NRW-Polizeigesetz verfassungswidrig: das Streben des Staates nach mehr Überwachung

07.01.2025, Lesezeit 6 Min.
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Polizeieinsatz in Düsseldorf, Foto: NGCHIYUI/ Shutterstock.com

Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes für verfassungswidrig erklärt, da es umfassende Überwachungsmaßnahmen ohne konkreten Verdacht erlaubte. Die Bundesregierung hat zugleich wieder einmal eine Debatte über Vorratsdatenspeicherung angestoßen.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Polizeigesetz des Landes NRW in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig erklärt. Der Einwand des Gerichts betrifft vor allem die Paragrafen 16 und 17, die den Behörden umfassende Befugnisse zur langfristigen Observation zugestehen, ohne dass konkrete Indizien einer bevorstehenden Straftat vorliegen. 

Observation ohne konkreten Tatverdacht

Eine Frau hatte seit 2019 durch mehrere Instanzen geklagt, da sie auf Bildern zu sehen war, die im Rahmen der Observation ihres Freundes entstanden sind, der als rechtsextremer Gefährder seit seiner Haftentlassung 2015 überwacht wurde. Die Behörden wollten damit ein Abtauchen des Mannes verhindern und überwachten in diesem Zuge auch sein Umfeld. Das Bundesverfassungsgericht gab der Frau nun recht darin, dass eine heimliche Observation mit Beteiligung Dritter einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstelle und deshalb nur zu rechtfertigen sei, wenn ein konkreter Tatverdacht bestehe. 

Die Regierung in NRW hat jetzt bis Ende des Jahres Zeit, das Gesetz nachzubessern und verfassungskonform zu gestalten. Damit wird zwar ein Schritt gemacht, um willkürliche Überwachungen zu verhindern bzw. zu erschweren, jedoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Polizeigesetz weiterhin umfassende Repressions- und Überwachungsmaßnahmen erlaubt, die wunderbar mit der Verfassung vereinbar sind. Das zeigt uns, dass die Verfassungsmäßigkeit kein Gradmesser für uns sein darf, anhand dessen wir Gesetze des bürgerlichen Staates bewerten. Außerdem war die nun vom BVG beanstandete Passage bereits seit 2003 im Polizeigesetz zu finden. Die Überprüfung fand erst statt, nachdem eine Bürgerin gegen ihren Staat geklagt hat. Die Verfassungsgerichte sind nicht die heilsbringenden Institutionen, die im Alleingang unsere Demokratie verteidigen, sondern genauso Elemente des bürgerlichen Klassenstaats. 

Der vorrangige Zweck der bürgerlichen Verfassung ist der Schutz des Privateigentums an den Produktionsmitteln, also die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Von diesem Wirtschaftssystem profitiert aber nur ein winziger Teil der Bevölkerung, die besitzende Klasse. Die bürgerliche Verfassung ist nicht dazu geeignet, die Interessen aller Menschen zu verteidigen, sie dient lediglich einer kleinen Minderheit. Deshalb sollten wir unser Vertrauen auch nicht in irgendwelche Richter:innen setzen, die diese Verfassung verteidigen. Diese Richter:innen, wie alle Richter:innen in bürgerlichen Staaten, unterliegen keinerlei demokratischer Kontrolle: sie werden weder gewählt noch entstammen sie aus der Mitte der Gesellschaft. Deshalb werden sie, unabhängig welche Partei gerade an der Regierung sein mag, völlig losgelöst von den Interessen der Bevölkerung agieren. 

Ausweitung der Überwachung als Zeichen eines Staates in der Krise

In den letzten Jahren haben viele Bundesländer die Befugnisse ihrer Polizei mit neuen Gesetzen erweitert. Besonders in Bayern und Baden-Württemberg, aber eben auch in NRW, wo das verschärfte Polizeigesetz seit 2018 in Kraft ist. Auch das BKA-Gesetz des Bundes, das die Grundlage für das “Sicherheitspaket” der Bundesregierung bildet, wurde im Herbst letzten Jahres teilweise für verfassungswidrig erklärt, weil auch hier das heimliche Überwachen und das Sammeln und Speichern von Daten zu lasch geregelt wurde. 

Im Zuge der Debatte um mehr Sicherheit nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg hat die Bundesregierung die Gelegenheit ergriffen und mal wieder die Einführung der Vorratsdatenspeicherung ins Spiel gebracht. Von Plänen, diese Maßnahme noch in dieser Legislaturperiode einzuführen, wie am Anfang der Woche noch von einer Sprecherin der Regierung mitgeteilt wurde, ist man mittlerweile wieder abgerückt. Dennoch arbeite man weiter an der Umsetzung dieses Vorhabens. 

Dass Vorratsdatenspeicherung nicht dafür geeignet ist, Kriminalität und Terrorismus zu verhindern, haben zahlreiche Fachleute bereits bekräftigt, die zur Befragung in den Innenausschuss des Bundestages eingeladen wurden. Gerade das Beispiel Magdeburg verdeutlicht das: Der Täter war vorher bereits lange bekannt, besonders wegen Postings im Internet. Doch es wäre zu einfach, das Vorhaben der Regierung als aktionistisches Ablenkungsmanöver im Wahlkampf zu deuten, um sowohl vom behördlichen Versagen abzulenken, als auch gleichzeitig den populistischen Rufen nach Law & Order Politik stattzugeben. Das Streben des Staates nach mehr Befugnissen in der Überwachung und Repression ist ein Ausdruck des Rechtsrucks, der längst in alle bürgerlichen Parteien und den gesamten Staatsapparat übergeschwappt ist. 

In Zeiten der relativen Stabilität des kapitalistischen Systems genügt es dem Staat, durch kleine Zugeständnisse hier und da die Zufriedenheit und damit die Gefolgschaft der Massen zu sichern. Diese Zeiten sind nun aber vorbei: spätestens der Bruch der Ampelregierung ist der aktuellste Höhepunkt einer Entwicklung, die nun schon einige Jahre anhält und sich durch immer offenes Infragestellen des bisherigen Status Quo, sowohl durch große Teile der Bevölkerung als auch neue Player in der Parteienlandschaft (AfD, BSW), ausdrücken. In diesen Zeiten der Krise, in denen Zuckerbrot alleine nicht mehr reicht, greift der Staat also zur Peitsche, um seine Untertanen zu disziplinieren. 

Wie setzen wir uns dagegen zur Wehr?

Bei der Frage, wie wir uns als arbeitende Klasse gegen diese Unterdrückungsversuche seitens des bürgerlichen Staates zur Wehr setzen, sollten wir bei den Institutionen ansetzen, die diese Unterdrückung maßgeblich umsetzen, also der Polizei. Wir dürfen jedoch nicht dabei stehen bleiben, sondern müssen das ganze System, dessen Ausdruck die Polizei nunmal ist, verändern. 

In Zeiten, in denen unsere Grundrechte von Seiten des Staates angegriffen werden und aufgeweicht werden sollen, müssen wir uns verteidigen: gegen Einschränkungen des Versammlungsrechts und des Rechts auf Meinungsfreiheit, gegen die Zunahme von Überwachung und gegen die Militarisierung im Inneren und nach außen. 

Der nächste Schritt muss die Auflösung der Polizei und des Verfassungsschutzes sein. Diese bürgerlichen Institutionen müssen durch demokratische, gewählte Sicherheitsstrukturen ersetzt werden, die sich direkt aus der Mitte der Gesellschaft rekrutieren: den Nachbarschaften und Betrieben. 

Um die Menschheit endgültig zu befreien, reicht es aber nicht, die Polizei abzuschaffen. Wir müssen den kompletten bürgerlichen Staat beseitigen und durch einen proletarischen Staat ersetzen, der der Ausbeutung der arbeitenden Klasse ein Ende macht und damit die Weichen stellt für eine Zukunft ohne Unterdrückung. Für eine Zukunft ohne Krise, Klimakatastrophe und Krieg. 

Damit wir all das erreichen können, müssen wir uns organisieren – unabhängig von bürgerlichen Institutionen und Parteien. Mit unseren Direktkandidaturen bei der kommenden Bundestagswahl machen wir uns als RIO/Klasse Gegen Klasse genau dafür stark. Wir stellen uns gegen die Kriegstreiberei und fordern ein Ende aller Rüstungsausgaben und Waffenlieferungen Deutschlands! Schließ dich uns an und kämpf gemeinsam mit uns für eine andere Welt!

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