„Nie wieder. Schon wieder. Immer noch.“: Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums München
Die aktuelle Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums in München beschäftigt sich mit dem rechten Rand nach 1945. Vieles davon ist wohl bekannt und dennoch bestürzend.
„Auch dieses Lokal trägt dazu bei, die Judendämmerung in Deutschland zu beschleunigen“, prangt auf einem Pappschild. Das könnte nur zu gut in die 1930er Jahre passen, wären da nicht die nächsten Sätze in größerer Schrift: „6 Millionen Schmarotzer wurden vertilgt. Dennoch stellen wir fest: 6 Millionen Juden wurden zu wenig vergast!“ Der letzte Satz ist dick rot unterstrichen. Das Schild wurde im April 1948 vor einer von Juden*Jüdinnen besuchten Gaststätte in München angebracht.
Die laufende Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums setzt mit dem Jahr 1945 dort an, wo der Kern ihrer Dauerausstellung endet. Denn schon kurz nach der Auflösung der NSDAP durch die Alliierten begannen sich die alten Nazis neu zu formieren. Deutscher Block 1947, Sozialistische Reichspartei und Deutsche Gemeinschaft 1949. Die Reihe der rechten Neugründungen setzt sich fort auf dem Zeitstrahl, der den ersten Teil der Ausstellung ausmacht.
Der untere Teil des Zeitstrahls ist dabei für die zahlreichen antisemitischen, rassistischen und antikommunistischen Akte verbaler, schriftlicher und physischer Gewalt vorgesehen, der Fokus liegt auf München und Bayern: Schilder wie das oben zitierte, ein offen judenfeindlicher Leserbrief, der in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, geschichts- und gebietsrevisionistische Flugblätter, Morde und Anschläge. Grau unterlegt darüber die Momente der Gegenwehr: Organisationsverbote, Demonstrationen usw. Unmittelbar fällt ins Auge, wie licht der obere Balken bestückt ist.
Welche Rolle spielt der Staat?
Es handelt sich dabei um eine detaillierte Darstellung der Organisationen, Akteure der extremen Rechten und der Gewalt, die sie hervorgebracht hat. Das Versagen der Institutionen der Bundesrepublik wird dabei weitgehend nur implizit thematisiert. Freilich ist die Existenz faschistischer Strukturen Armutszeugnis genug. Personelle Kontinuitäten in Politik und Wirtschaft aus dem Faschismus bleiben aber unbelichtet. Im Kontext des Oktoberfestattentats 1980, der rassistischen Morde des NSU und anderer faschistischer Gewaltakte wird allerdings darauf hingewiesen, dass die immer wieder vorgebrachte Einzeltäterthese von Justiz und Polizei der Aufklärung Mal um Mal entgegenstand.
Im zweiten Teil versucht die Ausstellung, über den dokumentarischen Charakter der Chronologie hinauszukommen und nähert sich über zehn Begriffe, darunter Antisemitismus, Nationalchauvinismus und Geschichtsrevisionismus, der Ideologie der extremen Rechten. Hier kommt die Kooperation des Dokumentationszentrums mit der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) zum Tragen. Auf Stelen sind zahlreiche Flugblätter, Aufkleber, Zeitungsausschnitte und Plakate der Identitären Bewegung, von Pegida, dem III. Weg, der NPD, der AfD und vieler weiterer abgebildet, die bei a.i.d.a. seit Jahren gesammelt werden. Wer sich in München in den letzten Jahren gegen rechts engagiert hat, wird viele Parolen und Gesichter wiedererkennen. Positiv hervorzuheben ist, dass sich die Ausstellung nicht scheut, die Berührungspunkte extrem rechter Agitation mit rechtspopulistischen Positionen der CSU anzusprechen. Eine detailliertere Betrachtung der Verbindungen von politischem Konservatismus und der extremen Rechten wäre aber wünschenswert gewesen.
Dennoch leistet die Ausstellung einen wichtigen Beitrag dazu, den allumfassenden Rechtsruck zu verstehen, indem sie seine radikalsten Elemente in ihrem historischen Kontext zeigt. Aus dem „Nie wieder“ aus dem Schwur der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald war bald ein „Schon wieder“ geworden. Die Chronologie der Ausstellung reicht ohne Bruch bis ins Jahr 2017 und endet mit der Wahl der AfD in den Bundestag. Sie zeigt damit eindrücklich: „Immer noch.“
Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945. Bis zum 2. April 2018 im NS-Dokumentationszentrum München. Katalog zur Ausstellung herausgegeben von Winfried Nerdinger in Zusammenarbeit mit Mirjana Grdanjski und Ulla-Britta Vollhard, 280 Seiten, Metropol Verlag, Softcover 28 Euro, Hardcover 34 Euro.