NRW: 7 Wochen Kampf um Entlastung in den Kliniken

22.06.2022, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Simon Zamora Martin

Seit Anfang Mai läuft nun an den sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen ein unbefristeter Streik für die Entlastung des Personals. Eindrücke von der Streikdemo in Münster.

„Wir Frauen arbeiten, ziehen die Kinder groß. Manchmal schaffen wir das nicht. Ich nehme so viele Medikamente, ich kann nachts nicht ruhig schlafen. Morgen 5:30 Uhr muss ich wieder aufstehen, Frühstück für die Kinder vorbereiten, dann acht Stunden schuften im Krankenhaus. Du hast keine richtige Pause. Es ist zu viel!“ Beim Streiktag klagt die Krankenhausbeschäftigte M. von der Neurologie in Düsseldorf über die Arbeitsbelastung. Wie 700 andere Menschen ist sie am Dienstag zur NRW-weiten Demonstration in Münster gekommen um für einen Tarifvertrag Entlastung zu kämpfen.

System der Teamdelegierten: Ansätze für Basisdemokratie

Die Gewerkschaft ver.di hatte im Frühjahr die CDU-geführte Landesregierung in NRW aufgerufen, endlich etwas gegen die Überlastung des Krankenhauspersonals zu unternehmen. Sie fordert einen verbindlichen Personalschlüssel, der verbunden ist mit zusätzlichen Urlaubstagen im Fall davon, dass Kolleg:innen in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen. Auch die Ausbildung soll verbessert werden, indem es mehr Praxisanleitung gibt. Doch weil die Landesregierung die Forderungen ignorierte, sind die 50.000 Beschäftigten seit dem 4. Mai im unbefristeten Streik, die Stationen in den Kliniken sind nur nach Notvereinbarung besetzt.

Die Streikbeteiligung sei hoch, besser als in einer normalen Tarifrunde, meint der Krankenpfleger Florian: „Hier verhandelt nicht nur ver.di Chef Frank Wernecke irgendwas in Berlin und wir haben damit zu leben. Hier können wir alle mit entscheiden und auch Nein zu einem Vorschlag sagen.“ Tatsächlich gibt es mehr Möglichkeiten der basisdemokratischen Mitbestimmung als sonst: Von jeder Station wählen die Beschäftigten bis zu vier Teamdelegierte. 200 der Delegierten finden sich dann in einem landesweiten Delegiertenrat zusammen, der im engen Kontakt mit der Tarifkommission steht. Jedes Verhandlungszwischenstand muss die Tarifkommission an die Delegierten zurückgeben, die mit ihren Stationen absprechen, ob sie einverstanden sind oder nicht. Diese Form der Mitsprache erlaubt es, mehr Kolleg:innen einzubeziehen, wenngleich die Strukturen noch ausbaufähig sind: Streikversammlungen, auf denen die Beschäftigten über weitergehende Forderungen und einen Kampfplan diskutieren, gibt es nicht. Trotz der basisdemokratischen Ansätze liegt die Verhandlungsführung immer noch in der Tarifkommission.

Köln: CDU und Grüne verweigern Solidarität

Erklärtes Ziel von ver.di ist eine „rasche Beilegung des Tarifkonflikts“. In einem offen Brief hat die Gewerkschaft an die künftige Landesregierung aus CDU und Grünen appelliert, die Versprechen aus dem Wahlkampf einzuhalten, und den Tarifvertrag Entlastung abzuschließen. Doch von Seiten der Parteien gibt es bisher wenig entgegenkommen – im Gegenteil. Im Kölner Stadtrat stimmen CDU und Grüne gegen einen Antrag zur Unterstützung der Krankenhausbewegung. Bisher hat das Land kein Vertragsangebot an alle Beschäftigten gerichtet. Lediglich für die „Pflege am Bett“ gab es ein Angebot – mit dem klaren Ziel, diese von den andern Berufsgruppen zu spalten, wie Christina, beschäftigt in der Küche in Düsseldorf, meint: „Der Arbeitgeber hat bisher nur ein Angebot für die Pflege gemacht hat. Das muss ich jetzt ändern. Krankenhaus ist Teamarbeit. Ohne Küche funktioniert es nicht, ohne Transport funktioniert es nicht.“

Es ist ein Erfolg der Krankenhausbewegung, dass sie sich nicht spalten lässt. Wer eine Streikdemonstration wie in Münster besucht, wird im Vergleich mit „gewöhnlichen“ Tarifverhandlungen merken, dass der Wille zur Veränderung und die Kampfbereitschaft unter den Kolleg:innen groß sind. Der Altersdurchschnitt der Demoteilnehmer:innen ist relativ jung, unter ihnen sind viele Azubis, die schon zu Beginn ihres Arbeitslebens oft allein gelassen werden. Die Streiks zeigen, dass die politische Forderung nach Entlastung hohes Mobilisierungspotenzial besitzt.

Eines der fortschrittlichsten Phänomene der Arbeiter:innenbewegung

Es kommt nicht häufig vor, dass in Deutschland sieben Wochen unbefristet gestreikt wird, und das gleich an Standorten mit 50.000 Beschäftigten. Zuletzt gab es 2018 elf Wochen Streiks, 2006 waren es sogar 16 Wochen. Solange sich das Land NRW beharrlich weigert, ein ernstes Angebot vorzulegen, ist trotz des Willens der ver.di-Spitze nach einem baldigen Abschluss eine Fortsetzung der Streiks möglich. Die Ansätze der basisdemokratischen Organisierung und die Forderung nach einem verbindlichen Personalschlüssel machen die Krankenhausbewegung in NRW aktuell zu einem der fortschrittlichsten Phänomene der Arbeiter:innenbewegung hierzulande, denn sie stellen die Profitlogik an den Krankenhäusern und die „unternehmerische Freiheit“ der Bosse in Frage, die meinen, allein entscheiden zu können, wie viel Personal angemessen ist. Die Bewegung zeigt das Potenzial für weitere Kämpfe. Letztes Jahr war die Berliner Krankenhausbewegung bereits ein Vorbild, nächstes Jahr könnte auch Bayern folgen.

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Die Kolleg:innen, die gemäß Notvereinbarung die Grundversorgung im Krankenhaus aufrecht erhalten, grüßen die Streikenden. Foto: Simon Zamora Martin

Doch haben die reinen Forderungen nach Entlastung auch Schranken: Die Gehälter und Arbeitszeiten etwa sind nicht Gegenstand der Verhandlungen. Dabei könnte eine Reduzierung der Stundenzahl bei vollem Lohnausgleich für viele Kolleg:innen, die den Job verlassen haben, ein Grund sein zurückzukehren. Auch für Auszubildende ließe sich der Beruf damit attraktiver gestalten. Problematisch sind die beschränkten Forderungen vor allem auch aufgrund der Inflation von derzeit acht Prozent. Der Tarifvertrag der Länder, unter den die Unikliniken fallen, sieht eine Lohnsteigerung zum 1. Dezember 2022 von 2,8 Prozent vor – weit unter der Teuerung. Die nächste Tarifrunde steht dann erst im Oktober 2023 an, bis dahin sind also keine weiteren Gehaltsanpassungen vorgesehen.

Die mittlerweile sieben Wochen andauernden Streiks der Krankenhausbewegung in NRW zeigen, dass die Gewerkschaften genug Kraft und Potenzial haben zu mobilisieren, wenn sie denn Forderungen stellen, die spürbaren Einfluss auf die Arbeitsbedingungen haben. Es darf keine faulen Kompromisse geben, denn die Gesundheit der Beschäftigten und auch der Patient:innen hängt davon ab, dass genug ausgebildetes Personal vorhanden ist. Vielmehr bräuchte es Schritte, um die Streiks auszuweiten, sie etwa nicht nur auf die Unikliniken zu beschränken, sondern die städtischen Krankenhäuser mit einzubeziehen. Zudem müssten in Streikversammlungen die Beschäftigten auch über weitergehende Forderungen etwa gegen die Inflation diskutieren. Damit gäbe es die Möglichkeit, noch viel mehr Kolleg:innen zu erreichen und den Druck weiter zu erhöhen.

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