Niedersachsen: SPD-Comeback, CDU-Krise und Linkspartei-Scheitern mit R2G-Wahlkampf

16.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Die SPD erlebte gestern in Niedersachsen ein kleines Comeback. Mit rund 37 Prozentpunkten zieht sie als stärkste Partei in den Landtag ein. Die CDU hingegen fährt eine Niederlage ein, die noch vor Wochen undenkbar schien. Derweil scheitert die Linkspartei mit ihrem "Regierungswahlkampf" an der Fünf-Prozent-Hürde.

„Stephan, was du in den letzten drei Wochen geleistet hast, ist einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.“ Mit diesen hochtrabenden Worten beschrieb Martin Schulz den Wahlerfolg seines Parteikollegen Stephan Weil (beide SPD) am gestrigen Sonntag in Niedersachsen. Noch vor wenigen Wochen lag die SPD in Umfragen bis zu 14 Prozent hinter der CDU, und nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl sah es lange so aus, als würde die SPD in Niedersachsen, einer ihrer Hochburgen, ebenfalls eine herbe Niederlage einfahren. Dass dies nicht so kam und der SPD eine so große Aufholjagd gelang, liegt neben landespolitischen Themen vor allem auch an der Krise der CDU, die sich bei den Wahlen manifestierte.

53-Stundenwoche dank Rot-Grün und Schwarz-Gelb

Das zentrale Thema für den Landtagswahlkampf war vor allem die Bildungspolitik. So hat Rot-Grün zwar das G8-Abitur wieder abgeschafft. Eine Errungenschaft, die Stephan Weil und seiner SPD sicher auch zum jetzigen Wahlerfolg verholfen hat. Doch gleichzeitig hat sich ein riesiges Problem an Grundschulen herausgebildet. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht zum neuen Schuljahr von 600 unbesetzten Stellen an Schulen. Grundschullehr*innen arbeiten pro Woche im Durchschnitt 53 Stunden, in Spitzen bis zu 70 Stunden. Einige Grundschulehrer*innen haben gegen diese übermäßige Arbeitsbelastung bereits Klage vor den Verwaltungsgerichten eingereicht. Viele weitere Lehrer*innen könnten folgen. Die Verantwortung für diese Misere tragen die beiden vergangenen Landesregierungen.

VW-Skandal kaum wahlentscheidend

Der Dieselskandal um den Wolfsburger VW-Konzern führte im Endeffekt erst zu einer Infragestellung des Ministerpräsidenten Weil durch die CDU. Der Parteiwechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU besiegelte dann endgültig die Neuwahlen. Stephan Weil sitzt als Ministerpräsident auch im Aufsichtsrats des Konzern und verteidigte auch nach dem Skandal das VW-Gesetz, das den Konzern zu Teilen in Landeseigentum hält. Jedoch war es nur die FDP, die mit einer radikalen Forderung nach Privatisierung des Konzerns punkten wollte. Selbst die CDU stellte sich an die Seite von Stephan Weil und verteidigte das VW-Gesetz. Diese Einigkeit aller Parteien führte letztlich auch dazu, dass das Thema zum Wahlkampfabschluss kaum Relevanz hatte. Der versuchte „Putsch“ gegen Weil verkehrte sich für die CDU somit eher ins Gegenteil.

Anhaltende Krise der CDU

Der Absturz der CDU ist jedoch nicht nur landespolitisch zu verstehen, sondern ist ein weiteres Anzeichen der Krise in der Union auf Bundesebene. Trotz der Einigung mit der CSU über die so genannte „Obergrenze“ befindet sich die Partei in einer Krise, die schon bei der Bundestagswahl deutlich wurde. Während die SPD gestärkt aus der Landtagswahl heraus geht, steigt nun der Druck auf die Union, auch auf Bundesebene stärker auf Grüne und FDP zuzugehen. Doch die Verhandlungsposition ist durch die Wahl sicher nicht gestärkt. Sowohl Grüne als auch FDP haben bereits deutlich gemacht, dass sie dem Unionskompromiss zur Geflüchtetenpolitik nicht zustimmen.

AfD zerlegt sich selbst

Die AfD hat in Niedersachsen ebenfalls eine Niederlage einstecken müssen. Mit knapp über fünf Prozentpunkten schafft die Partei nur knapp den Einzug in den Landtag. Einerseits zerlegt sich die Partei durch den Austritt von Frauke Petry selbst. Auch die Hausdurchsuchungen und Durchsuchung einer AfD-Geschäftstelle aufgrund des Verdachts des Betrugs gegen den niedersächsischen Landeschef Armin Paul Hampel zeigen die Zerstrittenheit der Partei. Angezeigt wurde Hampel nämlich durch ein AfD-Mitglied. Anfang dieses Jahres war der AfD-Chef sogar einem Amtsenthebungsverfahen innerhalb der Partei ausgesetzt. Auch nach der Landtagswahl fordern Teile des AfD-Vorstand die Absetzung Hampels.

Auf der anderen Seite ist die Krise der etablierten Volkspartei in Niedersachsen sehr weniger stark ausgeprägt, als auf Bundesebene. Gerade in niedersächsischen Großstädten hat die SPD immer noch ihre Hochburgen unter Arbeiter*innen, während die CDU trotz der massiven Verluste die ländlichen Regionen dominiert.

Linkspartei kann nicht profitieren

Nach der Bundestagwahl feierte sich die Linkspartei noch für ihre starken Zuwächse im Westen Deutschlands. Tatsächlich hätte sie rein rein rechnerisch den Einzug in jedes Landesparlament geschafft. Doch in Niedersachsen wurde die Partei um ihre Spitzenkandidatin Anja Stoeck wieder auf den Boden geholt: Die Linke wird wieder nicht Teil des neuen Landtags sein. Die Partei hat dabei in ihrem Wahlkampf für den Landtag eine 180-Grad-Wende im Vergleich zur Bundestagswahl vollzogen.

Besonders in westdeutschen Bundesländern, in denen die Linke noch keine Regierungsverantwortung innehat, führte sie für den Bundestag einen Oppositionswahlkampf. Doch in Niedersachsen winkten die Posten einer Landesregierung. „Nur mit der Linken bleibt Stephan Weil Ministerpräsident“, erklärte Landesgeschäftsführer Michael Braedt noch kurz vor der Wahl. Trotz aller Abgrenzungen und verbal weichgespülten Attacken auf die SPD, erklärte die Partei ihre Regierungsbeteiligung zum Ziel des Wahlkampfes. Die Glaubwürdigkeit der eigenen politischen Forderungen rückte dabei in den Hintergrund. Denn letztlich war es die SPD zusammen mit den Grünen, die verantwortlich sind für miserable Arbeitsbedingungen, besonders an Grundschulen. Anstatt sich klar von dieser Regierung abzugrenzen, bot sich die Linke lieber als reine Mehrheitsbeschafferin an – und scheiterte.

Das Wahlergebnis zeigt, dass die Linkspartei nicht als wirkliche Opposition zur Politik der Union oder der AfD wahrgenommen wird. Der „Zweitstimmenwahlkampf“ hat zu keiner realen Abgrenzungen mehr zu den regierenden Parteien geführt, sodass sich ein Großteil der Niedersachsen letztlich lieber für das Original Stephan Weil entschieden haben. Auch wenn Parteichef Bernd Riexinger auch nach der Wahl die Zuwächse der Partei in westdeutschen Bundesländern hervorhebt, hat sich ein weiteres Mal gezeigt, dass eine Fokussierung auf Regierungsbeteiligung der Linkspartei keine Antwort auf den Rechtsruck seien kann. Vielmehr braucht es klare soziale Kante gegen die Politik der Regierung. Das heißt zum Beispiel, insbesondere in der Bildung die schon vorhandenen Kämpfe der Grundschulehrer*innen vor Gericht durch Mobilisierungen in Schulen zu unterstützen. Denn eine wirklich soziale Alternative zur Regierungspolitik wird nicht in einer Regierung mit den Parteien des sozialen Kahlschlags aufgebaut, sondern in Betrieben, in Schulen und in Universitäten.

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