Vorschlag zum Waffenstillstand: Mehr aussichtslose Verhandlungen

07.06.2024, Lesezeit 6 Min.
1
Symbolbild: wikimediacommons

Mit einem neuen Vorschlag will die Biden-Administration sowohl Israel als auch die Hamas zur Niederlegung der Waffen bringen. Eine echte Lösung stellt der Vorschlag nicht dar.

Vergangene Woche veröffentlichte die Biden-Administration öffentlichkeitswirksam einen dreistufigen israelischen Vorschlag für die Umsetzung eines Waffenstillstands in Gaza. Demzufolge soll die Hamas schrittweise die verbliebenen Geiseln und sterbliche Überreste übergeben, während die israelischen Streitkräfte sich stufenweise aus Gaza zurückziehen und die humanitäre Hilfe freigeben soll. 

Immer noch hält US-Präsident Biden an der Darstellung fest, dass der Vorschlag aus israelischer Federführung stamme und die Unterstützung des Kriegskabinetts habe. Doch für die Öffentlichkeit ist es nicht nachzuvollziehen, wie die israelische Führung zu dem Vorstoß steht und warum das Weiße Haus einen Vorschlag aus angeblicher israelischer Federführung veröffentlicht und nicht Netanjahus Kabinett selbst.

1

Einigen Berichten zufolge hat die Hamas diesem neuesten Vorschlag bereits zugestimmt. Tatsächlich stimmte sie offenbar bereits einem sehr ähnlichen Vorschlag unter katarischer Vermittlung zu, der ihre Stellung eher noch stärker benachteiligt hätte. Die unwillige Partei ist die israelische. 

Netanjahu selbst war in seiner Reaktion auf Bidens Vorstoß ambivalent und hat bisher noch keine explizite Unterstützung des Vorschlags artikuliert. Medienberichten zufolge habe Netanjahu die US-amerikanische Darstellung des Vorschlags als verfälscht bezeichnet. 

Die rechtesten Teile der israelischen Regierung, angeführt vom Innenminister Ben-Gvir und Finanzminister Smotrich, haben bereits öffentlich damit gedroht, die ohnehin fragile Regierungskoalition kollabieren zu lassen, sollte der Vorschlag angenommen werden. 

Bisher bestand die israelische Linie aus einem Festhalten an der totalen Vernichtung der Hamas und der Ablehnung eines vorzeitigen Waffenstillstands vor dem Erreichen dieses Ziels. Daran hält das Kriegskabinett auch nach wie vor nach eigenen Angaben fest – auch wenn dies eigentlich im Konflikt mit dem neuesten Vorschlag steht. 

Über die wahren Motivationen der involvierten Staatsführungen, deren zynisches Feilschen um eine öffentlichkeitswirksame Handlungsstrategie vor dem Hintergrund einer laufenden Hungerkrise und eines monatelangen Massakers an der palästinensischen Zivilbevölkerung verläuft, lässt sich derzeit nur spekulieren. Möglich ist, dass Biden das israelische Kriegskabinett durch die Veröffentlichung des Vorschlags eines Waffenstillstands in Zugzwang bringen wollte. Auch könnte Netanjahu mit der geschickt platzierten Nebelkerze eines unehrlichen Angebots versuchen, von der laufenden Bombardierung von Flüchtlingslagern in Rafah und anderswo abzulenken und gleichzeitig die extrem rechten Hardliner in der eigenen Koalition zu isolieren. Ein Scheitern der Verhandlungen könnte er der Hamas zuschieben und so mit bedauerndem Achselzucken die genozidalen Bombardierungen vorantreiben. 

Letztlich stellt die Diskussion um Bidens Vorstoß entweder eine Scheindebatte um eine Verschleierungs- oder Verzögerungstaktik Netanjahus dar, die weiteren militärischen Angriffen eine Deckung bietet. Oder es handelt sich bei der möglichen Umsetzung eines schrittweisen Scheinrückzuges, der zionistisch diktierte Grundlagen der gewünschten Nachkriegsordnung schafft. Diese Ordnung würde die ewige, mörderische Besatzung des Gazastreifens neu auflegen und die systematische Ausübung des Genozids verlängern. 

Wir wissen es nicht, sicher ist letztlich nur: Die israelische Regierung hat kein Interesse an Frieden mit dem palästinensischen Volk und keinen Plan für die Zeit nach ihrem genozidalen Krieg außer Besatzung und Kolonisierung. 

Die Logik des israelischen militär-industriellen Rüstungskomplex, die strukturelle Macht des fundamental religiösen und extrem rechten Flügels, die Unvereinbarkeit des zionistischen Projekts mit der Gleichberechtigung der palästinensischen Bevölkerung und die politische Sackgasse, in die sich die derzeitige Regierungskoalition mit ihren Ankündigungen der Vernichtung der Hamas manövriert hat, erzwingt die Weiterverfolgung der Militärkampagne und die Restauration der Besatzung des Gazastreifens in noch erdrückenderer Form.

Doch die Blockade des Freiluftgefängnisses Gaza und die unerträgliche Lebensrealität für Palästinenser:innen in der Besatzung war genau der Nährboden für die Attacke am 7. Oktober und somit der akute Ursprung der darauf folgenden genozidalen Kampagne.

Deswegen muss ein tiefgreifender und wirksamer Waffenstillstand an die Grundsätze des Problems heranreichen. Eine ehrlichere Forderung für Frieden müsste beinhalten: 

• Der militärische Abzug aus dem gesamten Gazastreifen muss unmittelbar und nicht in Stufen geschehen.
• Die militärische Besatzung der palästinensischen Gebiete, sowohl in Gaza als auch dem Westjordanland und in Jerusalem, muss aufgehoben werden. 
• Das Apartheidsystem, dass Palästinenser:innen von ihrer Heimat trennt und sie in einem mörderischen System gefangen hält, muss aufgelöst werden.
• Alle Geiseln, jene in Gaza genauso wie die tausenden palästinensischen Geiseln in israelischen Foltergefängnissen, müssen sofort freigelassen werden. 

Solche Schritte wird der zionistische Staat aber niemals erlauben. Deshalb liegt eine echte Lösung nur in einer regionalen Revolution, angeführt von den Arbeiter:innen. 

So richtet sich unser Appell nicht primär an das diplomatische Personal internationaler Organisationen und auch nicht an die reaktionären Führungen der regionalen und imperialistischen Regierungen, die die Misere des palästinensischen Volkes zu verantworten haben. Nicht nur das ägyptische Regime, zum Beispiel, hat sich mit Israel arrangiert, hält die Grenze zu Gaza verriegelt und unterdrückt die Palästinasolidarität der eigenen Gesellschaft. Wir haben kein Vertrauen in Politiker:innen, deren Karriere im Blut der Palästinenser:innen getränkt ist. Auch haben wir uns nichts zu erhoffen vom Luftschloss des internationalen Rechts, das ohnehin optional ist für imperialistische Mächte, die es auch in der Vergangenheit zum Beispiel beim Irakkrieg oder bei ihrer Invasion in Afghanistan und Libyen nach belieben unterlaufen haben, wenn es ihren Interessen nützte.
Notwendig ist daher ein neuer arabischer Frühling unter der Führung der Arbeiter:innenklasse der Region, verbündet mit der weltweiten Jugend, welcher den Würgegriff des Imperialismus über Palästina und seine Nachbarländer abschüttelt und sich ihrer repressiven Führungsriegen entledigt. Palästinas Befreiung kann in diesem revolutionären Prozess nur durch eine sozialistische und laizistische Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Rechten für alle Einwohner:innen, ob Jüd:innen oder Palästinenser:innen im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens und Nordafrikas realisiert werden.

Mehr zum Thema