Oppenheimer: Nolans Antikriegsfilm?
In 3 Stunden zeigt der Regisseur Christopher Nolan ein Biopic über den Physiker und “Vater der Atombombe” J. Robert Oppenheimer. Stellt sich der Film der Militarisierung entgegen, oder stellt er sie nur zur Schau? +++ Spoilerwarnung +++
Der Film ist weit mehr als ein klassisches Biopic, also eine Filmbiographie. Er nähert sich der Kategorisierung als ein Wissenschafts- und Politikdrama. Nolans Film springt zwischen den 1920er und 1950er Jahren hin und her und ist dabei geprägt von dem Geist der konservativen McCarthy-Ära, in der alle als Kommunist:innen deklariert wurden, die etwa im kalten Krieg für Abrüstung und Deeskalation eintraten.
Oppenheimer ist ein zerrissener Mensch. Der US-Amerikaner sympathisiert mit linken Ideen. So hat er alle drei Bände des Kapitals gelesen, spendet Geld nach Spanien – um den Kampf gegen Franco zu unterstützen – probiert das Physikinstitut in Berkeley gewerkschaftlich zu organisieren und viele Menschen aus seinem persönlichen Umfeld sind Mitglieder der Kommunistischen Partei. Doch auf der anderen Seite arbeitet er an einer mächtigen Waffe für die imperialistische US-Regierung und scheint ihr ziemlich loyal zu sein. Rechtfertigen tut er diese Loyalität zunächst mit der Gefahr des Faschismus.
Der Film behandelt die Verantwortung des Wissenschaftlers. Niels Bohr wird im Gespräch mit Oppenheimer gezeigt, wie er ablehnt, Teil des Manhattan Project zu werden. Bohr zufolge brauche es keine größere Bombe, sondern eine neue Welt. Diese Sicht teilt Oppenheimer jedoch nicht. Er ist so naiv zu glauben, die Entwicklung der Superwaffe könnte allen künftigen Kriegen ein Ende bereiten. Die Linearität der Zeit wird damit genau wie in Nolans vorherigen Film Tenet zum Thema. Wissenschaft braucht Voraussicht. Es ist ein Dilemma vieler Wissenschaftler:innen, ihre Erkenntnisse und Erfindungen nicht mehr kontrollieren zu können, womit sie in der Zukunft ungeahnte oder geahnte Schäden anrichten können.
Neben der Verantwortung des Wissenschaftlers ist der Film insbesondere im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Militarisierung in Deutschland und vielen anderen Ländern politisch interessant. Wie in der Zeit, in der der Film spielt, befinden wir uns heute wieder in einer Periode der Eskalation, der Blockbildung, der Krisen und Kriege. Nolan wirft mit der Geschichte über Oppenheimer die Frage auf, ob noch mehr und noch größere Waffen einen Beitrag zum Frieden leisten. Ebenso weist er in filmischer Tradition zu Werken wie Stanley Kubricks Dr. Seltsam auf die Gefahren der atomaren Bewaffnung hin, die das Potential hat, sämtliches menschliches Leben zu vernichten und von den falschen Menschen beziehungsweise dem falschen System kontrolliert wird. Die Politiker:innen und Funktionär:innen in diesem Film erscheinen allesamt nicht vertrauenswürdig, machtbesessen und empathielos. Als Oppenheimer dem US-Präsident Harry S. Truman von seinen Zweifeln und seiner Verantwortung für die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki berichtet, bezeichnete ihn Truman als Heulsuse.
Eine zentrale Szene ist die, in der Oppenheimer in einen Saal voller ekstatisch jubelnder Menschen kommt. Die Menschen im Saal, die ein gewisses Abbild der amerikanischen Gesellschaft darstellen, jubeln über die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki, die Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Oppenheimer sieht neben den Menschen im Saal auch die Bilder der Explosion und sterbender Menschen. So wird die Bombe mit der Kriegs-Lüsternheit zusammengeführt. Er zeigt, wie die Menschen beziehungsweise ihr System der Waffe nicht gewachsen sind.
Linke Kritiker:innen wie Wolfgang M. Schmitt (Die Filmanalyse) feiern den Film als “Antikriegsfilm der Stunde”. Schmitt stellt einen Bezug zur Militarisierung im Zuge des Ukraine-Krieges her und ist sich sicher, der Film würde sich dem entgegenstellen. Diese antimilitaristische, ja fast schon systemkritische Wirkung, die Schmitt dem Film zuschreibt, benötigt aber einiges an eigener Abstraktion des Geschehenen. Der Film wirft viel mehr Fragen auf, ohne auf alle eine Antwort zu finden. Er stellt das Geschehen mehr zur Disposition als es zu beurteilen, was auch sein gutes Recht ist. Schließlich handelt es sich um ein Biopic und nicht um einen Historienfilm über die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki oder den Bau der Atombombe. So wird letztendlich offen gelassen, ob es sich bei dem Film Oppenheimer nicht auch um eine neue Interpretation von der Personalie Robert Oppenheimer und dem Geschehen des Kalten Krieges im Sinne des liberalen Teils des US-Imperialismus handelt. Das Verständnis für Oppenheimers Beteiligung am Manhattan-Projekt ist letztlich groß, die Botschaft gegen die Bombardierungen bleibt unscharf.
Nolans Film ist aber nicht nur inhaltlich spannend, sondern auch ein filmisch gelungenes Werk. Der Film ist nicht ganz so innovativ wie Tenet, dafür aber Nolans wohl stilsicherster Film. Nolan fusioniert und trennt Szenen, der Spannungsbogen bleibt konstant hoch, während viele weitere kleinere Spannungsbögen im Laufe des Films hinzukommen. Der Film wirkt zunächst verschachtelt, doch ist dies notwendig, um den Film zu erzählen. Ästhetisch macht Nolan alles richtig. Er bedient auch keinen Geniekult wie von manchen Kritiker:innen vorgeworfen. Andere Wissenschaftler:innen werden Oppenheimer gegenüber als Überlegen gezeigt und auch Oppenheimer selbst betont in dem Film, dass dies nicht seine Erfindung sei, sondern die eines ganzen Teams.
Der Film erscheint aber nicht nur im Kontext des Kriegs, sondern auch im Kontext des Klassenkampfes. So verließ Cilian Murphy, der wunderbare Hauptdarsteller des Films, während der Premiere aufgrund des Streiks der Schauspieler:innen in Hollywood den Saal. In Deutschland wiederum streikten die Beschäftigten vieler Kinos. Im Gegensatz zu Nolan, der keine wirkliche Antwort präsentiert, für die Probleme, die er in seinen Filmen thematisiert (vor allem Krieg und Klimawandel), ist für uns klar, dass die Antwort in der Organisierung und im Klassenkampf liegt.