NPA: Teil der Leitung reiht sich in die Anti-Front-National-Front ein
Nach dem viel erfolgreicheren Wahlkampf, als es uns das Ergebnis glauben lassen könnte, hat Poutous Kandidatur durch ihre Radikalität, ihre Unabhängigkeit und ihren Klassenstandpunkt für viel Furore gesorgt. Es gab eine wirkliche Resonanz, die allerdings durch einen Teil der Leitung der NPA mit immer offeneren Positionierungen in Hinblick auf die „republikanische Front“ und die Stimmabgabe für Macron wieder zerstört werden könnte.
Keine Wahlempfehlung am Abend des ersten Wahlgangs
Philippe Poutous Erklärung am Abend des ersten Wahlgangs war eigentlich ziemlich klar:
Das Ergebnis von Le Pen und die politische Krise zeigen auf, dass es dringend nötig ist, unsere Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen und zu mobilisieren. Noch weniger als im Jahr 2002 bedeuten die nächsten Tage keine „republikanische Front“, sondern eine breite Mobilisierung gegen die Nationale Front (FN) und die liberale Politik – besonders die Mobilisierung der Jugend ist unabdingbar. Wir müssen in den Betrieben und den Vierteln kämpfen, ohne die Ergebnisse des zweiten Wahlgangs abzuwarten. Und darüber hinaus: Macron ist kein Schutz gegen die Front National, um diese Gefahr dauerhaft zurückdrängen zu können. Es gibt keine andere Lösung, als gegen die extreme Recht auf die Straße zu gehen, aber auch gegen all diejenigen, die wie Macron die antisozialen Maßnahmen durchsetzen wollen.
Diese unabhängige Position gegenüber den Kandidat*innen des zweiten Wahlgangs ist anschließend durch mehrere Stellungnahmen Poutous in den Medien wiederholt worden.
Dann wird es ein bisschen weniger klar…
In den beiden Wochen danach konnte eine Entwicklung hin zu einer Positionierung beobachtet werden, die sich, ohne sich offen für Macron auszusprechen, fast ausschließlich auf die Gefahr durch die Front National beschränkte. So wurde beispielsweise das Spruchband der NPA für die 1.-Mai-Demonstrationen, womit auch zum Treffpunkt der NPA für die Demonstration in Paris eingeladen wurde, mit der ursprünglichen Losung „Gegen die FN und die liberale Politik – rüsten wir uns zum Gegenschlag“ noch einmal geändert in: „Ihre Fortschritte gründen auf unseren Rückschritten – lasst uns gegen die extreme Rechte kämpfen“.
Gegen die FN und die liberale Politik – rüsten wir uns zum Gegenschlag
Ihre Fortschritte gründen auf unseren Rückschritten – lasst uns gegen die extreme Rechte kämpfen
Einige Tage später, am 4. Mai, erschien dann die Wochenzeitung der NPA, L’Anticapitaliste, mit folgender Titelseite: „Gegen Le Pen – Todesgefahr – gegen die kapitalistische Dampfwalze: mobilisieren, kämpfen, wiederaufbauen.“
Der Schwenk ist bemerkbar: Macron wird kein einziges Mal genannt, nicht mal indirekt, das einzige Ziel ist die FN.
Interne Debatte und Rückzieher
Hinter diesem mehr als offensichtlichen Rückzieher befindet sich ein Teil der Leitung der NPA, die bisher über eine knappe Mehrheit verfügte, deren Resolution aber beim Nationalen Komitee der NPA verlor. Der Text dieser Resolution verteidigt die Idee, dass es unsere wichtigste Aufgabe sei, vor und nach der Stichwahl gegen die Position anzukämpfen, der FN sei eine Partei wie die anderen. Die FN sei eine Partei der extremen Rechten, deren Grundlage immer das Erbe der faschistischen FN Jean-Marie Le Pens sei. Sein Programm beinhalte die Zerstörung demokratischer Rechte und die Infragestellung aller Rechte der Gewerkschaftsbewegung und der sozialen Bewegungen. Folglich wird in dieser Resolution vorgeschlagen:
davon zu überzeugen, dass die FN eine schwere Bedrohung für die Ausgebeuteten und für ihre Werkzeuge des Wiederstandes bedeutet – eine Bedrohung, die wiederum durch den Ausnahmezustand verstärkt wird, indem die Attentate instrumentalisiert werden. Es ist unabdingbar, gegen jede Stimmabgabe in ihrem Sinne zu kämpfen und dafür einzutreten, dass es im Lager der Ausgebeuteten keine Stimme für Le Pen geben darf.
Wir teilen grundsätzlich die Erwägungen von Emmanuel Barot bezüglich der Annahmen im Namen des antifaschistischen Kampfes, der Logik des kleineren Übels zu folgen und so die FN an den Wahlurnen zu stoppen. Die Erfahrung von 2002 [damals standen sich in Stichwahl der konservative Jaques Chirac und der Gründer der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen gegenüber und gewann am Ende mit über 80 Prozent, Anm. d. Üb.] hat bereits deutlich gezeigt, dass die „nützliche Stimmabgabe“ für Kandidat*innen der Rechten oder der „republikanischen Front“ unwirksam waren, um den Einfluss der fremdenfeindlichen Rechten zu verringern, im Gegen hat es diesen eher begünstigt.
Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse und Vorbereitung der nächsten Kämpfe
Zahlreiche Arbeiter*innen und Jugendliche haben ihre Lehren aus dem Jahr 2002 gezogen, wie es die Demonstrationen der Oberschüler*innen für eine Enthaltung oder die Positionierungen von Gewerkschafter*innen bezeugen. Es ist schade, dass nach einem hervorragendem Wahlkampf um Poutou, nun ein Teil der NPA nicht die Idee der Unabhängigkeit der Klasse in den Vordergrund stellt, was aber unerlässlich ist, um die kommenden Kämpfe vorzubereiten, die gewiss eine noch nie dagewesene Offensive gegen die Arbeiter*innenbewegung im Rahmen des Loi Travail darstellt und die eben Macron plant.
Es ist nicht unbedeutend, wenn während dieser beiden Wochen zwischen den beiden Wahlgängen eine enthemmte Kampagne von Hollande, der Rechten, den großen Medien und der Bosse bis hin zu Gattaz [Vorsitzender des MEDEF, dem bedeutendsten Unternehmerverband in Frankreich, Anm. d. Üb.] für Macron geführt wird. Es ist ganz eindeutig Macron und nicht Le Pen, dem die herrschende Klasse und die Eliten heute das Mandat erteilen, um beispiellose soziale und demokratische Rückschritte gegen uns durchzusetzen. Das schließt natürlich nicht aus, dass Le Pen oder andere Varianten der extremen Rechten oder des Faschismus eine Lösung für die Bourgeoisie werden könnten, was aber im Besonderen von der Entwicklung des Klassenkampfes abhängt.
Ein Szenario, in dem es Macron gelingt die Reformen durchzusetzen, wobei er jegliche politische Legitimität verliert, wie es bei Hollande der Fall war, könnte wirklich die Bedingungen für einen Sieg Le Pens in fünf Jahren schaffen, was eine gewaltige Niederlage für die Arbeiter*innen und die Gesamtheit der Mittelschichten wäre. Aber heute konkret eine Abstraktion von Macron vorzunehmen, nur auf die Gefahr durch FN hinzuweisen und davon zu sprechen, dass es keinen Unterschied machen könne, für Macron zu stimmen oder sich der Stimme zu enthalten, bedeutet, es abzulehnen, dass sich unsere Klasse auf die kommenden Herausforderungen der Konfrontierung mit den Bossen in den nächsten Monate vorbereitet.
Eine Geschichte, die weit zurückgeht
Vor der NPA hatte schon ihre Vorgängerin, die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR, Kommunistische Revolutionäre Liga) 2002 dazu aufgerufen, „die extreme Rechte auf der Straße und an den Urnen zu bekämpfen“, was einen relativ klaren Wahlaufruf für Jaques Chirac bedeutete. Es ist schade, dass 15 Jahre danach ein Teil der NPA immer noch in derselben Logik verharrt. Wenn sich die radikale Linke heute eine Trennlinie zwischen der FN auf der einen und allen anderen „demokratischen“ (oder „republikanischen“) Parteien auf der anderen Seite zieht, ordnet sie sich damit einem der schlimmsten Teile des „Gesindels“ unter, um Poutous Worte aufzugreifen. Diese „republikanische“ Front besteht aus einer korrupten politischen Klasse, die sich in der vergangenen Zeit „lepenisiert“ hat, wie die „Anti-Terror-Politik“ Hollandes beweist.
Es ist auch das Fehlen eine alternativen Klassenpolitik, unabhängig, radikal und völlig losgelöst von der institutionellen Linken, was Marine Le Pen und der FN einen Spielraum verschafft, um in den Augen einiger verzweifelter Arbeiter*innen als Gegnerin des Systems zu erscheinen. Glücklicherweise bleibt allerdings Poutou seiner Linie treu, nachdem er in der großen TV-Debatte Marine Le Pen bloßgestellt hat, wie dieses Video bei einer Unterstützungsversammlung der Beschäftigten von Tati in Paris von diesem Donnerstag beweist.