Oury Jalloh: Der rassistische Polizeimord ist längst enthüllt – wo bleiben die Konsequenzen?
Heute vor 16 Jahren kam es im Polizeirevier Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt zur brutalen Ermordung von Oury Jalloh. Eine nach der anderen haben die staatlichen Behörden die Beweise vertuscht und den rassistischen Mord als Suizid oder Unfall dargestellt, um die Täter zu schützen. Es handelt sich um staatlichen Rassismus gegenüber einem Geflüchteten aus Sierra Leone.
Oury Jalloh emigrierte während des Bürger*innenkriegs aus Sierra Leone nach Deutschland und lebte hierzulande in Duldung. Die Duldung ist ein sehr beschränkter Aufenthaltstitel, welcher die Abschiebung temporär aussetzt, dafür die Erwerbstätigkeit verbietet und die Geflüchteten in eine erzwungene Isolation bringt. So wurde Oury Jalloh vom deutschen Staat diktiert, isoliert zu leben.
Am 7. Januar 2005 wurde er in Polizeigewahrsam Dessau gebracht. Laut dem Narrativ staatlicher Behörden und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) soll sich Oury Jalloh in seiner Zelle selbst angezündet haben. Mehrere Instanzen – zuletzt im Jahr 2014 der Bundesgerichtshof – haben die Täter freigesprochen. Seitdem blockieren sie die Bemühungen von Aktivist:innen, die Ermittlungen wieder aufnehmen zu lassen. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat im Jahr 2019 einen Untersuchungsausschuss im Fall Oury Jalloh abgelehnt, weil SPD und Grüne sich enthalten haben.
Oury Jalloh soll das Feuer selbst gelegt haben, während er an Händen und Füßen gefesselt war. Die Staatsanwaltschaft wollte wichtige Erkenntnisse zum Mord vertuschen, indem sie den Antrag auf Röntgenuntersuchungen ablehnte und den Leichnam schnellstmöglich nach Guinea überführen lassen wollte. Laut ersten Röntgenuntersuchungen handelte es sich nur um eine Nasenbeinbruch, der auch nach dem Tode zugeführt werden könne. Erst im Jahr 2019 kam raus, dass ihm Schädeldach, Nasenbein, Nasenscheidewand und eine Rippe gebrochen wurde.
Die Brand- und Todesursache von Oury Jalloh wurde in keinem Prozess geklärt. Die Richter:innen schlossen aus, dass die Polizisten aus dem Revier ihn ermordet und in Folge darauf angezündet haben, um den Mord zu vertuschen. Eine Vielzahl an Indizien bekräftigen diesen Standpunkt. Die Gewerkschaft der Polizei hat sich besonders darum bemüht, den Tätern den Rücken zu decken.
In der Presseerklärung der GdP in Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2014 heißt es dazu:
Es steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass Oury Jalloh das Feuer selbst gelegt hat. Es steht fest, dass Oury Jalloh nach Ausbruch des Feuers nur noch wenige Atemzüge gelebt hat. Es steht fest, dass der verurteilte Polizist den Oury Jalloh als Reaktion auf das Rauchsignal bei der bestehenden Baulichkeit nicht mehr hätte retten können. Es steht auch fest, dass der jetzt verurteilte Beamte und ein von ihm herbeigerufener Beamte ernsthaft versucht haben, den Oury Jalloh zu retten, aber zu spät kamen.
Besonders zynisch endete die Pressemitteilung:
Oury Jalloh wird die Annahme der Gerichte, er habe durch die Brandentzündung auf sich aufmerksam machen wollen, nicht mehr bestätigen können.
Zusätzlich dazu hat sie eine halbe Millionen Euro für die Verteidigung des Polizisten ausgegeben, der in den rassistischen Mordfall Oury Jalloh verstrickt war. Es ging um ihr Mitglied, das die GdP zur Rückendeckung verpflichtete. Statt sich um die Aufklärung zu bemühen, zahlte sie dem vor Gericht stehenden Polizisten die Verfahrenskosten. Während die GdP die rassistischen Täter finanzierte, hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Verstrickungen stillschweigend hingenommen. Wenn wir wahrnehmen, dass in dem Polizeirevier Dessau die Gewalt seit langem geduldet wurde, muss die Bedeutung der Tat tiefer liegen, als die Wahrnehmung, dass es nur um oberflächliche Missinterpretation eigener Befugnisse geht. Die GdP ist zwar innerhalb vom DGB verankert, vertritt aber die Interessen der Bosse und des Staates, weshalb es kriminell ist, dass der DGB-Vorstand die GdP nicht zur Rechenschaft zieht und aus dem Bund rausschmeißt.
Oury Jalloh ist der Polizeigewalt zum Opfer gefallen. Er war und bleibt kein Einzelfall deutscher Polizeigewalt. Immer wieder werden rechte Strukturen innerhalb der deutschen Polizei enthüllt. Trotz der Regelmäßigkeit unternimmt der deutsche Staat nichts gegen den Rassismus in der Polizei. Nach der Ermordung von George Floyd in den USA und den darauffolgenden Protesten auch hier in Deutschland, stieg zwar der Druck auf die Regierung und die Polizei, sich auch mit Rassismus hier in Deutschland auseinanderzusetzen. Doch letztlich weigerte sich Innenminister Horst Seehofer, überhaupt eine Studie zu Polizeigewalt in Auftrag zu geben. Dabei gibt es nach aktuellem Stand der Recherche von Death in Custody 180 Todesfälle von Schwarzen Menschen und People of Color in deutschem Gewahrsam seit 1990. Laut Amadeu Antonio Stiftung liegt die Zahl von Todesopfern rechter Gewalt bei 213 Menschen. An anderer Stelle haben wir geschrieben:
Bei keinem der Fälle wurden die beteiligten Polizist*innen wegen Mordes oder Totschlages verurteilt. Nicht ein*e Verantwortliche*r musste auch nur einen Tag ins Gefängnis. Meist kam es noch nicht einmal zu einer Gerichtsverhandlung. In mehreren Fällen sind die genauen Todesumstände aufgrund von Verfahrenseinstellungen-, Verschleppung bis hin zu aktiver Vertuschung (wie bei Oury Jalloh) nicht abschließend aufgeklärt. Aber allen Todesopfern ist gemeinsam, dass sie ohne polizeiliche Gewaltanwendung heute noch leben würden.
Doch die Polizei ist unverzichtbarer Bestandteil der kapitalistischen Staatlichkeit und ihre Befugnisse wurden in den letzten Jahren durch die Erneuerung von Polizeigesetzen erweitert. Dass sie eine Pseudogewerkschaft hat, macht sie nicht zu Verbündeten der Arbeiter:innenklasse, weil die Funktionen und Klassenzusammensetzungen sich diametral gegenüberstehen:
Die Polizei, die gerade dazu geschaffen ist, um die Arbeiter*innenklasse, die Unterdrückten und Armen zu unterdrücken, ist nicht körperlos und versucht sich selbst als Zwangsorgan zu befestigen. Ihre Macht und ihre Einkünfte zu sichern, ist der Zweck der Polizei. ‘Präventive Methoden’ oder die sogenannten ‘Verdachtsmomente’ dienen der Polizei, um die eigene Existenz zu legitimieren.
Jahrelang haben die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, die Jalloh-Familie und Anwält:innen gegen Vertuschungsversuche und Repressionen standgehalten, um vollständige Aufklärung des Falles verbunden mit gerechten Konsequenzen zu erreichen. Wir sind solidarisch mit ihnen. Auch nach 16 Jahren hört die Notwendigkeit und die Legitimität des Kampfes um die Gerechtigkeit für Oury Jalloh nicht auf. Wir fordern weiterhin eine lückenlose Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh und der Verstrickungen innerhalb der Polizei und der staatlichen Behörden, die nicht unbefleckt sind.