur Lösung dieser Probleme bei, die die Bäuer:innen plagen, sondern verschärfen sie noch erheblich, da die Bergbautätigkeiten schließlich zur Quelle von Umweltverschmutzung und Aneignung von Wasserressourcen wird, wie es in der Hochandenregion Moquegua mit dem Bergbauunternehmen Souther oder im Bergbaukorridor von Apurímac und Cusco mit dem Bergbauunternehmen Las Bambas geschieht.

Eine organische Krise und der Rassismus

Zu diesen strukturellen Elementen kommt die tiefe Krise hinzu, in der sich die wichtigsten staatlichen Institutionen wie Exekutive, Legislative und Judikative sowie die politischen Parteien und die Massenmedien befinden, was dazu geführt hat, dass sie die Hegemonie und die ideologische Kontrolle über Teile der Bevölkerung verloren haben, die sich von diesen Institutionen nicht mehr repräsentiert fühlen und nun an die Mobilisierung und den Kampf als einzigen Weg appellieren, um gehört zu werden. Das ist es, was wir in Anlehnung an Gramsci als organische Krise bezeichnen.

Diese allgemeine Verärgerung über den Kongress der Republik und die Parlamentsmehrheit ist eine Folge der tiefgreifenden Abwertung dieser staatlichen Macht, die als Resonanzboden für private Interessen angesehen wird, und die nichts mit den Bedürfnissen der Menschen zu tun haben. Dies ist, wie bereits erwähnt, Teil der Diskreditierung der Staatsgewalt insgesamt, die sich 2016 zu entwickeln begann, als die Verbindungen zwischen den Geschäftsleuten des Bauunternehmens Odebrecht und den regierenden Politiker:innen öffentlich wurden, was viele ehemalige Präsidenten und bekannte politische Persönlichkeiten ins Gefängnis gebracht hat und sogar mit dem Selbstmord von Alan García endete. Wir sollten uns daran erinnern, dass der Fall Odebrecht Teil der Operation Lava Jato war, die unter Ausnutzung der berechtigten Empörung der Bevölkerung gegen Korruption vom US-Imperialismus dazu benutzt wurde, sich auf dem Kontinent unbequemer Regierungen und Politiker:innen zu entledigen.

Das Parlament ist somit zur Hochburg eines wichtigen Sektors der so genannten „aufstrebenden Bourgeoisie“ geworden, die sich hauptsächlich aus Geschäftsleuten aus der Provinz zusammensetzt, von denen viele ihr Vermögen mit illegalen Geschäften oder sehr lukrativen, aber qualitativ minderwertigen Bildungsunternehmen aufgebaut haben, die letztendlich zu „Fabriken für berufliche Qualifikationen“ werden, die Tausende von jungen Menschen betrügen. Diese Sektoren, die einst vom Fujimorismus angeführt wurden, haben den Kongress zum natürlichen Raum für ihre wirtschaftlichen Geschäfte und für die Konsolidierung ihrer Unternehmen gemacht. Sie sind im Kongress präsent, weil viele dieser Geschäftsleute auch Eigentümer politischer Parteien sind, wie die Alianza para el Progreso des Millionärs Cesar Acuña, Podemos Perú von José Luna Gálvez, Renovación Popular von López Aliaga und andere. Neben diesen „Unternehmensparteien“ gibt es noch andere, die zwar eine längere Geschichte haben, aber mit Korruption und unternehmerischer Hingabe befleckt sind, wie die Acción Popular des ebenfalls repressiven Manuel Merino und des korrupten „Vitocho“ Belaunde, sowie die Fuerza Popular der berüchtigten Keiko Fujimori.

Diese Diskreditierung von Institutionen und politischen Parteien sowie ihrer bekanntesten Anführer:innen ist auch durch den Rassismus bedingt, den diese Parteien und Institutionen gegenüber der Bevölkerung ausüben, die im Allgemeinen aus der Provinz stammt und ein geringes Einkommen hat. Man kann also sagen, dass die rassistische Diskriminierung in Peru zu einem zentralen Element des politischen Lebens des Landes geworden ist und ein aktiver Mechanismus ist, der zum Aufbau einer hierarchischen Gesellschaftsordnung beiträgt, die zur Marginalisierung und zum Ausschluss wichtiger Teile der Bevölkerung führt. Wie der Historiker Alberto Flores Galindo sagte: „Rassismus gibt es in Peru, obwohl rassistische Bezeichnungen, die bei öffentlichen Identifizierungsverfahren genutzt werden, offiziell nicht in Umlauf sind. Aber ein Phänomen, das vertuscht und sogar geleugnet wird, ist nicht weniger real“. Dieser Rassismus, der koloniale Wurzeln hat und in der heutigen peruanischen Gesellschaft sehr lebendig ist, ist zu einem wirksamen ideologischen Instrument geworden, das von den herrschenden Klassen zur Spaltung der Ausgebeuteten eingesetzt wird. Und genau gegen diesen sogar institutionalisierten Rassismus machen viele in den Provinzen des „tiefen Peru“ mobil.

Justizieller Bonapartismus und parlamentarischer Staatsstreich

Auch die Justiz und die Staatsanwaltschaft gehören zu den Institutionen, die von der mobilisierten Bevölkerung in Frage gestellt werden, unter anderem, weil sehr deutlich wurde, wie sie Pedro Castillo vor Gericht angriffen, was zuvor bei anderen Staatschefs nicht der Fall war, die, obwohl bekannt war, dass sie in Unregelmäßigkeiten und Korruptionsfälle verwickelt waren, ihre Funktionen normal ausüben konnten. Die Justizbehörden in Peru sind ebenfalls sehr diskreditiert, denn es ist bekannt, dass hochrangige Beamt:innen in diesem Bereich dazu neigen, mit großen Geschäftsleuten und Politiker:innen zusammenzuarbeiten, um im Gegenzug hohe Vergünstigungen zu erhalten, wie sich vor einigen Jahren im Fall der so genannten „White Collars“ gezeigt hat, in den eine Reihe von Richter:innen verwickelt waren, die Geschäfte mit Sektoren machten, die mit den Eliten aus Politik und Wirtschaft verbunden sind.

Trotzdem hat sich in Peru, wie auch in den anderen Ländern des Kontinents, die Figur einer richterlichen Gewalt und einer Staatsanwaltschaft durchgesetzt, die allmächtig sind und in politische Fälle eingreifen können, um den Ausschlag zu geben. Dies führt zu einer Verrechtlichung der Politik.

Das nennen wir justiziellen Bonapartismus, und er bedeutet, dass Richter:innen und Staatsanwält:innen so viel Macht erhalten, dass sie zu politischen “Schiedsrichter:innen” werden. Laut Matías Maiello bedeutet der juristische Bonapartismus; “dass man einer Justizkaste Leben einhaucht, die sich als Garant der bürgerlichen Legalität aufspielt und diese gleichzeitig verletzt, um ihre Ziele zu erreichen. Eine Justiz, die im Namen der Rechtsstaatlichkeit vorschlägt, einen Großteil der bonapartistischen Tendenzen des Regimes zu übernehmen, die notwendig sind, um die Elemente der politischen und wirtschaftlichen Krise zu überwinden. Ein Versuch, die immer deutlicher werdenden Interessenskämpfe zu legalisieren, um sie in der bürgerlichen Ordnung einzudämmen“.

Und genau das geschah vor kurzem in Peru als Ergebnis der politischen Intervention der Staatsanwältin Patricia Benavidez, die, obwohl sie wegen ihrer Nähe zu Personen, die mit Drogenhandelsverbrechen in Verbindung stehen (ihre Schwester), ernsthaft in Frage gestellt wurde, schließlich zur entscheidenden Figur wurde, die durch ihre Anklagen und den juristischen Druck den parlamentarischen Staatsstreich vorantrieb und ihm eine „rechtliche Grundlage“ verlieh, der schließlich zur Absetzung von Castillo führte, wobei sie sich nur auf die Aussagen der so genannten „effektiven Kollaborateure“ als Grundlage für ihre Anklagen stützte.

Pedro Castillo und das Scheitern der reformistischen Strategie

Angesichts dieser kritischen wirtschaftlichen Situation, die durch die Pandemie noch verschärft wurde, und der Diskreditierung der Säulen des Staates und der traditionellen politischen Parteien gewann Pedro Castillo die Präsidentschaft in Peru in einem Szenario, in dem rassistische Verleumdungen gegen seine Kandidatur alltäglich war.

Viele derjenigen, die im ersten und zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2021 für Castillo gestimmt hatten, taten dies in der Hoffnung, dass der Lehrer und Gewerkschafter aus Cajamarca, der vom Land stammt und gerade erst 2017 einen großen Lehrer:innenstreik angeführt hatte, die Kraft und Überzeugung haben würde, seine Wahlversprechen einzulösen, zu denen die Änderung der Verfassung von 1993 durch eine verfassungsgebende Versammlung und bestimmte Reformen des neoliberalen Modells gehörten.

Sobald Castillo jedoch in den Regierungspalast einzog, vergaß er seine Wahlversprechen, hielt die Möglichkeit, für eine verfassungsgebende Versammlung zu kämpfen, unter Verschluss und übertrug, um die wirtschaftliche Kontinuität zu wahren, die Leitung der Zentralbank dem neoliberalen Julio Velarde. In der Zwischenzeit distanzierte sich sein Wirtschaftsminister von seinen Zusagen gegenüber der Arbeiter:innenklasse, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und sie aus der Informalität herauszuholen, während er die Sparmaßnahmen seiner Vorgänger:innen fortsetzte. Um keinen Zweifel an seiner Bekehrung aufkommen zu lassen, reiste Castillo in die USA und sprach sich dort für die Anwerbung ausländischer Investitionen aus, dabei sah er sich als Garant für die Einhaltung der rechtlichen Bedingungen (Verfassung von 1993) zuständig, die die Plünderung und Ausbeutung unserer Ressourcen begünstigen.

Das Argument der Anhänger Castillos und der linken Parteien, die ihn von der Exekutive aus unterstützten, war, dass es “nicht die richtigen Bedingungen für größere Vorhaben gäbe und dass es daher nicht gut sei, die Bourgeoisie zu verärgern”. Es genügte ihnen also, so weit wie möglich die Institutionen des bürgerlichen Staates zu übernehmen und von dort aus zu versuchen, den Kapitalismus zu verwalten, um später einige Reformen durchführen zu können, die die Bosse nicht stören.

Aus diesem Grund haben sie nie dazu aufgerufen, für irgendetwas zu kämpfen, auch nicht, als die parlamentarische Rechte und die Medien ihre Regierung angriffen und Tag für Tag die Durchführbarkeit des parlamentarischen Staatsstreichs vorbereiteten, der schließlich am 7. Dezember ausgeführt wurde. Mit jedem Schlag der Rechten und der Medien rückten Castillo und seine Verbündeten weiter nach rechts, und zwar so weit, dass sie schließlich die imperialistische und putschfreundliche OAS als Rettungsanker anriefen, ja, dieselbe OAS, die gerade den Putsch gegen Evo Morales in Bolivien unterstützt und die Putschregierung von Juan Guaidó in Venezuela anerkannt hatte.

Es stimmt zwar, dass Castillo während seiner Regierungszeit weder für seine staatsmännischen noch für seine rhetorischen Fähigkeiten bekannt war, aber wir glauben, dass es nicht diese Elemente waren, die dazu führten, dass er die politische Macht verlor, die ihm die Möglichkeit gab, Präsident von Peru zu werden. Es war die Strategie der Klassenversöhnung und der Versuch, den bürgerlichen Staat zu verwalten, die ihn schließlich in den Ruin trieben. Der Versuch, „Veränderungen“ von innen heraus vorzunehmen, ohne die Bosse zu beunruhigen oder auch nur den geringsten Wandel im institutionellen Rahmen von 1993 herbeizuführen, wurde zum entscheidenden Faktor, der ihn nun in eine Zelle in demselben Gefängnis bringt, in dem auch Alberto Fujimori inhaftiert ist.

Der Kampf für eine freie und souveräne verfassungsgebende Versammlung

Heute jedoch, trotz Castillos Verrat an seinen Wahlversprechen, sind die Massen auf die Straße gegangen, und weder Kugeln noch Panzer, noch der Ausnahmezustand der Putschistin Boluarte können sie davon abbringen, den beginnenden Kampf um alles grundlegend zu verändern, zu kämpfen. Solange jedoch nicht die Arbeiter:innen und Unterdrückten über ihre eigenen Organisationen regieren, wird es nicht möglich sein, diese Veränderungen zu verwirklichen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Abschaffung des derzeitigen politischen Regimes von 1993 und dafür ist es von grundlegender Bedeutung, für eine freie und souveräne verfassungsgebende Versammlung zu kämpfen, die aus der Mobilisierung und Selbstorganisation der Arbeiter:innen und der verarmten Sektoren hervorgeht.

Aber um dies zu tun, müssen wir den einzigen Weg stärken, auf dem wir sie besiegen können: den Weg der permanenten Mobilisierung, hin zu einem Kampfplan, der in einem Generalstreik gipfelt, um Boluarte und das gesamte Regime zu stürzen und so ein Bund der Arbeiter:innen und allen unterdrückten und ausgebeuteten Sektoren zu schmieden, um alle unsere Forderungen zu erreichen. Deshalb fordern wir die Bildung eines einheitlichen Kampfkomitees mit nationaler Reichweite, das es uns ermöglicht, die verschiedenen Initiativen zu zentralisieren und mit einer gemeinsamen Faust zu schlagen.

Nur klassenkämpferische Aktionen auf der Straße und Selbstorganisation auf dem Weg zum Generalstreik können den Ausnahmezustand besiegen und die diktatorische Regierung von Dina Boluarte stürzen. Nur so werden wir in der Lage sein, eine freie und souveräne verfassunggebende Versammlung durchzusetzen, die unseren Bedürfnissen gerecht wird. Auf diesem Weg ist der Impuls der Arbeiter:innen und Armen für diesen Kampf notwendig. Sie werden in der Lage sein, eine provisorische Regierung der Arbeiter:innen- und Organisationen der Armen anzuführen, die eine verfassungsgebende Versammlung als Übergang zu einer Arbeiter:innenregierung aufruft.

Wenn wir beginnen wollen, die Dinge von Grund auf zu ändern, können wir nicht auf diesen oder den nächsten Kongress warten. Nein, nur die Instanzen der Selbstorganisation der Arbeiter:innen und der unterdrückten Massen, die in der Hitze des Kampfes geschmiedet werden, sind der Garant für unseren Sieg. Die Stärke ist da, und wir bringen sie weiterhin täglich auf der Straße zum Ausdruck. Wir müssen zu einem größeren Kampf übergehen, um das Regime von 1993 zu stürzen und unsere Interessen durchzusetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei Ideas de Izquierda.

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