„Nicht nur klatschen, sondern machen“ – Streikversammlung in der Alten Försterei

13.07.2021, Lesezeit 4 Min.
1
Foto: Dustin Hirschfeld / Klasse gegen Klasse

Am vergangenen Freitag fanden sich fast 1000 Beschäftigte der landeseigenen Krankenhäuser Vivantes und Charité zu einer Streikversammlung in der Alten Försterei ein. Am 12. Mai hatten die Beschäftigten ihre Forderungen an die Klinikleitungen und die Politik überreicht und ein 100-tägiges Ultimatum gestartet, das mittlerweile zur Hälfte verstrichen ist.

Die Klinikbeschäftigten fordern einen Entlastungstarifvertrag, also die verbindliche, letztlich einklagbare Zusage, auf den Stationen mehr Personal zu beschäftigen. Außerdem sollen die durch den Berliner Senat ausgegliederten Beschäftigten nach TVöD bezahlt werden. Viele von ihnen bekommen derzeit zwischen 500 und 800 Euro pro Monat weniger als die Beschäftigten im Mutterunternehmen – für die gleiche Arbeit! Dem Senat bleibt nun noch bis zum 20. August, um seine Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen.

Rede und Antwort mussten Raed Saleh (SPD), Katina Schubert (Die Linke) und Werner Graf (Grüne) stehen. Die Beschäftigten hatten auf der Haupttribüne mit Blick auf die Gegengerade Platz genommen, an der Union Fans ein Banner angebracht hatten: „Nicht nur klatschen, sondern machen, gebt den Pflegekräften was sie verdienen“. Aufgeheizt war die Stimmung, weil das Vivantes Management mittels einstweiliger Verfügung am Mittwoch kurzfristig ein Streikverbot vor dem Arbeitsgericht erwirkte. Wir begleiteten die Veranstaltung mit Pfleger Micha, der erklärt: “Die Notdienstverhandlungen werden von der Unternehmensleitung boykottiert und die Beschäftigten moralisch erpresst.” Außerdem glaube keiner mehr, dass der Senat in diese juristischen Manöver nicht involviert sei. Die Klinikleitung rede sich auf das Patientenwohl heraus, dessen Beachtung aber ja gerade die Beschäftigten seit Jahren einfordern.

Was Micha meint, wird in den Reden der Beschäftigten deutlich: Eine Kollegin der Rettungsstation bei Vivantes berichtet, dass aus Gründen des Personalmangels nur drei Pflegekräfte eingesetzt würden, wo eigentlich acht vorgesehen seien. Patient:innen müssten bis zu 16 Stunden auf ihre Behandlung warten. Es komme vor, dass man tote Menschen im Warteraum findet. „Sie müssen sich im Klaren sein, dass Menschenleben von Ihren Entscheidungen abhängen, das hier ist kein Spiel.“, mahnt ein anderer Pfleger die Politiker:innen in seinem Beitrag.

Grotesk wirkt da die Pressemitteilung von Dorothea Schmidt, der Vivantes Geschäftsführerin, zum juristischen Streikabbruch: Sie hatte sich vergangenen Mittwoch trotz sechs Verhandlungsrunden ohne eigenes Angebot überrascht gezeigt, als ver.di den Warnstreik ankündigte und den bisher üblichen Abschluss einer Notdienstvereinbarung angeblich versagt habe. Dies hätte nicht hingenommen werden können, weil das Wohl und die Sicherheit der Patient:innen und Heimbewohner:innen oberste Priorität habe.

Ein weiterer Grund der Empörung: Seit nunmehr 14 Jahren sind tausende Beschäftigte aus den Mutterunternehmen Vivantes und Charité ausgegliedert und sind zum Teil nicht mal tarifgebunden. Obwohl im Koalitionsvertrag der Berliner Regierungsparteien – SPD, LINKE und Grüne – im Dezember 2016 »eine Angleichung an den TVöD« vereinbart worden war, wird das Outsourcing weiter betrieben. Eine Beschäftigte, die in der Küche bei Vivantes arbeitet, findet dazu unter Applaus der vollen Haupttribüne die passenden Worte: „Ich schneide die Gurken auch nicht anders als meine Kollegin, die mehrere hunderte Euro mehr bekommt als ich.“

Im Anschluss versuchten die Politiker:innen von RRG die Gemüter zu beruhigen. Saleh zählte auf, was die Berliner SPD inzwischen unternommen habe. Der Mindestlohn sei eingeführt worden und sachgrundlose Befristungen zurückgedrängt worden. Eine ausgegliederte Reinigungskraft bei Vivantes, die neben mir sitzt, kommentiert das sinngemäß so: Der Abbau von Befristungen sei im Interesse der Krankenhausleitung und des Senats, man wolle Niedriglöhner binden, denn man fände kein Personal mehr.

Während die Abenddämmerung einsetzt, wird die Stimmung in der Alten Försterei zunehmend schlechter. Dünne Versprechungen der Regierungsvertreter:innen werden zunehmend mit Buhrufen quittiert. Saleh – sichtlich bemüht Ärger abzuwenden – verweißt immer wieder auf das Management der Krankenhäuser. Pfleger Micha kommentiert: „Es ist heuchlerisch die Unternehmensleitung verantwortlich machen zu wollen. Der Senat bezahlt diese übertariflich und zwar dafür, das Spardiktat des Senats umzusetzen und den politischen Sündenbock zu spielen. Ohne Finanzierung können sie die Forderung nicht erfüllen“.

Die Gretchenfrage, die allen auf den Zähnen brennt, stellte dann der Moderator: Ob und wann der Berliner Senat gedenke, die Krankenhäuser so auszufinanzieren, dass die Forderungen erfüllt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Verbindliche Zusagen machten die Regierungsvertreter 42 Tage vor Ablauf des Ultimatums jedoch nicht.

Mehr zum Thema