NRW-Wahl: Werden CDU oder SPD das Gesundheitssystem weiter kaputtsparen?
Seit 2009 wurden in Nordrhein-Westfalen 72 Krankenhäuser geschlossen. Fast 24.000 Fachkräfte fehlen im Gesundheitsbereich. Gegen diese Zustände ruft die Krankenhausbewegung kurz vor der Landtagswahl zu einem unbefristeten Streik auf. Was antworten die Parteien?
Am 1. Mai verstrich das 100-Tage-Ultimatum der Gewerkschaft ver.di an die schwarz-gelbe Landesregierung. Sie fordert im Rahmen der Kampagne „Notruf NRW“ einen Tarifvertrag Entlastung, um eine angemessene Versorgung für die Patient:innen sicherstellen zu können. Darin spricht sich die Gewerkschaft für mehr Personal und Freizeitausgleich für unterbesetzte Schichten aus. Ab dem 2. Mai gab es Warnstreiks, ab dem 4. Mai dann Erzwingungsstreik, an denen sich 1.900 Kolleg:innen beteiligten.
Sie sehen die Notwendigkeit, etwas gegen den zunehmend maroden Zustand des Gesundheitswesens in NRW zu unternehmen. Der Medizinische Notdienst Nordrhein spricht von „strukturellen Defiziten“. So müssten etwa Schlaganfallpatient:innen in der zeitkritischen Phase der Frührehabilitation aufgrund von Fachkräftemangel häufig auf eine Therapie warten. Auch die Kinderstationen seien unterbelegt. Bei der Hygiene fehlten in einigen Krankenhäusern die vorgeschrieben Schleusen für die Behandlung hochansteckender Keime. Viele Kliniken lagern ihre Hygienemaßnahmen zudem an externe Dienstleister aus.
Laut dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung verfallen die Krankenhäuser zunehmend. Gebäude, technische Ausstattung und Büros werden nicht saniert, Gelder für Digitalisierung oder Klimaanpassungen fehlen. Die Studie geht von einem Investitionsstau in NRW von jährlich 1,85 Milliarden Euro aus. Aus Landesmitteln stehen gerade mal 0,63 Milliarden zur Verfügung.
Gegen diese Defizite plant die Regierung unter Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) eine Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft. Die Kliniken sollen sich künftig auf bestimmte Leistungen spezialisieren, etwa die Schlaganfallversorgung, Knieprothesen oder Bauchspeicheldrüsen-Operationen. Damit wendet sich die Landesregierung von dem Konzept ab, in dem flächendeckend eine hochwertige Versorgung gewährleistet ist. Das vorgebliche Ziel ist, mit Spezialkliniken die Fachexpertise zu konzentrieren.
Noch ist nicht absehbar, wie genau sich die Umstrukturierung auswirken wird. Verhandlungen mit den Kliniken sollen dazu im Laufe des Jahres aufgenommen werden. Doch Jochen Brink, Vorsitzender der Krankenhausgesellschaft NRW, warnt davor, dass die Pläne „im konkreten Einzelfall“ dazu führen könnten, dass Abteilungen oder ganze Krankenhäuser schließen müssten. SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty nennt das Vorhaben eine „Anleitung zum Schließen von Krankenhäusern“.
Laut Umfragen vor der Landtagswahl liegen CDU und SPD mit circa 30 Prozent nahezu gleichauf, wobei die CDU einen leichten Vorsprung verbuchen kann. Die SPD versucht entsprechend, mit dem Thema Gesundheit zu punkten und verspricht Investitionen in die Krankenhäuser von zusätzlich drei Milliarden Euro bis 2030. Das wären 0,38 Milliarden jährlich – nach wie vor weit hinter den notwendigen Investitionen, die nötig wären, um die Einrichtungen zu erhalten. Die Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE, die auch für eine Unterstützung der Krankenhausbewegung wirbt, fordert hingegen ein Sonderprogramm von 12,5 Milliarden Euro bis 2024.
SPD, Grüne und DIE LINKE unterstützen derweil in Worten die ver.di-Kampagne für einen Entlastungs-Tarifvertrag. Jedoch ist dies in der Opposition leicht gesagt – in Berlin haben sie als Regierungsparteien in gleicher Konstellation den im letzten Herbst von der Krankenhausbewegung durchgesetzten Tarifvertrag Entlastung bis heute nicht flächendeckend umgesetzt.
Mittlerweile hat auch CDU-Gesundheitsminister Laumann Bereitschaft angedeutet, einen Entlastungs-Tarifvertrag auszuhandeln, nachdem er das 100-Tage-Ultimatum verstreichen ließ. Dennoch hat ver.di angekündigt, den Druck hochhalten zu wollen und sich nicht mit bloßen Worten zufrieden zu geben.
Am Ende der ersten Streikwoche, die die sechs größten Kliniken in NRW stark traf, demonstrierten vergangenen Samstag mehr als 2.500 Streikende und Unterstützer:innen durch die Landeshauptstadt Düsseldorf. Ein starkes Signal für die zweite Woche des unbefristeten Streiks und um Druck auf die Landesregierung auszuüben, die am 15. Mai neu gewählt wird.
Von einer Anhebung der Löhne, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist jedoch bei keiner der großen Parteien etwas zu lesen. Die CDU plant ein Begrüßungsgeld für ausländische Pfleger:innen von 3000 Euro, um sie nach NRW zu locken. Dafür stünde ein Topf aus EU-Geldern in Höhe von 7,5 Millionen Euro zur Verfügung, mit dem 2500 Pflegekräfte angeworben werden könnten – insgesamt fehlen jedoch 24.000 Fachkräfte in NRW. Auch die SPD plant, im Falle einer Regierungsbeteiligung 10 Millionen Euro bereitzustellen, damit Teilzeitkräfte ihre Stunden aufstocken können.
Letztlich bleiben die Vorschläge der Parteien weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, um dauerhaft ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu gewährleisten. Sie begnügen sich damit, das marode System weiter auf Sparflamme zu bewirtschaften, ohne grundlegende Schritte zu unternehmen, um den Personalmangel endlich wirkungsvoll anzugehen. Die Gelder, die sie in die Hand nehmen wollen, stellen keine Abkehr von der Sparpolitik dar. Sie stehen in keinem Vergleich zu den 100 Milliarden Euro und dauerhaft zwei Prozent des BIP, die Kanzler Olaf Scholz der Bundeswehr zur Aufrüstung in Aussicht gestellt hat. Für ein gutes Gesundheitssystem wird es notwendig sein, dass sich die Arbeiter:innen und Gewerkschaften nicht auf die lauen Versprechungen der Parteien verlassen, sondern die Streiks für bessere Bedingungen fortsetzen und auch die Verteilungsfrage stellen: mehr Geld für Gesundheit und Soziales statt für Aufrüstung, finanziert aus Vermögensabgaben.