Netanjahu bereitet blutigen Gegenangriff auf den Gazastreifen vor

08.10.2023, Lesezeit 10 Min.
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foto: shutterstock/Anas-Mohammed

Nach dem „Al-Aqsa-Sturm“ der Hamas bereiten sich Israel und seine Verbündeten darauf vor, die Palästinenser:innen zehnfach für ihren Widerstand bezahlen zu lassen. In einer Pressekonferenz drohte der israelische Premierminister damit, den Gazastreifen in Schutt und Asche zu legen. Wir unterstützen den palästinensischen Kampf mit all unserer Solidarität.

In den frühen Morgenstunden des Samstags, 7. Oktober, feuerte die Hamas im Rahmen der Operation „Al-Aqsa-Sturm“ nach Angaben eines Hamas-Führers mehr als 2.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf die besetzten Gebiete an der Grenze ab. Bei den Angriffen wurden über 200 Israelis getötet, Zivilist:innen und Militärpersonal gefangen genommen sowie militärische Ausrüstung erbeutet. Israel hat daraufhin den „Kriegszustand“ erklärt und Bomben auf die palästinensischen Gebiete abgeworfen, wobei mindestens 200 Palästinenser:innen getötet und mehr als 1.600 verletzt wurden. Angesichts der enormen militärischen Vorteile Israels und seiner hochmodernen Waffensysteme, die es dank der Unterstützung der Vereinigten Staaten und anderer Mächte besitzt, dürfte die Reaktion Israels zu einem weitaus tödlicheren Angriff eskalieren.

Am frühen Morgen wurden in verschiedenen israelischen Städten die Raketenabwehrsysteme ausgelöst. Bilder von Palästinenser:innen, die einen Panzer der israelischen Armee in ihre Gewalt brachten, und von einer Drohne, die auf einen Panzer schoss, gingen in den sozialen Netzwerken viral und wurden von der palästinensischen Bevölkerung gefeiert. Hamas-Kräfte übernahmen die Kontrolle über den militärischen Kontrollpunkt Erez an einem der Eingänge zum Gazastreifen und andere Gebiete in der Nähe der Grenze. Die Palästinenser:innen nutzten diese Situation, um mit Bulldozern einen Teil des Zauns einzureißen, der die Bewegungsfreiheit von Millionen Palästinenser:innen einschränkt, die seit Jahrzehnten unter einer strengen Belagerung leben.

Die Militäraktion der Hamas findet vor dem Hintergrund der ständigen Angriffe der zionistischen Armee statt, die täglich Millionen von Palästinensern, darunter auch Kinder, in den von den israelischen Streitkräften besetzten Gebieten ermorden, foltern und schikanieren. Dieses Jahr war das blutigste Jahr für die Palästinenser:innen seit der zweiten Intifada im Jahr 2000: Vor den heutigen Luftangriffen wurden 204 Palästinenser:innen, darunter 37 Kinder, bei israelischen Militärangriffen in Flüchtlingslagern in verschiedenen Städten des Westjordanlandes, bei Angriffen von Siedler:innen (Israelis, die illegal palästinensisches Land unter dem Schutz der Armee besetzen), die palästinensische Dörfer besetzen, sowie bei israelischen Angriffen und Bombardierungen des Gazastreifens, getötet.

Seit der Nakba („Katastrophe“ auf Arabisch) im Jahr 1948 hat Israel im Rahmen der zionistischen Offensive immer mehr Gebiete besetzt. Heute leben Millionen von Nachkommen der ersten Besetzungen in überfüllten Flüchtlingslagern, ohne das Recht auf Rückkehr. Abgesehen von der erzwungenen Besetzung selbst sind diese Flüchtlinge, sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen, ständigen Angriffen seitens des Militärs, der Polizei und der ultranationalistischen Siedler:innen ausgesetzt.

Benjamin Netanjahu, der sich mitten in einer innenpolitischen Krise befindet, versicherte in seiner ersten öffentlichen Rede: „Bürger Israels, wir befinden uns im Krieg. Und wir werden ihn gewinnen.“ In einem Video, das er in seinen sozialen Netzwerken veröffentlichte, fügte er hinzu: „Dies ist keine Operation oder eine Eskalation, sondern ein Krieg.“ Die israelische Regierung sieht dies als Gelegenheit, ihre reaktionäre „nationale Einheit“ um Netanjahu wiederherzustellen. Sie bereitet ein neues Massaker als „kollektive Bestrafung“ für das palästinensische Volk im Gazastreifen, im Westjordanland und in anderen besetzten Gebieten vor.

Yair Lapid, der die israelische Opposition anführt, traf sich kürzlich mit Premierminister Netanjahu und erklärte, er sei bereit, „alle unsere Argumente beiseite zu legen“ und „gemeinsam mit ihm eine kleine, professionelle Notstandsregierung“ der nationalen Einheit zu bilden. Lapid sagte, eine solche Regierung würde „die schwierige, komplexe und ausgedehnte Schlacht, die vor uns liegt, bewältigen“.

Dieses Manöver dient nicht nur der Herstellung der nationalen Einheit, sondern auch der Wiederherstellung der „internationalen Glaubwürdigkeit“, da es sowohl seiner Regierung als auch Israel die unerschütterliche Unterstützung zahlreicher imperialistischer Mächte einbringt.

Israelische Regierung billigt und befiehlt Angriffe gegen Palästinenser:innen

Netanjahu befürwortet die Angriffe auf die palästinensische und arabische Bevölkerung im Allgemeinen, um den ultrarechten Sektoren, die ihn unterstützen, entgegenzukommen. Erst vor zehn Tagen, am 23. Jahrestag der palästinensischen Intifada, setzte Israel Drohnen, Hubschrauber und Panzer ein, um verschiedene palästinensische Wachposten und andere Einrichtungen im Gazastreifen an der Grenze anzugreifen. Grund für diese Offensive war offenbar ein Molotowcocktail, der während einer Demonstration auf einen israelischen Posten geworfen wurde. Doch das eigentliche Ziel der unverhältnismäßigen Reaktion der israelischen Armee ist es, die palästinensische Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.

Die Angriffe und Übergriffe der israelischen Armee und der rechtsextremen Regierung von Benjamin Netanjahu beschränken sich nicht auf Raketenbeschuss oder Schläge und gewaltsame Verhaftungen von Palästinensern, sondern umfassen ein breites Spektrum von Unterdrückungsmaßnahmen. Dazu gehören die Schließung von Zugangstoren zu Wohnvierteln, die Misshandlung von älteren Menschen und Kindern, die Zerstörung von Ackerland und vieles mehr.

Am 28. September verwüsteten Dutzende von Siedler:innen palästinensische Gräber auf dem Friedhof neben der Al-Aqsa-Moschee, die für muslimische Gläubige von großer religiöser Bedeutung und für Palästinenser:innen ein Symbol des Widerstands ist. Zwei Tage zuvor hatte die israelische Regierung die Demontage der Wasserleitungen für das Dorf Khirbet Emneizal angeordnet.

Vor zwei Monaten unterzeichnete eine Gruppe von mehr als 700 israelischen und palästinensischen Intellektuellen und Akademikern eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Politik der Regierung Netanjahu, insbesondere die Justizreform, anprangern. In dem Text bezeichnen sie Israel als ein Apartheidregime, das die palästinensische Bevölkerung unterjocht. Sie fügen hinzu, dass „der eigentliche Zweck der Justizreform darin besteht, die Restriktionen für den Gazastreifen zu verschärfen, den Palästinenser:innen sowohl jenseits als auch innerhalb der Grünen Linie die gleichen Rechte vorzuenthalten, mehr Land zu annektieren und alle Gebiete unter israelischer Herrschaft von ihrer palästinensischen Bevölkerung ethnisch zu säubern“.

Die USA und EU unterstützen die Offensive gegen die palästinensische Bevölkerung

Gleich nach Bekanntwerden der Hamas-Operation im Gazastreifen und der Ausrufung des Kriegszustands durch Netanjahu haben die europäischen Mächte dem Staat Israel ihre bedingungslose Unterstützung zugesagt. „Ich verurteile den von den Hamas-Terroristen verübten Angriff auf Israel auf das Schärfste. Das ist Terrorismus in seiner verabscheuungswürdigsten Form. Israel hat das Recht, sich gegen solche abscheulichen Angriffe zu verteidigen“, sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von Der Leyen. Auch die deutsche, französische und spanische Regierung haben sich für Israel ausgesprochen.

Die Vertreter der europäischen Mächte bezeichnen die Militäraktionen der Hamas als “terroristisch”, um das historische Blutvergießen durch die israelische kolonialistische Besetzung der palästinensischen Gebiete zu vertuschen. Im Juli 2023 verübte Israel im Flüchtlingslager Jenin im nördlichen Westjordanland die tödlichsten Angriffe und Bombenanschläge seit 20 Jahren, die zu den ständigen Übergriffen der israelischen Armee und den Pogromen (einschließlich Morde) von Siedler:innenn gegen Palästinenser:innen noch hinzukamen. Zu dieser Zeit kündigte die konservative und ultrarechte Regierung Netanjahu den Bau neuer Siedlungen an, und seine Koalition sprach offen von einer vollständigen Annexion des Westjordanlandes. All dies geschah vor dem Hintergrund der 75-jährigen Besatzung, die sowohl vom US-amerikanischen und europäischen Imperialismus als auch von regionalen Regierungen, einschließlich der saudi-arabischen Monarchie, unterstützt wurde.

Die Vereinigten Staaten haben ihr „unerschütterliches Bekenntnis“ zu Israels „Recht, sich selbst zu verteidigen“ zum Ausdruck gebracht und zugesagt, Israel die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen. „Unser Engagement für das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen, bleibt unerschütterlich“, sagte Verteidigungsminister Lloyd Austin. US-Präsident Joe Biden genehmigte ein militärisches Soforthilfepaket für Israel in Höhe von 8 Milliarden Dollar zur Unterstützung von Netanjahus kommende Offensive gegen die palästinensische Bevölkerung.

Der ehemalige US-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump sagte, dass „leider amerikanische Steuergelder zur Finanzierung dieser Angriffe beigetragen haben, die vielen Berichten zufolge von der Biden-Regierung ausgingen“. Er betonte auch, dass Israel „jedes Recht hat, sich mit überwältigender Kraft zu verteidigen“. In die gleiche Kerbe schlug der rechtsextreme Gouverneur De Santis bei Twitter: „Israel hat nicht nur das Recht, sich gegen diese Angriffe zu verteidigen, es hat auch die Pflicht, mit überwältigender Kraft zu antworten. Ich stehe zu Israel. Amerika muss an der Seite Israels stehen.“

Das imperialistische US-Regime unterhält trotz seiner Rhetorik von „Freiheit“ und „demokratischen Werten“ aktiv politische und militärische Pakte mit der saudischen Monarchie und mit dem Staat Israel. Diese Bündnisse bedeuten eine Billigung der Besetzung, des Mordes, der Folter und der systematischen Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Ihre Vorstellungen von „demokratischen Werten“ offenbahren ein hohes Maß an Zynismus.

Für ein sozialistisches Palästina, indem Jüd:innen und Palästinenser:innen in Frieden leben

Die historischen Verbrechen des Staates Israel gegen das palästinensische Volk wurden von mehreren Historiker:innen, Aktivist:innen und jüdischen Intellektuellen, darunter Ilan Pappé, angeprangert. Unter der Regierung Netanjahu und der extremen religiösen Rechten sind diese Verbrechen weiter eskaliert. Sie betreffen nicht nur die besetzten Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland, sondern auch die arabische Bevölkerung innerhalb des Staates Israel, die als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Seit über sieben Jahrzehnten hat sich der palästinensische Widerstand immer wieder gegen diese koloniale Unterdrückung gewehrt. Wir stehen auf der Seite des Widerstands des palästinensischen Volkes, ohne zu behaupten, dass wir die Strategie und die Methoden der Hamas teilen, deren Ziel die Errichtung eines theokratischen Staates ist. Wir verteidigen das Recht des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung und treten für ein vereintes und sozialistisches Palästina, in dem Jüd:innen und Palästinenser:innen in Frieden leben können.

In Ländern wie Jemen und der Türkei entzünden sich bereits Proteste zur Unterstützung des palästinensischen Widerstandes. Wir müssen diese Solidarität mit dem palästinensischen Volk verstärken und auf die ganze Welt ausweiten.

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