Neuwahlen verhindert, Linke kapituliert
KATALONIEN: Einen Tag vor Ablauf der Frist konnten sich die bürgerlich-nationalistische Allianz Gemeinsam für das Ja (JxSí) und die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) auf eine Regierung einigen. Eine Geschichte von persönlichen Niederlagen, strategischen Siegen und gebundenen Händen.
Fast vier Monate nach den regionalen Parlamentswahlen in Katalonien am 27. September konnte eine Regierung gebildet werden. Das Wahlbündnis zwischen den Konservativen (CDC) des ehemaligen katalanischen Präsidenten Artur Mas und der links-republikanischen ERC (Gemeinsam für das Ja) konnte sich die Unterstützung der Parlamentsfraktion der Kandidatur der Volkseinheit (CUP) sichern. Dafür trat Mas als Präsident zurück. Sein Amt wird jetzt vom konservativen Bürgermeister von Girona, Carles Puigdemont, übernommen.
Debatte in der antikapitalistischen Linken
Seit den Wahlen versuchten die beiden Fraktionen, die für die Unabhängigkeit von Katalonien eintreten, einen Konsens zur Regierungsbildung zu finden. Denn der bürgerlichen JxSí fehlten zwei Stimmen für die absolute Mehrheit im Parlament. Diese sollten ihnen die CUP bringen, um den Prozess der Abtrennung vom Spanischen Staat voranzutreiben. Damit befand sich die CUP vor einem Dilemma: Die antikapitalistische Organisation entstand im Rahmen des Kampfes für das Recht auf Selbstbestimmung und treibt ihn mit voran. Doch mit dem JxSí mussten sie die beiden wichtigsten Parteien der katalanischen Bourgeoisie unterstützen und damit de facto ihre Forderungen nach einem sozialen Notprogramm über Bord werfen.
Wichtige Anführer*innen wie der Fraktionsvorsitzende, Antonio Baños, unterstützten trotzdem diese Variante, um den Unabhängigkeitsprozess nicht ins Stocken zu bringen. Doch ein etwa genauso großer Teil der Mitglieder und Parlamentsabgeordneten stellte sich gegen die Möglichkeit, dass die Stimmen der CUP eine erneute Präsidentschaft von Mas ermöglichen. Schließlich ist er die Verkörperung eines korrupten politischen Klans, der Katalonien seit dem 1980er-Jahren im Interesse der großen Kapitalgruppen Kataloniens regierte. Seine Partei CDC und das Wahlbündnis JxSí setzten die schlimmsten Kürzungen und Sparmaßnahmen seit dem Ende der Diktatur durch.
Doch diese innerparteiliche Opposition richtete sich nicht gegen die Ausrichtung der CUP insgesamt, die die Führungsrolle der Bourgeoisie im Unabhängigkeitsprozess anerkennt. Anstelle des Präsidenten Mas forderten sie eine*n andere*n konservative*n oder links-republikanische*n Politiker*in. Als Mas diese Forderung noch in den Gesprächen in der vergangenen Woche zurückwies, entschied sich die Leitung der Antikapitalist*innen dafür, ihr „Nein“ beizubehalten.
Persönliche Niederlage, strategischer Sieg
Artur Mas hatte sich erst ab 2012 klar für das Recht auf Selbstbestimmung bekannt und es in sein Programm aufgenommen. Damals versammelten sich am katalanischen Nationalfeiertag 1,5 Millionen Menschen in Barcelona für diese Forderung. Doch Mas trieb diese Massenbewegung nicht voran, sondern hatte das Gegenteil als Ziel: das Ersticken der demokratischen Hoffnungen der katalanischen Bevölkerung.
So schaffte er es, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, um sie von den Straßen in die Parlamente und Verhandlungsräume des Regimes zu verlagern. Das erfüllte zwei wichtige Aufgaben: Erstens wurde die demokratische Forderung nach nationaler Selbstbestimmung nicht mit sozialen Forderungen gegen Entlassungen, Repression und Sparmaßnahmen in Verbindung gesetzt. Zweitens konnte so der Unmut mit den undemokratischen Institutionen wie dem Parlament von Katalonien in die Illusion verwandelt werden, dass genau diese Institutionen Veränderungen im Sinne der Arbeiter*innen und Jugendlichen durchführen können.
Die Wahlen im vergangenen September sollten das politische Manöver vollenden. Der Prozess der „Loslösung“ soll in 1 ½ Jahren mit der Gründung einer katalanischen Republik enden. Mas war der beste Mann, um diese Aufgabe durchzuführen, schließlich besaß er die Erfahrung der letzten Jahre und das Vertrauen der reichsten Familien Kataloniens. Doch verschiedene Faktoren zwangen ihn schließlich zum Rücktritt. Die Korruptionsskandale nagen immer mehr an Mas’ Ansehen, seine Partei CDC befindet sich nach der Trennung von ihrem jahrelangen Partner in einem schwierigen Prozess der Neustrukturierung. Zudem hatten seine aktuellen Koalitionspartner der ERC die Wiederholung der Wahlallianz bei möglichen Neuwahlen abgelehnt. Während die CDC bei den nationalen Wahlen ihr schlechtestes Ergebnis einfahren mussten, konnten die Links-Repbulikaner*innen vom Unmut mit Mas profitieren.
Gebundene Hände
Um es zu verdeutlichen: Die wichtigste Partei der katalanischen Bourgeoisie stand mit dem Rücken zur Wand. Nur deshalb war Mas bereit, die persönliche Niederlage zu akzeptieren und einen Schritt zurückzutreten. Denn tatsächlich handelte es sich dabei um ein taktisches Manöver, dass den Konservativen die Kontrolle über den Prozess sicherte. Der neue Präsident Carles Puigdemont durchlief eine lupenreine politische Laufbahn: Vor 30 Jahren gründete er den Jugendverband der bürgerlichen Nationalist*innen, vor vier Jahren wurde er nach 30 Jahren der erste konservative Bürgermeister von Girona. Von dort aus leitete er nicht nur die Vereinigung der Rathäuser für die Unabhängigkeit, sondern machte sich einen Namen als neoliberaler und korrupter Politiker.
Durch das Abdanken von Mas geriet die CUP also vom Regen in die Traufe. Doch nicht nur das: In der gemeinsamen Erklärung mussten sie „schwere Fehler in den Verhandlungen“ einräumen, die Konsequenzen für ihre Parlamentsfraktion haben wird. Zwei ihrer Abgeordneten werden Teil der Fraktion von JxSí und werden wie sie abstimmen. Die restlichen acht Abgeordneten müssen bei allen Themen, die – wie der Haushalt – die „Stabilität der Regierung“ betreffen, mit der Regierung stimmen. Zudem wird die Fraktion umstrukturiert und die erbittertsten Gegner von Mas müssen gehen. Eine vollständige Kapitulation, die die Politik des Nachtrabs hinter die politischen Vertreter*innen der Bourgeoisie so sehr vertieft, dass die CUP-Fraktion von nun an mit gebundenen Hände die (reaktionäre) Stabilität der neuen Regierung gewährleisten muss.
Die Aufgabe der revolutionären Linken ist es im Gegenteil, den Kampf für das Recht auf nationale Selbstbestimmung ohne und gegen die katalanische Bourgeoisie voranzutreiben. Nur die Verbindung dieser demokratischen Hoffnung mit sozialen Forderungen kann die nötige Kraft im Klassenkampf bündeln, um die Unabhängigkeit dem spanischen Zentralstaat abzuzwingen. Dabei müssen die katalanischen Arbeiter*innen und Jugendlichen das engste Bündnis mit ihren Klassengeschwistern auf der restlichen iberischen Halbinsel schmieden, um von ihrem Kampf für die Unabhängigkeit zum Kampf gegen den spanischen (und katalanischen) Kapitalismus überzugehen.