Neue Berichte aus dem Leipziger Kessel: „Wir wurden von den Bullen nicht mehr als Menschen angesehen“

Gestern haben wir bereits eine Reihe von teils schockierenden Erfahrungsberichten von der Polizeirepression gegen die Proteste in Solidarität mit Lina E. und den weiteren Verurteilten im „Antifa-Ost-Verfahren“ in Leipzig veröffentlicht. Der Leipziger Polizeipräsident René Demmler hingegen rechtfertigt das Vorgehen seiner Beamt:innen am vergangenen Samstag. Der Leipziger Volkszeitung (Montagsausgabe) sagte er: „Stärke zu zeigen, kann auch deeskalierend wirken.“

Seitdem haben uns viele weitere Zuschriften erreicht, die illustrieren, was diese „Stärke“ bedeutet hat. Sie ergeben das Gesamtbild eines Polizeieinsatzes, der mit Brutalität und Menschenverachtung gegen den linken Protest vorgegangen ist. Wir veröffentlichen die Zuschriften hier anonymisiert.

Eine einheimische Person beschreibt, die Willkür der Polizei und Stimmung vor der Demonstration: 

„Am vergangenen Wochenende konnte ich das rechtswidrige Verhalten der Leipziger Polizei und die Folgen der anhaltenden Kriminalisierung mit eigenen Augen beobachten.

Zwei Stunden musste ich am Freitag, den 02.06. am Hauptbahnhof verbringen und wurde dort Zeuge, wie Polizist*innen die vor Ort eingerichtete Kontrollzone dazu nutzten, mutmaßlich Obdachlose und Drogenabhängige scheinbar wahllos zu kontrollieren. Ein Team aus vier Beamt*innen, war unmittelbar vor der Aldi Nord Filiale postiert, einer Anlaufstelle für viele Obdachlose und meiner Meinung nach, ein ungewöhnlicher Platz, um anreisende Demonstranten aufzugreifen.

Ebenso erschreckend wie die dubiosen Methoden der Polizei, waren die spürbaren Auswirkungen ihrer massiven Überpräsenz, sowie der vorangegangenen Ansprachen zahlreicher Politiker, über die angebliche Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit linker Demonstranten.

In der ganzen Stadt konnte ich ein Klima der Empörung und Paranoia vernehmen. Menschen verließen über Nacht die Stadt oder verschließen ihre Kleinwagen in Garagen, ich überhörte Gespräche, in denen man riet, sich zu bewaffnen und immer wieder wird bedächtig vom „schwarzen Mob“ getuschelt.“

Eine Einsendung beschreibt, wie brutal die Polizei gegen die Protestierenden vorging: 

„Anfangs rannten alle Leute komplett durcheinander und wir wurden von den Bullen gejagt, dabei stolperten einige Personen und fielen hin. Die Polizei trat auf die am Boden liegenden Menschen ein und zog auch einzelne Personen raus, die in einer Gruppe waren, um diese dann anschließend zu schlagen. Mehrere Minuten lang wurden wir immer weiter ins Gebüsch von den Cops geschubst und geschlagen und immer weiter zusammengedrängt. Man konnte sich kaum noch bewegen, da überall so viele Menschen waren und hinter uns Gebüsche und Äste. In diesem Moment realisierte ich, dass wir von den Bullen nicht mehr als Menschen angesehen wurden.“

Eine weitere Zuschrift erzählt, wie der Polizeikessel zustande kam:  

„Gegen 18 Uhr hatten wir uns entschieden, wieder zu gehen, weil es absehbar war, dass durch das riesige Polizeiaufgebot die Lage eskaliert. […] Sowohl Richtung Innenstadt als auch Richtung Connewitz standen jeweils vier- bis sechshundert Polizisten und 2 bis 3 Wasserwerfer. […]

Dann hat es geknallt und es sind alle wieder in die entgegengesetzte Richtung gerannt. Die Lage eskalierte. Hunderte Beamten kamen von Richtung Andreasstraße auf den Alexis-Schumann-Platz gerannt, gewaltbereit. Die Masse hat sich in den kleinen Park gegenüber gedrängt, aus Angst vor Gewalt. Auch meine Partnerin und ich standen dicht an dicht gedrängt mit dort. Man konnte kaum atmen.

Die Beamten kamen immer näher und haben unter immensen Gewalteinfluss mehrere hundert Menschen, darunter auch uns, in einen kleinen Bereich in den Park gedrängt. Keiner weiß recht, was los ist. Es haben Menschen geweint, andere waren aggressiv. Es gab Verletzte in der Menge, darunter auch junge Jugendliche. Man hat keine Durchsage der Polizei gehört, bis dahin war einfach zu viel los. Einige Leute wollten aus der Einkesselung raus. Aber keiner wurde rausgelassen. Obwohl schon einige mit Atemnot auf Grund der Enge und manche auch mit schweren Panikattacken zu kämpfen hatten. Der Polizei war das aber anscheinend egal. Ich habe persönlich mehrere dieser Beamten angesprochen und auf unterlassene Hilfeleistung angesprochen. Ich wurde ignoriert oder belächelt.

Nach etwa 20 Minuten Rumstehen kam eine Durchsage der Polizei. Wir seien alle des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt. […] Nun standen wir im Kessel. Es war weder Platz, dass alle sitzen konnten, noch dass alle frei atmen konnten. Nach etwa einer Stunde im Kessel ist neben mir ein junger Mensch in Ohnmacht gefallen. Die Bilder hängen mir im Kopf und ich habe seit dem Tag kein Auge mehr zugedrückt. […]

Ab 4 Uhr haben die Cops dann nochmal verstärkt Gewalt eingesetzt, um die Leute Stück für Stück aus dem Kessel rauszuziehen. Währenddessen haben Beamte mit ihren privaten Telefonen Fotos oder Videos gemacht. Nicht alle, aber es gab schon ein paar. Meine Partnerin und ich haben uns auf Grund der Gewalt dann gegen 4 Uhr entschieden, uns ID-behandeln zu lassen. Uns wurden die Telefone genommen. Als ich sagte, ich wolle einen Anwalt konsultieren, wurde ich ausgelacht. ‚Wir sind hier nicht bei „Wünsch Dir was“‚, war die Aussage des bayerischen Beamten.“

Eine Person schildert, wie willkürlich die Anweisungen der Polizei waren: 

„Ich war mit 5 anderen Menschen als Bezugsgruppe dort. Irgendwann kam eine Durchsage von der Polizei, dass die Versammlung verlassen werden soll, sonst führt die Polizei Maßnahmen durch. Wir als Gruppe sprachen uns kurz ab, denn wir kannten die Konsequenzen und das Vorgehen der Polizei von anderen Demobesuchen und hatten keine Lust in eine Maßnahme zu kommen. Wir überlegten, in welche Richtung wir gehen sollten, und entschieden uns dann die Karl-Liebknecht-Straße Richtung Innenstadt zu laufen und die Versammlung zu verlassen. Wie kamen aber nicht weit. Die Polizeibeamten hatten sich schon formiert und fingen an zu kesseln, sie ließen uns nicht gehen und drückten uns wieder Richtung Menschenmasse. Wir fragten, wo wir dann die Versammlung verlassen können, wie es uns befohlen wurde. Sie schickten uns rechts in die Scharnhorststraße.

Dort kesselten die Beamten ebenfalls. Wir wiesen sie darauf hin, dass wir der Forderung der Polizei nachkommen wollen und die Versammlung verlassen wollen. Auch sie ließen uns nicht gehen. Ein älterer Polizeibeamter mischte sich ein und sagte, dass er das gerade abklärt und nach wenigen Augenblicken schickte er uns Richtung Süden, dort würden uns die Kolleg:innen rauslassen. Natürlich stimmte das nicht und niemand hat uns rausgelassen.

Glücklicherweise hat ein anderer Versammlungsteilnehmer unsere Lage beobachtet und kannte einen Weg aus dem Kessel, er brachte uns raus.

Die genannte Durchsage der Polizei kam nur einmal und nicht alle Teilnehmer*innen der Versammlung hätten sie akustisch hören können, da wir, die zufällig in der Nähe standen, schon zu tun hatten, sie zu hören.“

Viele andere wurden von der Polizei länger festgehalten. Eine Person, die bis 5 Uhr morgens im Kessel ausharren musste, beschreibt, wie erniedrigend diese Situation war: 

„Ich habe auch einen Bullen gefragt, wie das mit dem Toilettengang ist, woraufhin er nur sagte: ‚Tja, wenn du heute rausgehst, musst du wohl aushalten.‘ Die Berichte, dass die Polizei Toilettenwagen gebracht habe und man da hätte hingehen können, sind komplett erlogen. […]

Ab etwa 1 oder 2 Uhr wurde es unheimlich anstrengend zu stehen und immer mehr Menschen wollten sich hinsetzen oder hinlegen. Sobald sich viele Menschen, vor allem in der Mitte der gekesselten Gruppe, hinsetzten, rutschten die Bullen kurzzeitig ein Stück näher ran und fingen an, einzelne Leute aus dem Kessel zu ziehen. Dies verbreitete wieder Panik und Gedränge, sodass alle wieder aufstehen mussten. Durch dieses Vorgehen hatten wir eigentlich keine Ruhe und Chance, uns kurz auszuruhen. Lediglich am Rand konnte man einigermaßen liegen. Dann war man quasi aber in der 1. Reihe direkt bei den Bullen. Nachdem ich um 5 Uhr morgens aus dem Kessel draußen war, wurde ich zu einem anderen Ausgang als der Rest meiner Bezugsgruppe gebracht und war allein. Des Weiteren teilte die Polizei mit, dass ich auch einen Platzverweis für Connewitz habe. Da ich dort wohne, fragte ich, wie ich nach Hause gehen soll, woraufhin der Bulle meinte, dass ich jetzt noch bis 8 Uhr morgens ausharren muss und dann erst nach Hause darf. Als ich meinen Unmut darüber mitteilte, antwortete er nur: ‚Selber schuld.‘

[…] Der Toilettenbusch war gegen 2 Uhr nur noch ein Sumpf aus Urin und Matsch, weshalb da eigentlich keiner mehr hinwollte. Ich selber war dann dazu gezwungen zu urinieren, wo ich stand, und habe, zwar im Schutze der Rettungsdecken, in die Menschenmenge gepisst. Das war besonders erniedrigend.“

Über den Zugang zu Toiletten berichten die Zuschriften Unterschiedliches: 

„Ich hab mehrmals gelesen, dass Leute die Bullen nicht mehr nach einer Toilette fragen wollten, weil Angst aufgekommen ist, nachdem Menschen auf Toilette gelassen wurden und dann in die Gesa gekommen sind. Das mag stimmen, es war allerdings nicht so, dass Leute deswegen dann gar keine Toilette mehr gefordert haben. Ich und eine weitere Person haben mehrmals gesagt, dass wir auf Toilette wollen, und uns wurde mehrfach gesagt, dass es keine Toilette gäbe und wir ja Büsche hätten. Dabei gab es Toiletten, auf die Andere ohne Probleme gelassen wurden, und es ist clearly ein Grundrecht, was wir auch gesagt haben. Es war also reine Willkür, wer durfte und wer nicht, seitens der Cops.

Es wurde von Seiten der Cops auch nach Stunden im Kessel gezielt auf Kniescheiben getreten und mit Fäusten gegen Kopf und Hals geschlagen, ohne dass vorher auch nur Bewegung in Richtung der Cops da war, also komplett einseitiger Angriff ohne jeglichen Grund, der auch krass gefährlich war.“

Im Kessel der Gewalt der Polizei zu entkommen, war kaum möglich:

„Wir waren so dicht eingekesselt, dass es keinen Raum gab, um sich zu bewegen. Wir  mussten uns mit dem Sitzen abwechseln und saßen auch dann buchstäblich aufeinander. Als Person, die mit Berührung und Körperkontakt normalerweise nicht gut klarkommt, war das extrem unangenehm. Die meisten von uns standen für bis zu 8 Stunden am Stück, bevor wir uns für vielleicht 20 Minuten hinsetzen konnten. Als wir sahen, wie die Bullen mit den Menschen in Ketten umgingen, haben viele von uns sich aus den Ketten gelöst und uns widerstandslos MIT ERHOBENEN HÄNDEN ergeben, um wenigstens der exzessiven Gewalt zu entkommen. Ich wurde trotzdem gewalttätig in einen Schmerzgriff genommen. Statt die Freiwilligen abzuführen, prügelten die Bullen in die letzten Reste der Ketten. Außerdem haben sie mir in die Unterhose geleuchtet und Handy und Sticker beschlagnahmt.“

Eine Einsendung beschreibt dieses Vorgehen der Polizei als sehr systematisch:

„Das war so eine Schikane. Die Polizei wusste, dass weitestgehend Friedliche und Unbeteiligte im Kessel waren. so sollten Sympathisant:innen und Menschen, die dem übertriebenen Polizeiaufgebot auf die Finger gucken wollen, eingeschüchtert und abgeschreckt werden. Wir sollen uns möglichst nie wieder blicken lassen, wenn mal militanter demonstriert wird, weil Unrecht zu Recht gemacht wird. Uns wurden grundlegende Menschenrechte, Grundrechte, verwehrt.

Der Kessel war zutiefst menschenunwürdig. Es roch irgendwann überall nach Pisse und menschen mussten bei Flutlicht und durchgehenden Videoaufzeichnungen der Bullerei ihre Notdurft in den Büschen verrichten. Lange gab es kein Wasser, bis die Demosanitäter:innen die Zulieferung damit übernahmen. Essen wurde uns auch von den Sanis reingeworfen, wobei Essen eine Übertreibung ist, wir teilten uns mit mehreren hundert Menschen ein paar Tüten Chips und Nüsse. Das hat gereicht, um uns halbwegs bei Bewusstsein zu halten – halbwegs, weil bei ein paar Menschen natürlich trotzdem der Kreislauf abgekackt ist.

Doch erste hilfe durch die Polizei? Fehlanzeige! Sowohl die Versorgung mit Essen und Wasser als auch die mit adäquater medizinischer Behandlung wurde von den Bullen auf die Demosanis ausgelagert. Die scheinen sich überhaupt keine Gedanken gemacht zu haben, wie mehrere hundert Menschen, die sie auf engstem Raum für 11 stunden festhalten, versorgt werden sollen. Und damit nicht genug! Durch das Flutlicht war es unmöglich, für ein paar Minuten die Augen zuzumachen und so ca. ab 2 oder 3 Uhr nachts hat die Polizei alle paar Momente Stress geschoben, sodass alle aufgeschreckt sind.

Jedes mal, wenn Menschen aus dem kessel gezogen wurden, drängte uns die polizei enger zusammen. In den frühen Morgenstunden gab es keinen Platz mehr, um sich hinzusetzen und um sich hinzulegen schon gar nicht. Dieser Schlafentzug war wie Folter. Unsere Knie waren so zittrig. Nur durch das Einhaken in Ketten konnte ich noch stehen. Ich hab geweint als ich gesehen hab wie das USK Menschen, die freiwillig mitgegangen sind, dennoch gewaltsam behandelt hat. So eine Schweinerei! Wir waren alle so fertig. Mein:e freund:in ist beim abführen zusammengeklappt und auch ich taumelte nach 11 stunden so lala in die ID-behandlung. Das war die größte scheiße, die ich jemals seitens der Bullerei erlebt habe und dennoch sind meine Freund:innen uns ich uns einig: Konsequenzen wird das für die polizei und politischen verantwortlichen wohl keine haben – wie immer.“

Ein ausführliches Gedächtnisprotokoll berichtet davon, wie es der Leser:in auf der Wache erging. Auch hier sind Schikane und Willkür an der Tagesordnung: 

„Ich selbst war bis ca 23:00/23:30 Uhr in dem Kessel, da ich mich ab einem bestimmten Zeitpunkt wie viele weitere Personen dazu entschlossen habe, meine Personalien der Polizei zu geben, um frei zu kommen. Es wurde gesagt, dass man gegen Personalienangabe aus dem Kessel rauskommt, einen Platzverweis bekommt und dann gehen darf. […]

Ich wurde erst von einer weiblichen Polizistin abgetastet und mir wurde mein Beutel, den ich dabei hatte abgenommen und dieser wurde durchsucht. Ich hatte keinen Ausweis (oder andere Karten) und kein Handy dabei. Daraufhin musste ich meine Personalien richtig angeben. Dabei wurde ich nach Vorname, Nachname, Wohnort, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Telefonnummer gefragt. Ich habe bei der Nummer kurz gestutzt und habe diese Angabe verweigert, woraufhin der eine Polizist meinte, dass diese Angabe freiwillig sei. Mein Geburtstort ist Amsterdam, woraufhin der eine Polizist mich kritisch beäugt hat und gefragt hat, ob ich denn überhaupt Deutsche sei. […]

Er [ein Polizist] hat mich gefragt, ob ich schon Polizeikontakt hatte und warum. Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Mal einen Platzverweis erteilt bekommen habe, aber ansonsten nicht. Er hat mich gefragt, ob ich alleine auf der Demo war. Ich habe nichts dazu gesagt. Er hat mich gefragt, wie lange ich schon in Deutschland lebe. Ich habe ihm irgendwann gesagt, dass ich ihm keine Fragen mehr beantworten werde.

Nachdem eine Angaben geprüft wurden, wurden noch Fotos vor Ort von mir gemacht. Dafür sollte ich mich von allen vier Seiten (vorne, hinten, seitlich 2x) präsentieren und mir ein Mal meine schwarzen Klamotten anziehen und ein Mal in dem Outfit, welches ich anhatte. Nach den Fotos wurde ich zu einem weiteren Polizisten gebracht, der darüber entschieden hat, ob ich nun gehen darf. Meine Angaben waren korrekt und mir wurde erst gesagt, dass ich gehen darf und ich das Formular ein Mal unterschreiben müsste und mir dann eine Kopie mitgegeben wird. Es kam nicht zur Unterschrift. Mir wurde kein Formular mitgegeben. Ich durfte nicht gehen.

Es wurde gesagt, dass die Polizei Sachsen meine Daten auf der Wache zusätzlich prüfen will, weil ich keinen Ausweis dabei hatte und ich nun auf den Abtransport zur Wache warten muss. Mir wurde gesagt, dass es ganz schnell ginge (10-15 Minuten), sobald ich auf der Wache bin und ich danach gehen könne.

Die beiden Polizisten aus Bamberg/Nürnberg haben mich zum Auto begleitet und dort mit mir ca 1-1 ½ Stunden gewartet, bis ich in den Abtransport steigen durfte. Ich wurde von einem anderen Polizisten mit den abwertenden Worten „Ich kümmere mich um die Tante“ in das Auto geführt. In dem Abtransport saß ich in einer Zelle mit zwei weiteren FLINTA*-Personen für ca. 2 Stunden. In demselben Auto waren noch zwei weitere Personen, jeweils in einer Einzelzelle. Uns wurde gesagt, dass es so lange dauern würde, weil vor uns 4 weitere Autos stehen, die als erstes ID behandelt werden. Die eine Person in der Einzelzelle hat sich als nicht-binär identifiziert und hat dafür viele kritische Kommentare und Blicke von den Beamten abbekommen.

Die Personen, die Handys dabei hatten mussten diese an die Polizei abgeben. Wir haben in dem Auto gefroren und waren dehydriert. Uns wurde keine Decke oder Wasser gebracht. Ich wurde aus dem Auto um ca. 3:00/3:30 von einem Polizeibeamten herausgeführt und auf die Dimitrov-Wache gebracht. Dort habe ich im Eingang noch ca eine halbe Stunde gewartet. Mir war extrem kalt. Die Polizist*innen vor Ort haben gelacht und Späße gemacht.

Ich wurde ca. 3:30/4:00 von zwei weiblichen Polizistinnen mitgenommen. Es wurden erneut Fotos von mir gemacht – bekleidet. Dann wurde ich in einen Raum geführt, wo ich mich Kleidungstück für Kleidungsstück ausziehen sollte, bis ich nackt vor den Polizistinnen stand. Sie haben meinen Beutel und meine Kleidung noch Mal durchsucht und protokolliert, was ich alles dabei hatte. Danach wurde ich zu einem Polizeibeamten gebracht, der nochmals meine Personalien aufgenommen hat.

Dieser hat auf die Feststellung, dass ich Deutsche Nationalität habe, mich kritisch gemustert und gezögert, ob er das in das System eintippen soll. Die Polizist*innen haben währenddessen auf mich im selben Raum gewartet und haben sich über die ganze Situation amüsiert. Auf meine Frage, ob ich danach gehen könne, wurde gesagt, dass ich über Nacht bleiben müsse. Als ich frage, wie lange, meinten sie, dass mir das doch egal sein könnte und meinten, mindestens 24h. Die eine Polizistin hat in einem abwertenden Ton gesagt „Naja, hauptsache du warst dabei“. Ich habe mich hilflos und sprachlos gefühlt, mir sind die Tränen gekommen. Danach wurde ich auf die Zelle gebracht, in der 7 weitere weiblich gelesene Personen waren. Ich musste davor meine Schuhe und meinen Pullover ausziehen, weil ich mich damit „selbst umbringen“ könne.

Nach einer halben-dreiviertel Stunde wurde ich entlassen. Es wurden von zwei Polizeibeamten ein drittes Mal meine Sachen durchsucht, ich wurde zum Ausgang begleitet und durfte gehen. Mir wurde kein zeitlicher Endpunkt des Platzverweises ausgesprochen, ich habe in dem Moment vergessen nachzufragen. Mir wurden keine Formalien mitgegeben. Ich musste nichts unterschreiben.“

Auch außerhalb des Kessels kam es zu Gewalt gegen Protestierende:

„Gegen 23:30 liefen meine Bezugi und ich Richtung Connewitzer Kreuz/ Bornaische Str., als eine Person aus meiner Gruppe anfing, alleinig „Ganz Leipzig hasst die Polizei“ zu rufen. Ob diese Handlung so schlau war, sei erst einmal dahingestellt. Ich persönlich kann es verstehen, wenn es auf die Bullen provozierend wirkte. Allerdings hat jeder von uns ein Recht auf Meinungsfreiheit. Er hat niemanden direkt beleidigt und hat erst recht in keiner Art und Weise jemanden physisch angegriffen. Nachdem einer der Bullen „Na dann verpiss dich doch“ schrie, wurde er von 7 Bullen umzingelt, am Hals gepackt und gegen die Wand gedrückt. Gegen das Fahrrad, welches er mit sich führte, wurde getreten und es wurde ihm ziemlich ruppig wegzunehmen versucht, obwohl er NICHTS damit machte. Ein paar andere Genoss:innen und ich gingen sofort hin und sagten, sie sollen die Person frei lassen, da es keinerlei Grundlage gebe, ihn zu verhaften. Ich nahm meinen Arm vor die Person, meinte, sie solle sich beruhigen und wir gehen weiter. Ich versuchte sehr offensichtlich, ruhig zu deeskalieren. Als Dank schubste mich einer der Bullen von hinten weg mit der Aussage, wir sollten uns endlich hier weg machen.“

Dass Minderjährige von den Repressionen betroffen waren, gibt auch die Leipziger Polizei zu. Minderjährige seien dabei prioritär berücksichtigt worden, behauptet der Polizeipräsident im Interview. Eine zynische Beschönigung, wie diese Zuschrift zeigt: 

„Auf dem Nachhauseweg sind wir gegen 5 Uhr morgens mehreren Minderjährigen begegnet, die ohne Handy und ortsfremd völlig lost waren. Ihre Eltern wurden erst gar nicht informiert, dass sie zu Maßnahmen gezwungen wurden. Durchsucht und ID-behandelt wurden sie trotzdem. Handys wurden beschlagnahmt.

Menschen, die im Kessel auf die Toiletten gehen wollten, wurden von Cops teils unter Schmerzgriffen abgeführt und kamen statt zum Klo in die Gesa.“

Die einheimische Person von oben, beschreibt wie die Hetze teilweise leider funktioniert hat, macht aber auch eine Kampfperspektive auf:

„Am Montag nach dem Tag X, hörte ich einen Schüler an meiner Schule davon berichten, wie er seinen Vater gerade noch davon abhalten konnte, „die Fotzen zusammenzuschlagen“. Unter voller Zustimmung, meint selber Schüler, es wäre das Beste „alle ab(zu)knallen, die Viecher“.

Solch Repression und Hass, gegen Antifaschist*innen und gerechten Protest, darf keinen Nährboden durch Politiker erhalten, die kriminalisieren und verallgemeinern. Nur durch Solidarisierung und bestimmtes Entgegentreten an Schulen, am Arbeitsplatz und im Bekanntenkreis, können wir diesen Strömungen Einhalt gebieten.“

Ein:e Leser:in hat das Erlebte in Leipzig in künstlerisch verarbeitet:

„Mancher greift zum Wort
stellt immer wieder Fragen,
andere hoffen durch Taten
ein Stück Wahrheit zu offenbaren.
Vom Bildungswesen bis zu Barrikaden –
Kinder, geboren, das Gewicht der Welt zu tragen.
Ihr sagt die Jugend trägt die Verantwortung,
ob wir wollen oder nicht,
für eure Fehler,
doch verstehen tut ihr nicht,
wenn Steine fliegen und Scherben splittern,
wenn sie uns einkesseln oder einsperren hinter Gittern,
dafür, dass wir unsere Zukunft kämpfen –
dafür, dass wir unsere Rechte einfordern –
Alles brennen sehen zu wollen ist die Konsequenz eines Staates, der versagt hat,
ist die Präferenz derer, deren Stimmen ungehört bleiben,
denn Wahrheit ist unbequem und Wegsehen zu einfach.
Kein Gehör finden Worte, obwohl sie tausend Mal geechot wurden und von Hauswänden hallen.
Stattdessen wird ‚mit Stärke deeskaliert‘, gezielt pauschalisiert, und Angst geschürt, um zu rechtfertigen was rechtswidrig gehört.“

• Antifaschismus
• Deutschland
• Polizeigewalt
• Repression und Militarismus