Optimismus und Opportunismus: Die Linke vor der Bundestagswahl

22.01.2025, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Martin Heinlein/flickr.com

Auf ihrem jüngsten Bundesparteitag wirkte Die Linke so lebendig wie lange nicht mehr. Über den Rechtsruck der Partei sollte das nicht hinwegtäuschen.

Nach Jahren der Endzeitstimmung scheint in der Partei Die Linke ein neuer Wind zu wehen. Auf ihrem außerordentlichen Parteitag, der vergangenes Wochenende in Berlin stattfand, gab sich die Partei frisch, kämpferisch und vor allem optimistisch. Spitzenkandidat Jan van Aken hatte „früher gute Laune, obwohl [er] bei der Linken war“, jetzt habe er „gute Laune, weil [er] bei der Linken“ ist. Seine Partei sieht er als „die coolen Straßenkicker in diesem Wahlkampf“, die, wie auch seine Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner betont, „sicher in den Bundestag kommen“.

Tatsächlich scheint hinter dem neuen Optimismus mehr als Selbstbetrug zu stehen; die Partei verzeichnete in den vergangenen Monaten nach eigenen Angaben mehr als zehntausend Neueintritte, insbesondere von jungen Menschen. Auch die Umfragen zeigen einen leichten Aufwärtstrend, der allerdings bisher nicht ausreicht, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.

Mit welchem inhaltlichen Profil die Linkspartei den Wiedereinzug in den Bundestag schaffen will, zeigt ihr Kurzwahlprogramm mit dem Titel „Du verdienst mehr“. Darin legt sie, wie der Name schon sagt, einen klaren Fokus auf Sozialpolitik und Lebenshaltungskosten. Im Zentrum ihrer Kampagne stehen die Einführung eines bundesweiten Mietendeckels, der die Mieten in angespannten Wohnlagen für sechs Jahre einfrieren soll, sowie die Abschaffung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel, Hygieneprodukte und ÖPNV. 

Doch mehr als zahme, sozialdemokratische Reformvorschläge verdienen wir in den Augen der Linken nicht. Von der Enteignung großer Immobilienkonzerne ist nichts mehr zu hören – nur konsequent, schließlich war die Linkspartei selbst in der Berliner Landesregierung daran beteiligt, den erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ zu begraben. Nicht einmal ein flächendeckender kostenloser ÖPNV, den die Partei sich noch vor wenigen Jahren auf die Fahne schrieb, hat es in das Programm geschafft. Stattdessen beschränkt man sich auf die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets. 

Als Antwort auf die drohenden Werksschließungen und Entlassungen in der Industrie präsentiert die Linkspartei einen „Investitionsfonds“. Sie will sie also den Konzernen Staatsgeld in den Rachen schieben, in der Hoffnung, dass diese dann keine Arbeitsplätze abbauen. Van Aken spricht gerne und oft davon, dass er Milliardäre abschaffen will – eine Forderung, die wir selbstverständlich teilen. Doch seine Partei fordert nur eine Vermögenssteuer von höchstens zwölf Prozent. Im Gegensatz dazu vertreten die unabhängigen Direktkandidatinnen Inés Heider und Leonie Lieb in ihrem Wahlprogramm kompromisslos die entschädigungslose Enteignung von Milliardär:innen.

Laut Ines Schwerdtner würden „[d]ie Menschen merken, dass die Linke glaubwürdig für die sozialen Themen streitet, dass es sonst keiner macht, dass wir uns als einzige mit den Reichen anlegen“, ihr Fokus seien „Klassenkämpfe“. Die Partei gefällt sich in der „Wir hier unten, gegen die da oben“-Rhetorik, doch eine tatsächliche Perspektive für den Klassenkampf bleibt sie schuldig. Ihr Angebot geht über die Wahl der richtigen Partei ins Parlament kaum hinaus. Unterfüttert wird dieser Ansatz mit Serviceangeboten wie einem Heizkostencheck. Ein wirkungsvoller Kampf gegen hohe Mieten, der nur durch eine massenhafte Bewegung auf der Straße, in den Betrieben, Schulen und Unis geführt werden kann, wird so kaum entstehen können.

In der Langfassung ihres Programms bekennt sich die Partei nominal zu antirassistischen Forderungen wie der Ablehnung von Abschiebungen (allerdings nicht zu offenen Grenzen). Im Wahlkampf tauchen diese aber kaum auf. Im Kurzprogramm findet sich nur ein schwammiges Bekenntnis „[f]ür eine tolerante Gesellschaft ohne Hass und Rassismus“. Man stehe zum Recht auf Asyl, über eine Verteidigung des Status Quo geht das nicht hinaus. Während rassistische Agitation gegen Migrant:innen im Zentrum der Wahlkämpfe von AfD und Union steht, scheut die Linkspartei – abgesehen von einzelnen Kandidaturen wie dem Neuköllner Ferat Koçak – davor zurück, eine offensiv antirassistische Kampagne zu führen und zeigt damit deutlich, dass auch sie dem Rechtsruck nicht standhält. Stattdessen reduziert sie den Kampf gegen Rechts vor allem auf die Sozialpolitik, was in Schwerdtners Lieblingssatz „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“ auf den Punkt gebracht wird. Ganz zu schweigen davon, dass die Linkspartei in ihren vergangenen Regierungsbeteiligungen keinerlei Probleme damit hatte, für Abschiebungen mitverantwortlich zu sein. Einer der Hoffnungsträger im aktuellen Linkspartei-Wahlkampf, der bisherige thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, ist selbst ein vehementer Verfechter der Abschiebung von Geflüchteten, „die bei uns permanent die Regeln brechen“.

Dazu passt auch die außenpolitische Ausrichtung, die von der neuen Linken-Spitze ausgeht. Schließlich ist der aktuelle Rechtsruck auch Ausdruck der weltpolitischen Umbrüche, mit erstarkendem Militarismus und Nationalismus im Kontext der „Zeitenwende“. Nirgendwo sonst zeigen sich die Anpassung an das Regime und der Rechtsruck, den die Partei über die letzten Jahre hinweg vollzogen hat, so deutlich. Eine Ablehnung der NATO ist aus ihrem Programm verschwunden, ebenso eine grundsätzliche Kritik an der EU. In dieser sieht Die Linke vielmehr das Potential, „Teil der Lösung“ zu sein. Geblieben sind lediglich weichgespülte Appelle für „Diplomatie und friedliche Konfliktlösung“. 

Im Spiegel-Interview sagte van Aken – neben der Forderung nach „besserer Ausstattung für die Polizei“ –, er sei zwar gegen weitere Investitionen in die Bundeswehr, an dem bereits bestehenden Militäretat von 52 Milliarden Euro hat er allerdings nichts auszusetzen. Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt er zwar ab, den Wirtschaftskrieg gegen Russland will er aber dennoch führen. Im Interview bei Thilo Jung kritisierte er die Bundesregierung für eine zu lasche Sanktionspolitik gegenüber Russland. 

Er und Schwerdtner hatten zudem angekündigt, interne Streitigkeiten reduzieren zu wollen und Geschlossenheit herzustellen. Die Partei auf Linie zu bringen, scheint ihnen weitgehend gelungen zu sein – größere Kontroversen blieben auf dem Parteitag aus, kritische Anträge, etwa zur Sanktionspolitik, wurden mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Wenn Mitglieder dann doch zu sehr ausscheren, wie der palästinasolidarische Aktivist Ramsis Kilani, wird auch mal mit einem Parteiausschlussverfahren nachgeholfen. Dieser skandalöse Vorfall beweist noch einmal, dass es für eine tatsächliche Politik gegen den Genozid in Gaza innerhalb der Linkspartei keinen Platz gibt. Die Linkspartei hat die Palästinasolidarität nun seit über einem Jahr völlig im Stich gelassen – wichtiger war es der Partei, nicht zu sehr an der Staatsräson anzuecken. 

Alle wollen regieren – Die Linke auch

Einer der Hauptslogans für den Wahlkampf lautet „Alle wollen regieren, wir wollen verändern“. Eine Selbstkritik an den Jahrzehnten der linken Regierungsbeteiligungen, in denen die Partei Privatisierungen, Sozialabbau und massenhafte Abschiebungen verantwortete und immer mehr als Teil des Establishments wahrgenommen wurde – könnte man meinen. Doch Van Aken stellte im besagten Jung & Naiv Interview klar, dass die Veränderung, die er anstrebt, auch hervorragend in Regierungskoalitionen möglich sei – wenn nötig mit der CDU. 

Der Fokus auf die Rolle der Linken als „soziale Opposition“, der auf dem Parteitag betont wurde, ist keine Absage an die Mitverwaltung des Kapitalismus – und zwar nicht einfach irgendeines kapitalistischen Staates, sondern einem der wichtigsten imperialistischen Länder der Welt, dessen herrschende Klasse sich auf mehr Aufrüstung und Kriegstreiberei sowie die Abwälzung der Kosten dafür auf die großen Mehrheiten vorbereitet. Das zeigt auch die sogenannte „Aktion Silberlocke“: Mit ihr hofft die Linkspartei, durch Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow drei Direktmandate zu erhalten, um unabhängig von der Fünf-Prozent-Hürde wieder in den Bundestag einzuziehen. Damit setzt die Partei ihre Hoffnung auf diejenigen Politiker, die gerade wie Ramelow und Bartsch den äußersten rechten Flügel der Partei repräsentieren oder wie Gysi ihre Ablehnung der NATO längst aufgegeben haben.

Nein, die kurzfristige Distanzierung von einer Regierungsbeteiligung ist eher aus der Not geboren. Die Möglichkeit einer linken Beteiligung an der nächsten Bundesregierung geht gegen Null und das weiß die Partei. Daher gibt sie sich ihre neue Spitze kämpferischer und will eine Aura der „Erneuerung“ versprühen. Möglicherweise werden wir tatsächlich in den nächsten Jahren wieder mehr linke, soziale und kämpferische Rhetorik vonseiten der Linken hören. Aber die Qualität einer Opposition misst sich nicht daran, wie man agiert, wenn eh keine Chance besteht, in Regierungsverantwortung zu gelangen. Auch hier ist Thüringen wieder ein vielsagendes Beispiel: Dort unterstützte die Linkspartei die Wahl von Mario Voigt (CDU) zum Ministerpräsidenten, der eine Law and Order-Kampagne mit Hetze gegen Geflüchtete geführt hatte. So stellte Die Linke die Regierbarkeit sicher, ganz im Sinne einer dem immer weiter nach rechts rückenden Regime trotz allem loyalen Opposition.

Unsere Antwort auf den Rechtsruck kann nicht darin bestehen, immer wieder „die Nase zuzuhalten“ und jede Partei zu unterstützen, die nicht die AfD ist. Was nützt eine Linke, die in den entscheidenden Momenten stets mit CDU und Co. mitgeht? Die bisherige Ampelkoalition ebenso wie die Unionsparteien haben mit ihrer immer offener rassistischen Rhetorik, ihrer Hetze gegen Arbeitslose, ihren Kürzungsplänen und ihrer Kriegstreiberei den Weg für die AfD geebnet. Ohne sich diesen Parteien konsequent entgegenzustellen, kann man der AfD nicht das Wasser abgraben.

Tausende haben in diesem Monat in Riesa und Hamburg und letztes Jahr schon in Essen gezeigt, dass sie gewillt sind, sich ganz direkt der AfD entgegenzustellen: mit Massendemonstrationen und Blockaden. An diesen haben viele Linkspartei-Mitglieder, darunter sicher auch viele neu Eingetretene, teilgenommen, ebenso wie linke Linkspartei-Politiker:innen wie Ferat Koçak oder Nam Duy Nguyen aus Leipzig, der dafür sogar von der Polizei bewusstlos geschlagen wurde. Mit all jenen, die auf diese Weise auf der Straße gegen die AfD und gegen die kommenden Angriffe der nächsten Bundesregierung kämpfen wollen, stehen wir an einer Seite. 

Nichtsdestotrotz sagen wir klar: Die Linkspartei hat als Ganzes versagt, eine Antwort auf den fortschreitenden Rechtsruck und die tiefen Krisen, die ihm zugrunde liegen, zu geben. Es ist Zeit für etwas wirklich Neues, und nicht nur für eine wiederholte Hoffnung auf die Erneuerung einer Partei, die uns schon viel zu oft im Stich gelassen hat.

In diesem Sinne haben wir als Revolutionäre Internationalistische Organisation mit unserer Zeitung Klasse Gegen Klasse gemeinsam mit der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO) drei unabhängige Direktkandidaturen für die Bundestagswahl aufgestellt: die Sozialarbeiterin Inés Heider (Berlin Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost) und die Hebamme Leonie Lieb (München West/Mitte) für RIO, sowie die Sozialarbeiterin Franziska Thomas (Berlin Tempelhof-Schöneberg) für die RSO. Grundlage ist eine gemeinsame programmatische Plattform unter dem Motto „Für eine Welt ohne Grenzen, Krieg und Ausbeutung!“. Es handelt sich um ein Wahlprogramm, das dem wachsenden Nationalismus und Rassismus, der Aufrüstung und Kriegstreiberei, den geplanten massiven Kürzungen und weiteren Angriffen der Bosse und des Staates den Kampf ansagt. Wir setzen uns für die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und der Jugend, unabhängig von allen etablierten Parteien ein. Während die Linkspartei und BSW auf die Mitverwaltung des kapitalistischen Staats setzen, wollen wir, dass die Arbeitenden, die die Gesellschaft am Laufen halten und allen Reichtum erwirtschaften, den Bossen die Macht aus den Händen nehmen und selber regieren. 

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