Neue Pflegereform – Die Kosten gehen auf den Rücken von Arbeiter:innen
Die SPD bemüht sich wohl vor der Bundestagswahl doch noch ein Gesetz durchzubekommen, das oberflächlich einen sozialen Anschein hat. Wie immer im Schatten ihres Koalitionspartners. Was hat es mit der neuen Pflegereform auf sich?
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lenkte nach Drängen von Finanzminister Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein und raffte sich dazu auf, statt Applaus auch Geld für die Pflegekräfte, deren harte Arbeit in dieser Pandemie neu ins Rampenlicht gerückt worden war, zu besorgen. Ob die Pflegereform, auf deren Grundzüge sich die Große Koalition jetzt geeinigt hat, auch tatsächlich für mehr Lohn sorgen wird, will man 2025 herausfinden.
Einfach einen branchenweiten Tariflohn einzuführen, hatte die Caritas im Februar abgelehnt. Viele Einrichtungen genießen nämlich kirchliche Sonderrechte, wie etwa Angestellte diskriminieren zu dürfen oder eben auch nicht an Tariflöhne gebunden zu sein. Dafür dürfen die Arbeiter:innen in den 50.000 kirchlichen Betrieben nicht einmal streiken. Deswegen musste nun ein Kompromiss her bei dem unklar ist, wie effektiv er ist.
Ab September 2022 (nur noch 14 Mal Miete zahlen) sollen nur noch Einrichtungen zugelassen werden, die nach Tarif oder kirchenarbeitsrechtlichen Regelungen bezahlen oder ihre Gehälter an solche Regelungen anpassen. Dass dies eine beliebige Regelung in der entsprechenden Region sein kann, bedeutet allerdings, “dass Pseudo-Gewerkschaften mit Pflegeanbietern billige Gefälligkeitstarifverträge abschließen” können, wie die ver.di-Sekretärin Sylvia Bühler es formulierte. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass es regional keinen Tarifvertrag gibt, sodass sich nichts ändert.
Im zynischen Kalkül des bürgerlichen Staates, sind Arbeiter:innen natürlich primär eines: Kosten. Wie FDP-”Pflegeexpertin” Nicole Westig es formulierte: „Wer höhere Pflegelöhne verspricht, muss für eine solide Refinanzierung sorgen“. Wo kämen wir denn hin, wenn man die essenzielle Arbeit, die unsere Gesellschaft trägt, anständig entlohnen würde? Für die meisten Menschen in eine bessere Welt. Die Frage wer die “Kosten” der Krise trägt, bleibt weiter aktuell. Der Plan der Bundesregierung sieht natürlich nichts vor, was die Profite antastet, sondern eine Erhöhung der Einkommensteuer für Kinderlose über 23 Jahren und eine Milliarde mehr aus dem Staatshaushalt für die Pflegekassen. Wie unverschämt wenig Steuern Unternehmen und Reiche zahlen, ist bekannt. Die arbeitende Bevölkerung zahlt.
Auch auf Seiten der Pflegebedürftigen kann der bürgerliche Staat nicht viel tun. Spahn konnte ihre monatliche Eigenbeteiligung an ihrer Pflege nicht auf 700€ beschränken. Stattdessen sollen sie eine Erleichterung von 5 Prozent im ersten Jahr, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent erhalten. Die meisten Pflegeaufenthalte dauern nur knapp über einem Jahr und die Eigenbeteiligung steigt seit Jahren rasant.
Es wird wieder einmal klar: Bürgerliche Regierungen verfangen sich in ihrer eigenen Bürokratie, behaupten, sie hätten es versucht und werfen Menschen, die sie als Helden feiern, Brotkrümel hin, mit denen sie sich zufrieden geben sollen. Die Arbeiter:innen im Pflegesektor können sich eine würdige Behandlung nur selbst erkämpfen.
TVöD für alle Angestellten im Pflegesektor wäre das Mindeste gewesen. Selbst dieses Mindestziel konnten die Bürokrat:innen in der Politik und den Gewerkschaften nicht erreichen.
Um die aktuelle Reform zu bekämpfen, müssen die Gewerkschaften die Bedürfnisse der Kolleg:innen in der Pflege berücksichtigen: Die Abschaffung der profitorientierten Fallpauschalen, massive Aufstockung des Personals auf Kosten der Kapitalist:innen sowie ein flächendenkender gesetzlich verankerter Tariflohn. Bleibt der Kampf dem Willen der Bürokratie überlassen, kann er sich keineswegs über die Kompromisse hinaus entwickeln. Deshalb braucht es die Grundlage einer massenhaften Mobilisierung in den Betrieben und Versammlungen von Beschäftigten, wo über den Kampfplan kollektiv entschieden wird.