Nieder mit dem Mordparagraph 218!

18.09.2015, Lesezeit 6 Min.
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// Flugblatt von der kämpferischen Frauengruppierung Brot und Rosen zum Protest gegen den „Marsch für das Leben“ //

„Nieder mit dem Mordparagraph 218!“, das riefen die Frauen schon in den 1920er Jahren auf ihren Demonstrationen. Staatliche Verfolgung aufgrund von Abtreibungen und heimliche Eingriffe unter unhygienischen Bedingungen trieben damals tausende Frauen in Verzweiflung, Gefängnisse und den Tod. Deshalb formierte sich gegen den sogenannten „Mord- und Zuchthausparagraphen“ eine Massenbewegung: Zehntausende gingen auf die Straße. Diese Bewegung war vor allem getragen von dem Aktivismus der Frauen der Arbeiter*innenklasse. Und das war auch kein Zufall: Es waren ja sie, die besonders betroffen waren. Sichere Abtreibungen waren für sie zu teuer, Verhütungsmittel auch. Ein (weiteres) Kind zu ernähren war ihnen außerdem oft nicht möglich, da sie es ohnehin schon schwer hatten über die Runden zu kommen. Der Paragraph 218, ein klares Instrument der Frauenunterdrückung, war also auch ein klares Instrument der Klassenherrschaft.

Millionen sterben

Und das ist auch heute noch der Fall: Frauen* der Arbeiter*innenklasse sind auch heute besonders von Abtreibungsverboten betroffen. Sie können es sich auch heute schwerer leisten, ins Ausland zu reisen und oder das Geld für sichere heimliche Eingriffe aufzubringen. Auch heute noch sterben auf der ganzen Welt Millionen armer Frauen* bei illegalisierten Abtreibungen. Wenn Reaktionär*innen heute auf die Straße gehen, um das Verbot der Abtreibung zu fordern, dann sagen sie damit, dass ihnen das „Leben“ eines Embryos mehr wert ist, als das Leben von Millionen armer Frauen* und Frauen* der Arbeiter*innenklasse.

Und es werden nicht nur Cis-Frauen schwanger. Trans-Männer oder Menschen, die sich nicht einem binären Geschlecht zuordnen, werden auch schwanger. Sie werden ganz besonders in ihrer geschlechtlichen Identität unterdrückt – und auch in Bezug auf ihre reproduktiven Rechte. So wurden Menschen in Deutschland bis 2011 gezwungen, sich sterilisieren zu lassen, um ihren Geschlechtseintrag offiziell ändern zu können. Hier zeigt sich, dass Gesetze über Schwangerschaft auch immer etwas mit der Aufrechterhaltung der Geschlechterbinarität und der damit verbundenen geschlechtlichen Arbeitsteilung zu tun haben.

In der Tradition der Frauen, die gegen den „Schandparagraphen“ demonstriert haben, fordern wir die Abschaffung des Paragraph 218 und den freien und kostenlosen Zugang zu sicheren Möglichkeiten der Abtreibung für alle, ohne Zwangsberatungen, Fristen, Indikationen und Tabuisierung. Wir fordern den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und sexuelle Aufklärung, ohne Sexismus, Homophobie und Transphobie.

Hausarbeit vergesellschaften!

Die geschlechtliche Arbeitsteilung sorgt in unserer Gesellschaft darüber hinaus dafür, dass Frauen* einseitig mit den Aufgaben der Reproduktion belastet werden. Deshalb kann es eine wirklich freie Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft nur dann geben, wenn die Kindererziehung und die Hausarbeit vergesellschaftet werden. Nur dann gehören Fragen wie „Kann ich ein Kind überhaupt ernähren?“ oder „Was wird wohl mein*e Chef*in dazu sagen?“ der Vegangenheit an.

Wir müssen uns organisieren, um unsere Rechte gegen Angriffe zu verteidigen und für ihre Erweiterung zu streiten. Gegen den Sexismus, auch innerhalb der Linken und der Arbeiter*innenklasse, und gegen Gewalt an Frauen* und anderen Unterdrückten stellen wir unsere Selbstorganisation.

Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass die vollständige Befreiung erst im Sozialismus erreicht werden kann: Die Frauenunterdrückung ist zwar nicht erst mit dem Kapitalismus entstanden, wurde aber in ihn integriert und ist heute äußerst nützlich für das Kapital. Erst in einer Gesellschaft, in der die Produktionsmittel kollektiv verwaltet werden, kann die Hausarbeit letztlich vergesellschaftet werden. Erst in einer solchen Gesellschaft ist die materielle Basis der geschlechtlichen und sexuellen Unterdrückung beseitigt und der politische Kampf für die endgültige Befreiung kann zu seinem Sieg geführt werden.

Klassenkämpferischer Feminismus

Deshalb treten wir für einen klassenkämpferischen Feminismus ein, der Teil einer revolutionären Bewegung gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus ist, gemeinsam mit der Arbeiter*innenklasse und allen Unterdrückten. Heute bedeutet das für uns konkret, dass wir – zusätzlich zum Kampf gegen Abtreibungsverbote und andere sexistische Gesetze – die Kämpfe und die Selbstorganisierung von Unterdrückten und Ausgebeuteten unterstützen. Zum Beispiel, indem wir praktische Solidarität mit dem Kampf der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst leisten – ein Bereich, in dem vor allem Frauen* arbeiten. Die Kämpfe der Arbeiter*innenklasse sind für uns von zentraler Bedeutung, weil nur die Arbeiter*innen die soziale Macht haben, den Kapitalismus zu stürzen. Frauen*, als mächtiger Teil der Arbeiter*innenklasse, gehören in diesen Kämpfen gegen ihre Ausbeuter*innen und Unterdrücker*innen in die vordersten Reihen.

Brot und Rosen…

…war die Losung eines Streiks von 20.000 Textilarbeiterinnen in Massachusetts in den USA im Jahr 1912. Die kämpfenden Frauen forderten genug für ein Leben (Brot) aber auch für ein schönes Leben (Rosen). Seit damals steht sie für die Kämpfe der Arbeiterinnen um ihre Befreiung. Gruppierungen von kämpferischen Frauen (und LGBT*) in Argentinien, Mexiko, Chile, Brasilien, Bolivien und dem Spanischen Staat machen als Brot und Rosen (Pan y Rosas/Pão e Rosas in der jeweiligen Sprache) klassenkämpferische feministische Politik.

Hier in Deutschland geben wir (Frauen* von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, und der revolutionär-kommunistischen Jugend in Gründung) unter dem Namen Brot und Rosen Flugblätter zu feministischen Themen heraus, zum Beispiel zum Frauenkampftag, zu den Protesten gegen den sogenannten „Marsch für das Leben“ oder zum Streik im Sozial- und Erziehungsdienst. Außerdem veranstalten wir einen Lesekreis und Workshops.

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