Neuperlachs Mauer: Symbol rassistischer Segregation

10.11.2016, Lesezeit 5 Min.
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Ganz München redet über eine Mauer in Neuperlach, die internationale Presse berichtete. Wofür steht die Mauer, ist sie Lärmschutz oder etwa ein DDR-Revival? Nein, sie ist BRD-Eigenbau und steht vor allem symbolisch für den Staatsrassismus.

Im Münchner Stadtteil Perlach trennt eine vier Meter hohe Mauer ein Wohngebiet von einer Geflüchtetenunterkunft. Anwohner*innen sprechen von Lärmschutz, verwehren sich gegen Vorwürfe des Rassismus. Jetzt fordern viele, dass die Mauer wieder abgebaut werden soll.

Noch ist die Unterkunft für Geflüchtete im beschaulichen Stadtteil Perlach im Südosten Münchens nicht bezogen. Dort sollen bald 160 minderjährige Geflüchtete untergebracht werden.

Die Aufmerksamkeit der Medien für das Bauprojekt ist seit Tagen groß. Denn mit einer vier Meter hohen, rund 50 Meter langen Mauer, die ein anliegendes Wohngebiet von der Unterkunft trennt, ist ein deutliches Symbol für die Isolation von Geflüchteten entstanden.

Beim Planungsbeginn vor über zwei Jahren war diese Mauer aus Stahlkörben und Steinen nicht vorgesehen gewesen. Doch sechs Bewohner*innen in nahegelegenen Einfamilienhäusern und der Eigentümer eines unbebauten Grundstücks klagten vor dem Verwaltungsgericht. Gefordert hatten sie eine gar 4,50 Meter hohe Wand – vorgeblich aus Lärmschutzgründen.

Im Juni dieses Jahres einigte sich die Stadt auf einen Vergleich mit den Kläger*innen. Offensichtlich wiegt das Interesse von sieben Deutschen schwerer als das von 160 Geflüchteten.

„Rassismus pur“

Glücklich mit der Mauer ist nur die CSU. Der Betonklotz sei „Ergebnis eines rechtsstaatlichen Verfahrens“, so der Landtagsabgeordnete Markus Blume. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im bayrischen Landtag, Marcus Rinderspacher, sprach hingegen von einem „Symbol der Abgrenzung und Abschottung“. Unrecht hat er damit nicht. Die Stadtratsfraktion der Grünen und der Rosa Liste haben am vergangen Montag einen Antrag auf Rückbau der Mauer eingereicht.

Derweil sorgen politische Aktionen dafür, dass das Thema nicht aus der Öffentlichkeit verschwindet. In der Nacht auf Dienstag schrieben Aktivist*innen „Rassismus pur“ und „Gegen Grenzen“ an die Mauer. Der Schriftzug wurde inzwischen jedoch mit Holzpaletten abgedeckt. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen, die Polizei will dort vermehrt Streife fahren. Dass Menschen aussprechen, worum es sich bei der Mauer handelt, scheint einigen Leuten unbequem zu sein.

Wie in der DDR?

Die kleinbürgerlichen Linken von Bellevue de Monaco wiederum haben mit einer skurrilen Aktion auf die Situation geantwortet: Sie transportierten die DDR-Witze, die durch die Berichterstattung und die Diskussion in den sozialen Netzwerken gehen, in die Realität: Am Mittwochnachmittag errichteten sie in Uniformen der Nationalen Volksarmee einen „Checkpoint Ali“ an der Mauer.

Unterstützt wurden die Aktivist*innen dabei von Prominenten wie dem Kabarettisten Urban Priol, Peter Brugger von der Band Sportfreunde Stiller und Ex-1860-Profi Jimmy Hartwig. Das ist gut gemeint und soll vor allem Aufmerksamkeit und Dialog schaffen. Aber klare Forderungen, die mehr sind als Scherze über „Völkerverständigung“ und „Die Mauer muss weg!“, bringt die Aktion nicht hervor.

Dabei ist der Vergleich zur DDR schlicht unpassend: Der deformierte Arbeiter*innenstaat sperrte seine Facharbeiter*innen ein, um sein bürokratisches Regime am Laufen zu halten. Trotz ihrer vielen bürokratischen Widersprüche war die DDR aber eine viel egalitärere Gesellschaft als die BRD damals oder heute. Diese sperrt Arbeiter*innen, die auch wegen ihrer imperialistischen Politik nach Europa kommen, aus und segregiert die angekommenen im Inneren.

Den schlechten, rassistisch stereotypen Wortwitz mit dem „Checkpoint Ali“ hätte man sich also sparen können. Und echte Geflüchtetenkämpfe wie von Refugee Struggle for Freedom unterstützen, anstatt Refugees nur als Objekte für den eigenen Geschichtsdiskurs einzusetzen.

Nicht nur die Mauer muss weg

Wenn es schon ein Vergleich sein muss: Politisch viel passender wäre der mit gated communities gewesen, wenn die Situation sich auch momentan auf anderem Niveau befindet. Denn zumeist reichen Papiere aus und Deutschland braucht nicht zuletzt dank der vielen „Deals“ wenige physikalische Mauern für sein Ausgrenzungsregime.

Entschuldigend wird von Verteidiger*innen der rassistischen Mauer behauptet, die Mauer sperre niemanden ein, man könne ja außen herum gehen. Richtig: Sie ist vor allem ein Symbol für die gesellschaftliche Ausgrenzung von Geflüchteten, von Segregation. Die soll mit dem „Integrationsgesetz“ auch für minderjährige Geflüchtete nochmal verschärft werden. Dagegen demonstrierte Refugee Struggle for Freedom zusammen mit vielen Gewerkschafter*innen und Linken in München am 22. Oktober.

Dabei muss die Perlacher Mauer natürlich wieder verschwinden und dafür braucht es Aktionen. Segregation ist aber mit dem Abbau der Mauer alles andere als überwunden. Das Problem ist nicht nur die Mauer, sondern auch das Lager, das von ihr umgeben ist. Es muss nicht nur ein Stück Beton weg und auch nicht nur „die Mauer in den Köpfen“.

Es muss vor allem die rassistische Gesetzgebung weg, die Geflüchteten vorschreibt, wo sie zu leben haben, die sie im Recht auf Bildung und Arbeit einschränkt und schließlich sogar mit Abschiebung bedroht.

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