NRW-Wahl: CDU-Sieg, LINKEN-Debakel und niedrige Wahlbeteiligung
Die Wahlsieger CDU und Grüne treffen sich zu ersten Gesprächen, während sich DIE LINKE vom nächsten Tiefschlag erholen muss. Doch: Wie repräsentativ ist eigentlich eine Wahl, bei der nur rund die Hälfte der Berechtigten abstimmt?
Drei Tage nach ihren stattlichen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen haben sich Vertreter:innen von CDU und Grünen heute zu ersten Gesprächen getroffen. Eine Sondierung sei das noch nicht. Doch es ist kein Geheimnis, dass ein schwarz-grünes Bündnis zu den wahrscheinlichsten Koalitionsoptionen zählt.
Die CDU war schließlich mit 35,7 Prozent stärkste Kraft geworden, wird aber nicht in jedem Fall regieren können. Die bisherige schwarz-gelbe Koalition wird es in den kommenden Jahren nicht mehr geben. Stattdessen müsste die CDU sich für eine Koalition zwischen den Zweit- und Drittplatzierten entscheiden: Die leicht geschwächte SPD mit 26,7 Prozent und die Grünen, die ihr Wahlergebnis mit 18,2 Prozent seit 2017 mehr als verdoppeln konnten. Beide könnten wiederum mit der FDP koalieren, die mit 5,9 Prozent nur noch knapp ins Parlament eingezogen ist.
Neben den Liberalen steht eine Verliererin fest: DIE LINKE stürzte um mehr als die Hälfte ab, und landet bei kläglichen 2,1 Prozent. Die AfD sitzt, trotz Verlusten, dagegen mit 5,4 Prozent erneut im Parlament des größten Bundeslandes.
Dabei gingen so wenige Menschen wie noch nie in NRW zur Wahl: Die Beteiligung betrug nur 55,5 Prozent. Ähnlich niedrig war die Beteiligung zuletzt im Jahr 2000 mit 56,7 Prozent. Dabei fallen regionale Unterschiede auf. Während im relativ wohlhabenden Münster über 65 Prozent zur Wahl gegangen sind, waren es im “strukturschwachen” Wahlkreis Duisburg III nur etwa 38 Prozent. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hatten in NRW noch 76,4 Prozent ihre Stimme abgegeben. Und auch bei der Landtagswahl 2017 hatte die Wahlbeteiligung noch 65,2 Prozent betragen.
Dem klaren Wahlsieger CDU hat also nicht einmal ein Fünftel der Wahlberechtigten seine Stimme gegeben. Bedenkt man zudem, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bei der Landtagswahl kein Wahlrecht besitzen, kann man kaum davon sprechen, dass die Koalitionsverhandlungen eine repräsentative Landesregierung zustande bringen können.
Klar ist: Die Unzufriedenheit ist groß und immer mehr Menschen finden sich in den Angeboten der repräsentativen Demokratie nicht wieder. Besonders auffällig ist jedoch, dass nicht nur die SPD unter der niedrigen Wahlbeteiligung leiden musste. Laut Umfrage von Infratest dimap haben Preissteigerungen, Klimapolitik und Energieversorgung die wichtigste Rolle für die Wahlentscheidung gespielt – noch vor dem Krieg in der Ukraine und Bildungsfragen. Doch letztlich hat es keine Partei geschafft, die Unzufriedenheit vieler Menschen angesichts der aktuellen Lage für sich nutzbar zu machen.
Das dürfte zur Stärkung der Grünen beigetragen haben. Allerdings nicht ohne Widersprüche, schließlich haben sie in der Frage der Preissteigerungen wenig anzubieten, und verklären die Teuerung als ein notwendiges Übel im (Wirtschafts-)Krieg mit Russland. Gleichzeitig gelten sie trotz ihrer rein kapitalistischen Lösungsansätze als kompetent in Klimafragen sowie im Bereich der Energiesicherheit. Ein Thema, was weiterhin vor allem junge Menschen anspricht. So sind die Grünen ähnlich wie bei der Bundestagswahl unter den 18-24-Jährigen die stärkste Kraft.
Außenpolitisch stehen die Grünen außerdem für einen sehr viel schärferen Kurs als Scholz bisher. Die klare Haltung von Baerbock zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine oder der Gas-Deal von Habeck mit Katar zeigen eindrücklich, wo es mit der Partei hingehen soll: vollständige Unabhängigkeit von Russland und eine Stärkung des transatlantischen Bündnisses mit den USA. Robert Habeck hat bereits angekündigt, den Bau der Flüssiggasterminals zu beschleunigen. Diese bundespolitischen Positionen der Grünen bringen sie auch in den Ländern in eine bessere Position. Gleichzeitig setzt sich die Rechtsentwicklung der Partei weiter fort.
Auch bei der CDU haben sicher vor allem bundespolitische Aspekte, sowie der Erfolg von Daniel Günther in Schleswig-Holstein vor zwei Wochen eine Rolle gespielt. Besonders die zunehmende Kritik an der Ampel-Koalition von weiten Teilen der Bevölkerung hat der CDU sicherlich in die Hände gespielt – und der SPD sehr geschadet. Die Flutkatastrophe im letzten Jahr spielte dagegen kaum noch eine Rolle. Das mag auch daran liegen, dass die Katastrophe in erster Linie mit Armin Laschet in Verbindung gebracht wurde, der mittlerweile von der Bildfläche verschwunden ist.
Dennoch gab es auch landespolitische Themen, die der CDU in die Karten gespielt haben. Denn viele Wähler:innen sind von der FDP zur CDU gegangen. Besonders die zahlreichen Skandale um die ehemalige FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer haben Spuren hinterlassen. Sie hat sich zu Beginn der Pandemie vehement gegen die Umstellung der Schulen auf Wechsel- und Distanzunterricht gestellt. Die GEW forderte deswegen unter anderem auch ihren Rücktritt. 2019 hatte sie zudem ein Projekt ohne Ausschreibung an eine Unternehmerin vergeben, die zuvor an die FDP gespendet hatte. Der Vertrauensverlust war sicher einer der Gründe, warum die FDP so schwach abgeschnitten hat.
Das Debakel der Partei DIE LINKE kam ebenfalls mit Ansage. In vielen Grafiken findet sich die Partei nur noch unter “Sonstige”. Dass die ehemalige Protestpartei von der umfassenden Unzufriedenheit vieler Nichtwähler:innen profitieren konnte, muss besonders schmerzen. Seitdem häufen sich die Austrittserklärungen.
Der Wahlkampf der Linkspartei war dabei vor allem von einem Kompromiss geprägt: Zwischen den Wagenknecht-Unterstützer:innen, verkörpert von der Spitzenkandidatin Carolin Butterwege, und ihren Gegner:innen, die durch den zweiten Spitzenkandidaten Jules El-Khatib vertreten wurden. Doch ein wirklicher politischer Kampf gegen die Positionen von Wagenknecht, beispielsweise zur Pandemie oder zum Ukraine-Krieg hat nicht stattgefunden. Schlimmer noch: Die Antwort von großen Teilen der LINKEN auf die russlandfreundlichen Positionen Wagenknechts ist eine Unterordnung unter die NATO. Dass dieses Phänomen nicht allein auf NRW beschränkt ist, zeigt sich schon seit den Bundestagswahlen.
Die Partei droht ernsthaft auseinanderzubrechen, allen Durchhalteparolen zum Trotz. Umso dringender stellt sich deshalb nun die Frage, wie eine politische Linke aufzubauen ist, die sich eben nicht in den Staat integrieren will – und dafür wie die NRW-LINKE an der Wahlurne abgestraft wird.