„Operation Stahlmauer“: Israel marschiert in Westjordanland ein

22.01.2025, Lesezeit 4 Min.
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Foto: abu adel - photo/shutterstock.com

Kaum zwei Tage nach dem Beginn der fragilen Waffenruhe in Gaza startet Israel einen großangelegten Einmarsch im Westjordanland. Der Angriff hat bereits mindestens zehn Tote und 30 Verletzte gefordert.

Während Zeugenaussagen von mehreren Verletzungen der „Waffenruhe“ in Gaza berichten, begann die israelische Armee am Dienstag, den 21. Januar, eine Großoffensive im Westjordanland gegen die Stadt Jenin. Die israelischen Streitkräfte, die bereits seit Anfang Dezember im Zuge einer massiven Militäroperation von der Palästinensischen Autonomiebehörde belagert worden waren, begannen gegen Mittag einen tiefen Einfall in die besetzten Gebiete.

Der Angriff folgt auf eine Reihe von vermutlich mit der Armee koordinierten Siedlerangriffen Montagabend und einer Welle von Massenverhaftungen in den Gouvernements Ramallah, Hebron, Nablus und Qalqilya . Die als „Stahlmauer“ bezeichnete Operation hat nach wenigen Stunden bereits mindestens zehn Tote und mehr als 30 Verletzte gefordert.

In den letzten Stunden haben uns Bilder aus Jenin erreicht, auf denen zu sehen ist, wie Dutzende gepanzerte Bulldozer, begleitet von Truppentransportern und unterstützt von Hubschraubern, vorrücken. Die Gesamtzahl der eingesetzten Soldat:innen ist noch unbekannt. Laut Haaretz wurden auch mehrere Luftschläge registriert.

Auf anderen Bildern ist zu sehen, wie mehrere Bewohner:innen der Stadt von den israelischen Streitkräften hingerichtet werden. Auf einem Video entgeht ein alter Mann nur knapp dem Schuss eines Scharfschützen. Palästinenser:innen, die über die Straße gehen, werden von hinten erschossen oder durch Gewehrsalven verletzt.

Wenige Tage nach der Unterzeichnung eines ohnehin brüchigen „Waffenstillstands“-Abkommens zeugt diese erneute Invasion der besetzten Gebiete nach dem teilweisen Überfall im August von einer vorübergehenden Verlagerung des Schwerpunkts der israelischen Kriegsführung. Der extrem rechte Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte, die Invasion sei auf „Wunsch seiner Partei“ erfolgt: „Die Operation Stahlmauer wird eine intensive und lang anhaltende Kampagne gegen Terrororganisationen und deren Unterstützer sein, die darauf abzielt, die Siedlungen und ihre Bewohner zu schützen und die Sicherheit des gesamten Staates Israel zu gewährleisten, in dem die Siedlungen als sichere Pufferzone fungieren“. Eine koloniale Invasion im Dienste der Stärkung der Siedlungen in den besetzten Gebieten.

Diese „Änderung der Sicherheitsdoktrin“, wie Smotrich es ausdrückte, erfolgte nur wenige Tage nach dem Beginn der Waffenruhe. Als Netanjahu dem Druck Trumps nachgab und seinem besten Verbündeten wenige Tage vor seinem Amtsantritt einen „Waffenstillstand“ anbot, hatte er seine Regierungskoalition in Gefahr gebracht. Als die Waffenruhe am Sonntagmorgen in Kraft trat, trat Itamar Ben-Gvir aus der Regierung zurück. Um sich die Unterstützung Smotrichs zu sichern, der ebenfalls drohte, die Koalition zu Fall zu bringen, machte Netanjahu der Partei des religiösen Zionismus wahrscheinlich eine Reihe von Zusagen: In einem Gespräch mit seinem Minister soll Netanjahu ihm versprochen haben, die Kämpfe vor der zweiten oder dritten Phase des Abkommens wieder aufzunehmen. Andererseits hat Smotrich die Regierung dazu gebracht, eine Großoffensive im Westjordanland zu starten, gegen die Trump wahrscheinlich keine Einwände erheben wird, da der Präsident nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus die Sanktionen gegen die Siedler:innen aufgehoben hat.

Israel hat seine Kontrolle über die besetzten Gebiete kontinuierlich ausgeweitet. Einige Gebiete wurden im Frühsommer der Kontrolle einer Zivilbehörde unterstellt, eine De-facto-Annexion eines Teils des Westjordanlandes. Seit September droht Smotrich zudem damit, Ramallah wirtschaftlich vom israelischen Bankensystem zu isolieren, was die schreckliche Wirtschaftskrise, unter der die Bewohner:innen leiden, weiter verschärft. Nach der teilweisen Invasion im August scheint dieser neue Angriff Teil der annexionistischen Strategie Israels zu sein, das nach Gaza nun versucht, seine Kontrolle über alle palästinensischen Gebiete auszuweiten.

Da die IDF bereits die Waffenruhe in Gaza verletzt, die israelischen Streitkräfte am Dienstag in den Südlibanon eingedrungen sind und einen Militärstützpunkt auf syrischem Gebiet errichten, ist diese neue Operation ein erschreckendes Zeichen dafür, dass die Kriege Israels noch lange nicht zu Ende sind. Mehr denn je versucht die ultrarechte Regierung Netanjahus, deren verschiedene Fraktionen nur durch den Krieg zusammengehalten werden, das „Palästinenserproblem“ des israelischen Staates ein für alle Mal zu lösen.

Angesichts der Brutalität des israelischen Siedlungsbaus wird es weit mehr als nur einen Waffenstillstand brauchen, um die gigantischen Grausamkeiten zu beenden, die das palästinensische Volk erlebt hat: Der Kampf für die Selbstbestimmung Palästinas bleibt die einzige Lösung, um die Einschließung von Millionen Palästinenser:innen im Freiluftgefängnis Gaza, den Völkermord und die Besiedlung des Westjordanlandes zu beenden.

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