Offener Brief an Linkspartei-Mitglieder: Für den sofortigen Ausschluss der Kriegstreiber:innen!

28.03.2025, Lesezeit 15 Min.
1
Foto: Martin Heinlein, CC BY 2.0, via Flickr.com

Im Bundesrat stimmten die Linkspartei-Vertreter:innen Bremens und Mecklenburg-Vorpommerns für die unbegrenzte Aufrüstung. Bis zum Bundesparteitag im Mai müssen Antimilitarist:innen in der Partei entscheiden, welche Konsequenzen sie ziehen. Ein Diskussionsbeitrag.

Am 21. März stimmten die Landesregierungen Bremens und Mecklenburg-Vorpommerns mit Beteiligung der Partei Die Linke im Bundesrat für die Grundgesetzänderung der kommenden schwarz-roten Bundesregierung. Damit unterstützten sie offen den Aufrüstungskurs von Friedrich Merz. Das trifft auf viel Kritik aus den eigenen Reihen, selbst Özlem Alev Demirel, Vorstandsmitglied der Linksfraktion im Europäischen Parlament, schrieb auf X: „Dass Bundesländer mit @dieLinke  Beteiligung im Bundesrat ihre Zustimmung für das Merz Schulden- & Aufrüstungspaket nicht verweigern, ist ein historisches Versagen!“ Der Berliner Jugendverband der Partei kritisierte, dass das Abstimmungsverhalten die Aufrüstung legitimiert und den friedenspolitischen Grundsatzpositionen im Parteiprogramm entgegensteht. Auch das Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl, in dem noch „keine weitere Aufrüstung, sondern Abrüstung in Deutschland und Europa“ gefordert wurde, war offenbar das Papier nicht wert, auf dem es stand. 

Friedenspartei adé

Die Bremer Linkspartei-Senatorin Claudia Bernhard erklärte, die Kredite könnten dem Stadtstaat „einen dringend benötigten finanziellen Spielraum verschaffen, auch wenn dieser begrenzt ist“. Mit anderen Worten: Wenn nur genügend Geld fließt, hat die Linkspartei-Spitze kein Problem mit der Aufrüstung.

Es ist notwendig, sich vor Augen zu führen, welche Bedeutung die Vorhaben von Merz und die Abstimmung der Linken haben. Wir befinden uns in einer Welt zunehmender Kriege: Israel hat den Krieg gegen Gaza und seine Nachbarn wieder aufgenommen. Der Ukraine-Krieg findet kein Ende. Die europäischen Regierungen wollen mit einem Aufrüstungswettlauf auf Trump und Putin antworten und erhöhen die Gefahr für zukünftige kriegerische Eskalation. Zur Rechtfertigung schüren die herrschenden Parteien die Angst vor der „russischen Bedrohung“, als ob ein Angriff auf Berlin unmittelbar bevorstünde, was völlig an der Realität vorbeigeht. Sie tun dies, um ein Klima der Angst und der „nationalen Einheit“ zu schaffen, um die historischen Ausgaben für die Aufrüstung zu rechtfertigen. Aber die größte Bedrohung für die Arbeiter:innenklasse, die Jugend, die Frauen und die Migrant:innen in diesem Land sind heute die militaristischen Pläne der Regierung, für die wir früher oder später bezahlen werden. Der Hauptfeind steht nicht in Moskau, sondern im eigenen Land, wie schon Karl Liebknecht wusste. 

Denn wenn die Politiker:innen sagen, die Aufrüstung sei nötig, um „Freiheit und Sicherheit“ zu verteidigen, meinen sie nicht die Freiheit und Sicherheit der Arbeiter:innen und Jugend, sondern die der deutschen Banken und Konzerne, weiterhin Arbeitskraft und Ressourcen in aller Welt auszubeuten.  Deutschland will selbst beim Kampf um Einflusssphären und Investitionsmöglichkeiten blutige Militärinterventionen und Stellvertreterkriege führen. Während die Aktienkurse der Rüstungskonzerne ins Unermessliche klettern, tragen die Arbeiter:innen die Kosten. Das miserable Angebot in der Tarifverhandlung des öffentlichen Dienstes begründet der Staat unter anderem damit, dass Löhne nicht erhöht werden können, weil das Geld für die Aufrüstung benötigt wird. Merz bereitet Angriffe auf den Sozialstaat, den Achtstundentag und die Rente vor und wird die Repression gegen Linke und Kriegsgegner:innen verschärfen, wie bereits die Lockerung der Schuldenbremse auch für Geheimdienste zeigt. Gleichzeitig diskutieren die Politiker:innen über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. 

Ausgerechnet in dieser Situation gibt die Linkspartei dort, wo sie mit in Regierungsverantwortung steht, jede oppositionelle Haltung gegen die Aufrüstung auf und unterstützt sie gar, in der Hoffnung, dadurch Gelder für Infrastrukturprojekte abgreifen zu können. Es handelt sich dabei aber nicht einfach um das fehlgeleitete Verhalten einzelner Minister:innen. Die Abstimmung im Bundesrat stellt den traurigen Höhepunkt einer Politik dar, die sich schon zuvor nicht konsequent gegen den Militarismus gestellt hat. Die sich verändernde Weltordnung veranlasst den Apparat der Partei, die „Altlast“ des Pazifismus abzuschütteln. 

Exemplarisch für die außenpolitische Anpassung steht der Linken-Star Gregor Gysi. Auf Twitter trat er für eine Front „von der CSU bis zur Linken, aber auch mit Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbänden, Künstlern und Wissenschaftlern“ ein, um sich „darauf [zu] verständigen, dass wir unsere Grundfesten von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gemeinsam verteidigen.“ In seiner Eröffnungsrede des neuen Bundestages mahnte der Alterspräsident, Merz und Co. nicht als Kriegstreiber zu bezeichnen, forderte eine europäische Sicherheitsstruktur und sagte, die Bundeswehr solle „selbstverständlich verteidigungsfähig“ sein. Wir dagegen halten es mit Clara Zetkin, die als Alterspräsidentin im Bundestag vor den imperialistischen Kriegsgefahren warnte. Es handelt sich bei Gysi und der Parteispitze um die Vorstellung, dass ein „Europa der Werte und der Demokratie“ gegen autoritäre Staaten wie Russland und China (und neuerdings auch die USA) verteidigt werden müsse. Aber die EU ist kein „Hort der Demokratie“, sondern das Europa der Banken und Großkonzerne, der Immobilienspekulant:innen und Waffenindustrie, der Grenzen und der Repression gegen Migrant:innen. 

Das ist auch der Hintergrund der Haltung der Parteiführung zu Israel, das etwa Heidi Reichinnek als „befreundete Demokratie“ im Nahen Osten bezeichnete. Während die Führung mit lauen Worten einen Waffenstillstand fordert, hat sie sich grundsätzlich hinter die deutsche Staatsräson der bedingungslosen Unterstützung für den Genozid in Gaza gestellt und selbst innerhalb der eigenen Partei ihren Beitrag zur Kriminalisierung der Palästina-Solidaritätsbewegung geleistet. So wurde erst vor wenigen Monaten der palästinasolidarische Aktivist Ramsis Kilani ausgeschlossen  – und zwar unter den „Erneuer:innen“ Ines Schwerdtner und Jan van Aken. „Pluralität“ der Partei bedeutet hier seinen Ausschluss, während Kriegstreiber:innen dazugehören dürfen. 

Diese neue Parteispitze begegnete auch dem skandalösen Abstimmungsverhalten der Landesverbände Bremen und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat mit versöhnlichen Worten und versuchte, den Skandal so weit wie möglich unter den Teppich zu kehren. Parteiinterne Debatten würden nicht auf Social Media ausgetragen, so Schwerdtner. Die Position zur Aufrüstung ist jedoch kein „parteiinternes“ Problem. Anstatt alle Kräfte für den Aufbau einer Bewegung gegen Aufrüstung und Krieg zu nutzen, biedert sich die neue Linksfraktion Union und SPD als gesprächsbereite, „demokratische“ Mehrheitsbeschafferin für Verfassungsänderungen an, damit diese nicht auf die AfD zurückgreifen müssten. Bereits vor der Wahl liebäugelten die Spitzenkandidat:innen van Aken und Reichinnek mit einer Regierungsbeteiligung

Die Abstimmung im Bundesrat ist so nur die Spitze einer Politik, die die Partei endgültig dem deutschen Militarismus unterordnet. Die friedenspolitischen Positionen werden zu leeren Worthülsen, wenn am Ende die Unterstützung für die Aufrüstung steht. Es handelt sich um einen Verrat historischen Ausmaßes.

Für den Ausschluss der Kriegstreiber:innen aus der Linkspartei!

Über die letzten Jahrzehnte hat sich ein Großteil der linken Kräfte – in- wie außerhalb der Partei Die Linke – an der Partei orientiert. Wenn es keine schlagkräftige Antwort von links auf diesen Verrat gibt, besteht die Gefahr, dass die linken Kriegsgegner:innen einer künftigen Merz-Regierung weitgehend orientierungs- und schutzlos gegenüberstehen. Die Enttäuschung würde nur von den Rechten kanalisiert werden, die glaubwürdiger als die Linkspartei behaupten könnte, eine Opposition gegen die Regierung darzustellen – nur um dann für eine noch aggressivere Kriegs- und Kürzungspolitik einzutreten. 

Oppositionelle Kräfte innerhalb der Linkspartei haben angesichts des historischen Verrats den Rücktritt der verantwortlichen Linkspartei-Minister:innen aus den Landesregierungen Bremens und Mecklenburg-Vorpommerns sowie deren Austritt aus der Partei gefordert. Wir halten diese Forderung für richtig und ermutigen alle Kräfte innerhalb der Partei, die für einen klaren antimilitaristischen Kurs innerhalb der Partei und klare Kante gegen Militarist:innen kämpfen wollen, sich diese Forderung zu eigen zu machen. Keine gemeinsame Organisierung mit Kriegstreiber:innen! 

Die gesamte Linke – innerhalb wie außerhalb der Partei – steht angesichts der historischen Aufrüstung vor einer Richtungsentscheidung: Bruch mit der Aufrüstungs- und Kriegspolitik, Schluss mit der Unterstützung des genozidalen Staates Israel und Ausrichtung auf die internationalen Interessen der Arbeiter:innen und der Massen – oder Unterordnung unter die Logik der „Regierbarkeit“ im Dienste der Interessen des deutschen Imperialismus. 

Eine starke Front gegen Krieg, Aufrüstung und Kürzungen aufbauen

Die neue Weltsituation erfordert für das deutsche Kapital nicht nur die Militarisierung nach außen, sondern auch immer größere Angriffe nach innen, gegen soziale Errungenschaften und demokratische Rechte, um die Aufrüstung zu bezahlen und gegen Widerstände durchzusetzen. Schon allein deshalb kann der Kampf gegen Milliardenkürzungen, für bezahlbares Wohnen, gegen Entlassungen und für bessere Löhne nicht geführt werden, ohne auch die Aufrüstungspolitik zu bekämpfen. Auch den dem Hunderttausenden neuen Wähler:innen und zehntausenden neuen Linke-Mitgliedern, die sich gegen den Aufstieg der Rechten und der extremen Rechten entgegenstellen wollen, sagen wir: Den Rechtsruck kann man nicht bekämpfen, wenn man zu Krieg und Aufrüstung schweigt, wie die alten und die neue Parteispitzen vorschlagen. Um eine schlagkräftige Opposition aufzubauen, müssen Linke ein konsequent antimilitaristisches und antiimperialistisches Programm aufwerfen: Kein Mensch und kein Cent für die Bundeswehr, NATO und eine mögliche europäische Armee! Für Investitionen von hunderten Milliarden Euro für Bildung, Gesundheit und Soziales – finanziert durch den Entzug aller Mittel für das Militär und die entschädigungslose Enteignung von Konzernen, die vom Krieg profitieren, überwacht durch Ausschüsse von Gewerkschaften. Für die Streichung aller Schulden abhängiger Länder gegenüber EU, IWF und Weltbank!

Wir schlagen vor, gemeinsam eine Kampagne aufzubauen, die sich gegen die aktuellen Aufrüstungen, Sozialkürzungen, die zunehmende Repression und den Rassismus der Merz-Regierung stellt. Es braucht jetzt umso mehr Versammlungen in den Betrieben und Unis, um über die Kriegspolitik zu diskutieren und einen Widerstand vorzubereiten. 

In Berlin hat sich beispielsweise bereits eine Koordinierung von über 30 Organisationen gebildet, die gegen die Kriegs- und Kürzungspolitik Proteste organisieren. An dieser „Versammlung gegen Krieg und Aufrüstung“ beteiligen sich auch Teile der Linken Neukölln, der Linksjugend Berlin und weiterer Gliederungen der Linkspartei. Jetzt schon laden wir alle, die gemeinsam gegen die Kriegstreiberei aktiv werden wollen, zur kommenden Versammlung am 16. April ein.

Solche Versammlungen können ein Ort sein, an dem sich Studierende und Beschäftigte selbst organisieren und diskutieren, was sie gegen den Einzug der Kriegspolitik an ihren Orten unternehmen können. So braucht es etwa die Ausweitung der Streiks im öffentlichen Dienst und bei den Berliner Verkehrsbetrieben sowie eine Perspektive, die Waffenproduktion und Lieferungen durch Streiks zu stoppen. Die Linkspartei hat selbst viele Mitglieder und Positionen in den Gewerkschaften. Gestützt auf Versammlung, jeweils von hunderten Beschäftigten, könnten sie Antikriegs-Aktionen der Arbeiter:innenbewegung organisieren.

Aufruf zu einer offenen Debatte: Erneuerung der Linkspartei oder revolutionärer Bruch?

Nachdem Die Linke in einem Dutzend Regierungsbeteiligungen auf Landesebene bisher Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen und Polizeigewalt mitgetragen hat, stellt sie sich hinter die Aufrüstung. Sieht so die „Erneuerung“ aus, die die Partei vor der Bundestagswahl angekündigt hat? 

Nein, wir denken, dass eine ganz andere „Erneuerung“ nötig ist. Eine Erneuerung, die einen klaren Bruch mit der Unterordnung unter die Interessen des deutschen Imperialismus bedeutet. Dafür es gilt zuerst unter möglichst vielen Mitgliedern Klarheit zu schaffen: Warum die Linkspartei diese Rechtsentwicklung genommen hat. Und wie eine sozialistische Partei aussehen muss. 

Wir schlagen daher einen offenen Diskussionsprozess vor, für einen klaren antimilitaristischen Kurs und eine scharfe Opposition gegen die Kriegstreiber:innen in den Spitzen der Partei und ihre Anpassung an das deutsche Regime. Mit allen Mitgliedern, die für eine solche Diskussion offen sind, wollen wir gemeinsam Vorbereitungen treffen, die dazu beitragen können, beim Bundesparteitag am 9./10. Mai in Chemnitz eine oppositionelle Stimme gegen die Parteiführung zu erheben. Die Diskussionen über die Ausrichtung der Partei müssen öffentlich geführt  werden. Das Schlimmste wäre, wenn die Parteiführung über das Desaster von Bremen und Mecklenburg-Vorpommern den Mantel des Schweigens legen könnte. 

Nur in einer offenen Auseinandersetzung wird sich für möglichst viele Mitglieder die Frage klären lassen, ob die Erneuerung der Partei möglich ist, oder – wie wir annehmen – es einen revolutionären Bruch braucht. 

Dieser Aufruf richtet sich gleichermaßen an kritische Mitglieder, Wähler:innen sowie alle Organisationen der radikalen Linken, die in- und außerhalb der Linkspartei arbeiten. Denn es geht hier nicht nur um die Diskussion über eine Partei, sondern insgesamt, wie sich die linken Kräfte in Deutschland und international unabhängig vom kapitalistischen Staat organisieren können. In diesem Sinne haben wir als Revolutionäre Internationalistische Organisation auch zur Bundestagswahl gemeinsam mit der Revolutionär Sozialistischen Organisation unabhängige sozialistische Direktkandidaturen aufgestellt. Unsere Kandidatinnen Inés Heider, Leonie Lieb (beide RIO) und Franziska Thomas (RSO) standen für ein konsequent antimilitaristisches, antikapitalistisches und sozialistisches Programm, während die Stimme für die Partei Die Linke, wie sich im Bundesrat gezeigt hat, keine Stimme gegen die Aufrüstung war. Lasst uns deshalb eine offene und ehrliche Diskussion führen und Schritte dahingehen, dass eine sozialistische Partei entsteht, die Krieg und Kapitalismus den Kampf nicht nur in Worten ansagt, sondern diesen real führen kann.

Mehr zum Thema