Nicaragua: Gegen die Ortega-Regierung und die pro-imperialistische Rechte!
Seit über drei Monaten befindet sich Nicaragua in einer tiefen politischen Krise. Die brutale Repression durch die Regierung von Daniel Ortega Saavedra und seiner Frau, der Vizepräsidentin Rosario Murillo, hat bereits mehr als 400 Tote gefordert. Für eine unabhängige Mobilisierung und einen Ausweg der Arbeiter*innen und der Massen.
Am 19. April brachen Proteste von Krankenhauspersonal und Rentner*innen gegen die Reform des Nicaraguanischen Sozialversicherungsinstituts (INSS) aus. Die Reform war eine Maßnahme des Internationalen Währungsfonds (IWF), die eine Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge und eine fünfprozentige Rentenkürzung vorsah. Doch das war erst der Beginn einer Krise, wie es sie in Nicaragua seit den 1980er Jahren nicht gegeben hat. Die Krise gärte schon seit Langem, denn Präsident Ortega betreibt eine Politik in Übereinstimmung mit den Wirtschaftseliten und internationalen Finanzorganisationen, die völlig gegen die Massen gerichtet ist und von einem zunehmend repressiven Autoritarismus begleitet wird.
Deshalb konnte der Rückzug des Rentengesetzes die immer größere Wut nicht stoppen, die sich zu entfesseln begann. In ihren Anfängen wurden die Proteste von Tausenden von jungen Menschen und Studierenden im ganzen Land getragen. Es handelte sich um einen tiefgründigen Prozess, bei dem in jeder der Städte und Gemeinden bei jeder Mobilisierung Tausende hinzukamen. Es waren junge Leute, Bewohner*innen der armen Viertel von Managua und anderer Städte wie Masaya, León, Estelí, unter anderem; arme Sektoren, Bäuerinnen*Bauern, frustrierte Mittelschichten, die die Situation satt hatten.
Bei ihren Mobilisierungen errichteten sie Barrikaden und Straßensperren auf den Hauptverkehrsstraßen des Landes. Die Regierung Ortega-Murillo reagierte mit brutaler und ungewöhnlicher Repression, die zu vielen Toten und Verletzten führte.
In dieser Situation entschieden sich wichtige Wirtschaftszweige, sich von Ortega zu distanzieren, einschließlich der hohen Hierarchie der katholischen Kirche, die auch mit der Regierung verbündet war. Diese suchen jetzt – angesichts des wachsenden Zorns der Massen auf den Straßen – mit einem oppositionellen Diskurs nach einer Verhandlungslösung. Wenn das nicht erfolgreich ist, wollen sie Ortega stürzen, um eine noch rechtere Regierung durchzusetzen, die ihr pro-imperialistisches Programm vorantreibt. Die „Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie“ wurde für einen „nationalen Dialog“ geschaffen, in dem die Bischofskonferenz als Vermttlerin fungiert. Eine „Bürgerallianz“, die hauptsächlich von den wichtigsten Wirtschaftskammern wie dem „Hohen Rat Privater Unternehmen“ (COSEP) angeführt wird, an der aber „Vertreter*innen“ des Studierendensektors, Bauernführer*innen und Vertreter*innen der so genannten „Zivilgesellschaft“ teilnehmen. An der Allianz nimmt auch die US-Botschafterin in Nicaragua, Laura F. Dogu, teil.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die imperialistische Regierung der Vereinigten Staaten fehlen nicht und senden Delegierte zu Verhandlungen mit der nicaraguanischen Regierung. Mit einem Diskurs über „Demokratie“ und „Menschenrechte“, den ihnen Ortega mit seinem Autoritarismus und seiner repressiven Eskalation auf einem Teller serviert, diskutieren sie einen „politischen Übergang“ und sprechen von vorgezogenen Präsidentschaftswahlen. Zynismus pur: Sie wollen, dass aus der Krise – entweder durch einen „Übergang“ oder durch den Rücktritt von Ortega-Murillo – eine Regierung entsteht, die noch mehr ihren Interessen entspricht. Diese Politik lässt sich zum Beispiel in Honduras bezeugen, wo der Imperialismus die ganze Repression einer Regierung unterstützte, die aus dem Staatsstreich von 2009 hervorging, oder am Beispiel von Michel Temers Regierung in Brasilien, die das Ergebnis eines institutionellen Staatsstreichs war.
Deshalb hat der Ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf seiner jüngsten Sondersitzung eine Erklärung verabschiedet, die einen Antrag auf Vorverlegung der Wahlen auf März 2019, zwei Jahre früher als geplant, enthält. Das Dokument „drängt“ die Regierung, „einen gemeinsam vereinbarten Wahlkalender im Rahmen des Nationalen Dialogs zu unterstützen“. Die Initiative wurde von sieben Ländern (den Vereinigten Staaten, Kanada, Argentinien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Peru und Argentinien) mit Unterstützung Mexikos auf Antrag der katholischen Kirche durch die Bischofskonferenz vorangetrieben. Zusätzlich zu den USA und Kanada, handelt es sich um rechtsgerichtete Regierungen,die von den Regierungen der europäischen Länder unterstützt werden.
Dies ist eine klare Linie der Einmischung der Vereinigten Staaten und anderer imperialistischer Mächte, einschließlich Institutionen wie der Europäischen Union (EU), begleitet von der Rechten in Lateinamerika. Diese Linie gibt Ortega nicht nur genügend Zeit, um seinen Ausstieg aus der Regierung zu verhandeln, sondern auch einen verhandelten Übergang weg von den Forderungen der mobilisierten Bevölkerung zu suchen; und im Falle, dass er diesen Plan nicht akzeptiert, seinen Ausstieg zu beschleunigen. Die OAS „drängt“ Ortega, „in gutem Glauben“ am Nationalen Dialog teilzunehmen, dem die Regierung, die oppositionelle „Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie“ und über COSEP auch die Wirtschaftselite angehören.
Dieser „Dialog“ wird von internationalen Organisationen gefördert und will nur diejenigen „Gewalttaten“ gegen Studierende und Jugendliche offiziell verurteilen, die sich am 15. Juli der Repression von Seiten der Polizei und den paramilitärischen Kräften entgegenstellten, die mit zwei Morden endete. Wie man sehen kann, wollen sie Ortega einen Ausweg geben und die mehr als 400 Morde gegen die Bevölkerung ungestraft lassen. Diese Art von „Druck“, den die Vereinigten Staaten mit der OAS oder der UNO ausüben, um eine „einvernehmliche Lösung“ für die Krise zu finden, ist nichts Neues: Der US-Imperialismus versucht sicherzustellen, dass die Lösung ihm für die politischen und wirtschaftlichen Verschiebungen nützt, die auf internationaler Ebene stattfinden, um weiterhin ganz Lateinamerika als seinen riesigen Hinterhof zu erhalten. Jede Lösung, die vom Imperialismus und der zutiefst proimperialistischen Opposition der Bosse ausgeht, wird nur den Interessen der großen transnationalen Konzerne förderlich und den Interessen der Arbeiter*innen entgegengesetzt sein.
Während sich die politische Krise beschleunigte und die brutale Repression zunahm, stagnierte der von der „Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie“ vorgeschlagene und von Ortega akzeptierte „Nationalen Dialog“. Der „Dialog“ wurde nicht nur deshalb zeitweilig ausgesetzt, weil Ortega sich geweigert hat, die Repression zu beenden – die erste Forderung zur Einrichtung der Dialogtische zur Debatte über einen Prozess der „Demokratisierung“ in Nicaragua –, sondern auch wegen der wachsenden Mobilisierung auf nationaler Ebene mit einer starken Beteiligung der nicaraguanischen Bevölkerung, die seinen Rücktritt fordert.
Obwohl dieser „Dialog“ in einer politischen Sackgasse steckt, ist es fast sicher, dass die Verhandlungen zwischen den Sektoren, aus denen er sich zusammensetzt, hinter dem Rücken der kämpfenden Sektoren fortgesetzt werden, die versuchen, das Kräftegleichgewicht auf den Straßen zu testen. Am Vorabend der Generalversammlung der OAS in Washington hatten ihre Mitglieder bereits mit der Regierung Ortega Kontakt gehalten, um sich auf Änderungen des Wahlsystems zu einigen. Ein Beweis dafür war die Tatsache, dass ihr Generalsekretär Luis Almagro seine Unterstützung für vorgezogene Wahlen erklärte, solange diese im Rahmen der „institutionellen Transparenz“ stattfänden. Dazu hatte Almagro sich von Anfang an verpflichtet, um Ortega Zeit zu geben, die soziale Mobilisierung zu besiegen und sich mit den Bossen über den Übergang zu einigen.
In diese Situation schreiben sich die Zunahme der Repression und die Angriffe von Paramilitärs und Bürgerwehren ein, einschließlich des Einsatzes von Scharfschützen gegen die Bevölkerung. Trotzdem widersetzen sich weiterhin einige der historischen Bastionen – in denen der Sandinismus bis vor kurzem sogar hohe Stimmanteile hatte – in Städten wie Masaya, Estelí, León, Carazo und anderen.
Daniel Ortega sagte kürzlich gegenüber Fox News – nachdem er sich nach der brutalen Eskalation der Repression, die die Bewegung vorübergehend eingedämmt zu haben scheint, „etwas sicherer“ gefühlt hatte –, dass eine vorgezogene Wahl im Land „Instabilität und Unsicherheit“ schaffen und „die Dinge verschlimmern“ würde. Und mit absoluter Dreistigkeit gab er der Bevölkerung, die rebelliert hat, die Schuld an den Toten: „Sie ging von paramilitärischen Gruppen aus, die von einigen Oppositionsabgeordneten und dem Drogenhandel finanziert wurden.“ Darüber hinaus „versicherte“ Ortega, dass es in den letzten Tagen einen Prozess der „Normalisierung“ gegeben hat; was er nicht sagt, ist dass diese „Normalisierung“ – wenn es sie denn gibt – auf die brutale Anwendung der Repression mit Todesopfern in den Hunderten und Tausenden von Verwundeten zurückzuführen ist.
Und doch ist die angebliche „Normalisierung“ nicht nur das Ergebnis von Repression. Die FSLN-Regierung hat von Anfang an auf die Strategie gesetzt, „zu schlagen, um zu verhandeln“. Denn sie hat den Vorteil, dass die Opposition und der Imperialismus noch keine Option für einen politischen Wandel haben und befürchten, dass sich die Krise verschärfen und die „Regierungsfähigkeit“ beeinträchtigen wird. Vor allem fürchten sie, dass die Mobilisierungen in einer „sozialen Explosion“ enden könnten. Deshalb präsentiert sich Ortega, wie er im Interview mit Fox News bekräftigt hat, als einziger Garant für wirtschaftliche und politische Stabilität, um unter besseren Bedingungen zu verhandeln, während er die Repression weiter verstärkt, um die Protestbewegung zu zermürben.
Die Grenzen der Mobilisierung: eine notwendige Bilanz
Die Massenmobilisierung, die sich in Nicaragua entwickelt hat, hat es seit den 80er Jahren nicht mehr gegeben. Städte, Dörfer und Viertel, die für die Revolution von ’79 emblematisch waren, und die jahrelang Hochburgen der FSLN-Regierung waren, rebellierten auf ungewöhnliche Weise – mit einer Jugend, die zur politischen Krise erwacht war, und einer alten Generation, die immer noch bestimmte Kampfmethoden von vor 35 Jahren beibehalten hat. So wurde die Bevölkerung der emblematischen Städte – wie im Fall von Masaya – zu den Protagonist*innen eines halben Aufstands, der eine Kombination von tiefen Tendenzen zur Mobilisierung mit verschiedenen Niveaus von Widerstand, Selbstorganisation und Selbstverteidigung ausdrückte.
Die Bevölkerung greift auf die alten Formen des Kampfes zurück, die von der nicaraguanischen Revolution von 1979 geerbt wurden, wie die Errichtung von Barrikaden, Gräben und Blockaden, um das Eindringen von Repressionskräften und Paramilitärs spontan zu verhindern. Zusätzlich übernahmen sie aber auch dort, wo sie ohne Vertretung einer Regierungsbehörde zurückgelassen wurden, die Kontrolle über die Städte. In der Entwicklung dieser Elemente der Selbstorganisation und Selbstverteidigung – mit einem hohen Maß an Spontaneität – wurden die Parolen gegen die Regierung, die den Rücktritt von Ortega und Murillo forderten, stärker. Das wiederum entfesselte den repressiven Zorn der Regierung, die systematisch Angriffe durch paramilitärische Elemente anordnete, die von der Polizei und der Armee zur Bekämpfung dieses Prozesses und zur Disziplinierung der rebellierenden Bevölkerung ausgerüstet wurden.
Viele junge Menschen, Bäuerinnen*Bauern und Frauen stellten sich an die Spitze dieser Kämpfe. Aber ihre große Grenze war es, dass sie unter der politischen Führung der Bürgerallianz blieben, die sich in den Händen der Bosse (COSEP) und der Führung der katholischen Kirche befindet.
Vor allem war das deshalb so, weil der Widerstand nicht zusammen mit den Sektoren der Arbeiter*innenklasse entwickelt wurden, die das Funktionieren der Dienstleistungen und der Industrie im ganzen Land garantieren. Sie hätte ihre Forderungen als organisierter Sektor erheben, mit der sandinistischen Bürokratie brechen und die Mobilisierung der gesamten unterdrückten und ausgebeuteten Massen anführen können. Stattdessen handelte der Großteil der Arbeiter*innen im Prozess der Mobilisierung vereinzelt oder nur über die zentralisierten oder staatseigenen Gewerkschaften, deren Bürokratien – ähnlich denen der Regierung – die Arbeiter*innen daran hinderten, durch ihre Organisationen und mit ihren eigenen Methoden des Kampfes zu handeln.
Diese Elemente, ihr Potenzial und die Möglichkeit, die derzeitigen Grenzen zu überwinden, haben auch unter den Bossen große Angst ausgelöst. Tatsache ist, dass Unternehmer*innen in Kammern wie COSEP nichts mehr fürchten als die „Destabilisierung“, die eine größere Arbeiter*innen- und Massenrebellion verursachen könnte. Sie ziehen es vor, nicht alles zu riskieren, was sie unter Ortega erreicht haben: „offene Märkte“ für ausländisches Kapital; Freiheit der Landkonzentration und Umweltzerstörung; hohe Gewinne dank der Überausbeutung von Arbeit und staatlichen Subventionen; Einhaltung der „Ratschläge“ des IWF und des internationalen Finanzkapitals.
Die Politik der oppositionellen Bourgeoisie besteht eindeutig darin zu verhindern, dass die Mobilisierung als Ganzes immer radikaler und breiter wird und ihre Interessen gefährdet. Sie befürchten, dass sich die Mobilisierung nicht nur gegen Ortega richten wird, sondern auch gegen die Kapitalsektoren, die sich seit 2006 mit Ortega geeinigt hatten. Hinzu kommt die Sorge des US-Imperialismus: Denn wenn sich in der Region ein Szenario einer größeren Destabilisierung oder eines „sozialen Aufschwungs“ auftun sollte, würde dies die Neuzusammensetzung – im Sinne einer hegemonialen Politik – beeinflussen, während die USA die Kräfteverhältnisse in der Region der mittelamerikanischen Landenge so gut wie möglich konservieren will.
Zu diesem Zweck griffen sie auf die Politik des „nationalen Dialogs“ oder kontrollierter „nationaler Streiks“ zurück, um die Kampfbereitschaft der mobilisierten Sektoren zu beruhigen und optimale Bedingungen für eine politische Lösung der Krise zu schaffen, die den Interessen der Arbeiter*innen widerspricht und die Interessen der Bosse und des Imperialismus garantiert.
Leider teilten und teilen die „Sprecher*innen“ der Studierendenkoalition den Plan der Bürgerallianz für eine „Verhandlungslösung“ – entsprechend dem, was die Wirtschaftskammern sagen –, trotz ihrer radikaleren Rhetorik. Die Tatsache, dass sie Teil eines Bündnisses mit den Wirtschaftssektoren sind, zeigt deutlich, dass sie den Rücktritt von Ortega wollen, aber um eine Ersatzregierung einzusetzen, die den Interessen des Großkapitals entspricht. Wenn sie wirklich für die Massen sind, müssen sie mit dieser Bürgerallianz brechen und für die grundlegenden Forderungen der Arbeiter*innen, der Armen und der Bäuerinnen*Bauern kämpfen – eine Frage, die von den Bossen der COSEP und der hohen Hierarchie der katholischen Kirche eindeutig abgelehnt wird.
Die Arbeiter*innen, die Jugend und die Massen brauchen in dieser Phase eine klare Bilanz. Ein Rücktritt von Ortega, der ihren Interessen dient, wird nicht durch die Wirtschaftskammer oder die katholische Kirche organisiert, die die Interessen der Eliten und der Großgrundbesitzer*innen verteidigt. Die Unterordnung der Protestbewegung unter die proimperialistische Politik von COSEP und Kirche war und ist ein ernsthaftes politisches Hindernis für die Entwicklung und den Erfolg des Prozesses. Aus diesem Grund ist es notwendiger denn je, mit der Bürgerallianz der Bosse und der Kirche und ihrem Programm zu brechen. Die Avantgarde, die sich in diesen Kämpfen zu bilden begonnen hat, muss sich unabhängig und mit einer überlegenen Perspektive orientieren. Diese notwendige Abgrenzung ist verbunden mit der tiefgreifenden Diskussion einer Bilanz des Kampfes und mit der Aufgabe, die Organisierung, die in den Barrikaden, Blockaden und Besetzungen zu keimen begonnen hat, zu vervielfältigen, zu festigen und weiterzuentwickeln. Denn diese Errungenschaften dürfen nicht durch Illusionen in einen „nationalen Dialog“ verwässert werden, sondern müssen die Einheit der Arbeiter*innen und der Massen auf den Straßen zusammenschweißen.
Der Charakter von Ortegas Regierung und der Rechtsruck des Sandinismus
Als Ortega im Jahr 2006 zurückkehrte, schloss er einen Pakt mit der hohen Hierarchie der katholischen Kirche – einem Feind der nicaraguanischen Revolution – und den Wirtschaftssektoren, um mit den Plänen des IWF unter dem Arm an die Regierung zu kommen.
Die nun dritte Präsidentschaft des FSLN-Führers in Folge profitierte von der Teilung und Schwächung der konservativen Rechten sowie vom durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 5% seit 2011 aufgrund der boomenden Nachfrage nach Rohstoffen und Exporten in die USA. Obwohl dieser letzte Aspekt des Wirtschaftswachstums es ermöglicht hat, einige der skandalösen sozialen Probleme zu reduzieren und bestimmte Sozialhilfeprogramme zu entwickeln, lebte Ende 2017 ein Drittel der Bevölkerung in Armut. Diese wird verschärft durch Arbeitsplatzunsicherheit und niedrige Löhne (die Mehrheit lebt von 100 US-Dollar im Monat), von denen nicaraguanische Bosse und ausländische Unternehmen profitieren.
Die Regierung von Daniel Ortega hat jede linke Rhetorik hinter sich gelassen und die politische Macht auf der Suche nach wirtschaftlichen Vorteilen für seine Familie konzentriert. Seine Regierung basiert auf autoritären Methoden und dem Angriff auf demokratische Freiheiten und Protestbewegungen mit immer größerer Repression. Aber zusätzlich wurde diese politische Macht von Sektoren der Bourgeoisie und einer bürokratischen Kaste unterstützt, in der Ortega als Verwalter der kapitalistischen Unternehmen des Landes fungiert.
Dies war in Nicaragua ein Ausdruck des Rechtsrucks, der in den letzten Jahren bei den sogenannten „progressiven Regierungen“ Lateinamerikas stattgefunden hat. Ortega und die FSLN-Regierung verkörperten diesen Rechtsruck, indem sie einen sehr reaktionären bonapartistischen Kurs zum Nachteil der Arbeiter*innen und der Massensektoren einnahmen. Sie bauten sogar gute Beziehungen zum Imperialismus auf. Verbunden war das mit der Aufrechterhaltung eines demagogischen Diskurses der Bezugnahme auf die Revolution von 1979, nur als Rhetorik, um seiner Regierung Legitimität zu verleihen. Das hat nur dazu gedient, die Pläne zu verschleiern, die den großen Eliten und alten Sektoren der sandinistischen Bürokratie zugute kamen, die sich zu großen Wirtschafts-, Geschäfts- und Armeegruppen entwickelten.
Gegen Ortegas Regierung und die pro-imperialistischen Bosse, für eine unabhängige Mobilisierung
Doch trotz ihrer repressiven und diskursiven Härte ist die Regierung Ortega-Murillo geschwächt. Sie hat ihre soziale Basis verloren und die alten Pakte mit der Wirtschaft und der Kirche, der Schlüssel zu ihrer 12-jährigen Hegemonie, sind aufgekündigt. Und die Versuche, die Kontrolle wiederzuerlangen, basieren auf starker Repression, die Ortega dazu bringen wird, unter anderen Bedingungen mit den Wirtschaftsbossen zu verhandeln.
So befindet sich das politische Herrschaftsregime des Ehepaares Ortega-Murillo in einem Zustand der Erschöpfung und offenen Krise (obwohl diese noch nicht endgültig definiert ist), wobei die Wirtschaftskrise auch ein destabilisierendes Element ist. Deshalb hat Ortega beschlossen, die IWF-Programme anzuwenden. Aber deren politische Kosten beim Ausbruch der Krise bestanden darin, dass sich die Wirtschaft von der Regierung distanzierte und der Bürgerallianz beitrat.
Obwohl Ortega sich als der größte Feind der Mobilisierung erwiesen hat, ist auch anzumerken, dass die Wirtschaftssektoren, die „zivile und friedliche Streiks“ fordern (eine Art von Aussperrungen, an denen aber trotzdem Massensektoren teilnehmen, weil sie die Situation satt haben), dies nur auf kontrollierte Weise tun, um Druck auf Ortega auszuüben.
Die Bosse und die pro-imperialistische Opposition versuchen, die Unzufriedenheit mit dem von Daniel Ortega geführten Regime zu nutzen, um eine noch unterwürfigere und dem Imperialismus untergeordnete Regierung durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die unabhängige Mobilisierung der Arbeiter*innen, Jugendlichen und Armen zu fördern. Denn es sind dieselben Bosse, die unter Ortega reich geworden sind, die das Land noch mehr dem Imperialismus preisgeben wollen. Dafür müssen wir eine echte Alternative für die Arbeiter*innen, die armen Bäuerinnen*Bauern und die Jugend schaffen, die für eine revolutionäre Lösung kämpft, die den tiefen Bedürfnissen und Forderungen der nicaraguanischen Massen entspricht.
Ortega spricht in den letzten Tagen von der „Normalisierung“, aber ein Prozess der Demobilisierung ist noch lange nicht erreicht, wie wir bei den Märschen zum „Tag der Studierenden“ gesehen haben, wo sich in vielen Städten und Gemeinden der Repression widersetzt wurde. Lassen wir uns sich nicht von Ortegas Reden täuschen.
Die Situation erfordert nach wie vor die Vorbereitung eines echten unbefristeten Generalstreiks mit Mobilisierung und Blockaden, um das Land wirklich zu lähmen und die ganze Kraft der Arbeiter*innen, Bauern und Volksmassen auf die Straße zu bringen, die sich auf ihre eigenen Methoden und Organisation verlassen. Dazu ist es notwendig, die Organisation von Komitees und anderen Organisationen zu verallgemeinern, die in der Lage sind, die vielfältigen Aufgaben des Aufstandes, einschließlich der Selbstverteidigung gegen staatliche Repressionen und paramilitärische Banden, in ihre Hände zu nehmen. Aber auch seine nationale Koordination und Zentralisierung, demokratisch organisiert als eine große Front der Organisationen im Kampf, die ein eigenes Programm der Arbeiter*innen und Bäuerinnen*Bauern angesichts der nationalen Krise annimmt. Nur so kann die Führung der Bürgerallianz, ein großes Hindernis für eine unabhängige Mobilisierung ist, überwunden werden.
Wie wir bereits gesagt haben, nehmen die Arbeiter*innen und unter ihnen viele junge Menschen und Frauen am Kampf in ihren Nachbarschaften, Städten und Gemeinden teil. Allerdings ist die Arbeiter*innenklasse als solche als sozial und politisch differenziertes Subjekt immer noch unsichtbar. Und das ist eine ernste Schwierigkeit für die Entwicklung der Rebellion, denn es sind die Arbeiter*innen, die die Produktion in den lebenswichtigen Zentren der Volkswirtschaft lahmlegen können. Die Bedingungen der Prekarität, der extremen Ausbeutung und der Einschränkung der Organisationsrechte, die von den Bossen und dem Regime auferlegt wurden, wiegen bisher noch schwer, wie zum Beispiel bei den mehr als 100.000 Arbeiter*innen, die in den „maquilas“ der Freihandelszonen, hauptsächlich in Managua, arbeiten.
Die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen – wie die Sandinistische Arbeiterzentrale (CST), die Nationale Arbeiterfront (FNT, deren Generalsekretär auch Abgeordneter ist und der Nationalversammlung vorsteht), die Föderation der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die Konföderation der Lehrer*innen und andere – werden von der Regierung mittels einer Bürokratie kontrolliert, die sie geschlossen verteidigt. Aber gerade die Entwicklung der gegenwärtigen Mobilisierung eröffnet die Möglichkeit, dass die Beschäftigten von Industrie, Verkehr und Dienstleistungen usw. eine größere Rolle spielen, indem sie diesen „bürokratischen Klotz“ loswerden: Sie müssen die Arbeiter*innenbewegung auf die Beine stellen, für ihre Forderungen und die des ganzen Volkes kämpfen, die Bürokratie der Gewerkschaften loswerden, für die Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom Staat, der FSLN und den Chefs!
Aus diesem Grund ist es heute mehr denn je notwendig, dass die Massenbewegung auch die Selbstorganisation aller kämpfenden Sektoren in Betracht zieht: Bäuerinnen*Bauern, Frauen, Studierende und Jugendliche, die sich heldenhaft wehren. Die Arbeiter*innenklasse hat die enorme Herausforderung, ihr Potenzial zu zeigen, indem sie sich an die Spitze der Vorbereitung eines echten Generalstreiks stellt, der von den Betrieben aus organisiert wird und zu einem größeren Impuls und einer Ausweitung der Mobilisierungen im ganzen Land führen kann.
Wenn die große Energie der Massenbewegung nicht am Verhandlungstisch erstickt oder als Grundlage für einen pro-imperialistischen Ausweg genutzt werden soll, muss eine unabhängige Lösung die Orientierung für die fortschrittlicheren Sektoren im Kampf sein. Und das impliziert den Bruch der Linken mit der Bürgerallianz und ihrer Politik des Dialogs mit dem repressiven Ortega. Ländliche und städtische Arbeiter*innen sind herausgefordert, ihre Führung in den Händen der sandinistischen Bürokratie zu überwinden und mit den Wirtschaftssektoren zu brechen, um den ganzen Weg zu gehen und alle ihre Forderungen zu erreichen. Dazu ist es notwendig, ein Arbeiter*innenprogramm aufzustellen, das die Forderungen der anderen ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren berücksichtigt.
Für eine freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung
Für Nicaragua eröffnen sich unterschiedliche Perspektiven, beeinflusst durch die Auswirkungen der zunehmenden staatlichen Repression und der Unzufriedenheit auf den Straßen. Erstens, dass die Situation durch Verhandlungen oder den Sturz von Ortega von der rechten Opposition und der pro-imperialistischen Bosse kapitalisiert wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Ortega, durch eine Verhärtung seiner Politik, seinen Bonapartismus und den wahllosen Einsatz von Repression die Kontrolle übernehmen und auf dieser Grundlage einen Übergang diskutieren kann, der seinen Interessen besser entspricht. Oder es kann ein Ergebnis im Interesse der Arbeiter*innen geben.
Man muss klar sagen, dass weder der Bonapartismus von Ortega und Murillo noch ein Ausweg in den Händen der pro-imperialistischen Bosse (ob dieser nun ein „großes nationales Abkommen“ beinhaltet oder den Rücktritt von Ortega und die Etablierung einer für ihre Interessen günstigeren Regierung) Alternativen für die Arbeiter*innen und die Massen sind. Wir müssen für einen Ausweg kämpfen, der den tiefen demokratischen Bestrebungen der nicaraguanischen Massen gerecht wird.
Gegen die falschen Auswege, die für die Arbeiter*innen nur schädlich sind, gegen die Pläne für einen „Übergang“ und vorgezogene Neuwahlen glauben wir Sozialist*innen, dass der Kampf für eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung geführt werden muss. In einer solchen Versammlung kann das Volk demokratisch über alle wichtigen nationalen Probleme entscheiden, und zwar mit Hilfe von gewählten Vertreter*innen, die jederzeit abgewählt werden können und nicht mehr verdienen als ein*e Facharbeiter*in. Eine Verfassungsgebende Versammlung, die die Exekutive und die Legislative der Regierung konzentriert, das Präsidialamt abschafft – eine Figur, die nur dazu bestimmt ist, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten –, die Judikative beseitigt – diese Kaste von Richter*innen, die niemand gewählt hat – und sie durch Volksjurys ersetzt, die in allgemeiner Wahl gewählt werden. Kurz gesagt, eine Verfassungsgebende Versammlung, in der die effektive Lösung aller wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Forderungen der Arbeiter*innen, Bäuerinnen*Bauern und der Massen diskutiert werden können.
Es ist klar, dass eine solche Versammlung nur durch Mobilisierung durchgesetzt werden kann. Um dabei zu helfen und die Mobilisierung insgesamt zu stärken, ist es notwendig, die legitimen demokratischen Forderungen – gegen Repression und für Gerechtigkeit, gegen das autoritäre und korrupte Regime von Ortega und Murillo – zu verbinden mit den sozialen Forderungen der Arbeiter*innen, Bäuerinnen*Bauern und der Massen – nach höheren Löhnen, Arbeit und Land, gegen die Zahlung der Auslandsschulden und der „Vormundschaft“ des IWF, gegen die Lieferung natürlicher Ressourcen an die Bergbau- und Agroindustrieunternehmen und gegen den geplanten Kanal –. Das alles muss Teil eines Programms der Arbeiter*innen sein, damit die Kapitalist*innen für die Krise bezahlen.
Nur so wird es möglich sein, den Klassencharakter der Bosse zu zeigen und eine von der Bürgerallianz unabhängige Mobilisierung voranzutreiben, um nicht nur die Regierung von Ortega-Murillo zu besiegen, sondern den nicaraguanischen Massen eine effektive Lösung für ihre Forderungen anzubieten. Dieser Kampf, zusammen mit der Vertiefung der in diesen Monaten des Kampfes bereits begonnenen Mobilisierung, würde auch das Entstehen von Selbstbestimmungsorganisationen erleichtern.
Eine solche Versammlung – erobert durch die Mobilisierung und in der Perspektive des Kampfes für eine Arbeiter*innen-, Bauern- und Massenregierung – würde die Aufgabe des Abbaus der bonapartistischen und korrupten Institutionen des Regimes übernehmen, was die Bürgerallianz und die Kirche nicht wollen und können, weil sie ihre historischen Komplizen waren und sie brauchen, um ein neues Regime nach ihrem Maß wieder aufzubauen.
Aber darüber hinaus kann ein solches Programm den Horizont für die vollständige und wirksame Lösung der demokratischen und nationalen Aufgaben öffnen, ohne die es unmöglich ist, der Armut und der Unterwerfung unter den Imperialismus ein Ende zu bereiten und eine echte direkte Demokratie zu erkämpfen. Das kann nur geschehen durch eine neue Revolution in Nicaragua, die das zu Ende führt, was die von der FSLN geführten Führungen 1979 nicht getan haben: eine Arbeiter*innen- und Bauernrepublik, die auf Organisationen der Einheitsfront basiert, die die militanten Massen in ihrem Kampf aufbauen werden.
Diese Erklärung bei La Izquierda Diario.