Nelson Mandela ist tot

12.12.2013, Lesezeit 10 Min.
1

Nelson Mandela starb im Alter von 95 Jahren zweifellos als eine der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Unabhängig von den heuchlerischen Erklärungen der VertreterInnen der imperialistischen Länder trauern Millionen ArbeiterInnen und Arme in Südafrika um den Tod desjenigen, den sie mit dem Kampf gegen die Apartheid verbinden. Mandela steht für Millionen für den Kampf der Schwarzen in Südafrika gegen das rassistische Regime, das dieses Land fast 50 Jahre lang regierte. 27 Jahre im Gefängnis gaben ihm die Autorität über Millionen, die sich mobilisierten. Wir respektieren diese Gefühle, auch wenn wir die Illusionen in das, was die Figur Mandelas verkörperte, nicht teilen. Denn sein Kampf für die „Chancengleichheit“ stellte die kapitalistische Unterdrückung der weißen Bourgeoisie und des Imperialismus über die große Mehrheit Südafrikas nicht in Frage.

Seine Wahl als erster schwarzer Präsident in Südafrika als Vertreter des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und der „Drei-Parteien-Allianz“ (zwischen dem ANC, der Kommunistischen Partei (SACP) und der Gewerkschaftszentrale COSATU) war der Höhepunkt seines Kampfes. Gleichzeitig war sie der Grund, warum der Fall der Apartheid in Südafrika, gegen die die ArbeiterInnen und Massen sich mobilisierten, nicht auf revolutionäre Weise zustande kam.

Die gewollte Vereinnahmung Mandelas durch die Bourgeoisie

Die Vereinnahmung von Mandelas Handlungen durch die zentralen PolitikerInnen und kapitalistischen Medien ist nicht unschuldig. Sie heben den Mandela hervor, der den Pakt, der die Apartheid beendete, mit dem Vertreter der weißen Regierung De Klerk schloss. Sie heben hervor, dass er in der Lage war, mit den rassistischen Unterdrückern zu verhandeln. Der, der es hinnahm, ins Gefängnis zu gehen und friedlich auf das Ende der Apartheid wartete. Der, wie es der Film Invictus zeigt, sich neben die Rugby-Nationalmannschaft (die keine schwarzen Spieler erlaubte) stellte, um die „nationale Einheit“ zu symbolisieren. Der, der in seiner Amtszeit als Präsident die Kommission für die Wahrheit und die Versöhnung einführte, die für die Straffreiheit für die UrheberInnen der rassistischen Verbrechen und die Verstöße gegen die Menschenrechte sorgte und sie frei von jeder Schuld in ihren Ämtern ließ, indem sie ihre Taten gestanden, was als Ausdruck einer „nationalen Befriedung“ galt.

Man möchte Millionen von Unterdrückten zeigen, dass der Weg über die Versöhnung, die Suche nach Reformen innerhalb des Regimes, welches Millionen unterdrückt und ausbeutet, geht.

Schnell meldeten sich die Oberhäupter der wichtigsten internationalen Institutionen, allen voran der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, dem sich die wichtigsten internationalen PolitikerInnen anschlossen. Die zynische Aneignung der Figur Mandelas von Seiten der imperialistischen Regierungen versucht die Rolle zu verstecken, die sie während der Apartheid gespielt haben, als sie über Jahrzehnte das rassistische Regime unterstützen, welches die Millionenprofite für die multinationalen Unternehmen sicherte. Erst als die Mobilisierungen der ArbeiterInnen und Massen das Regime zum Wanken brachten und sie den revolutionären Fall fürchteten, hörte der Imperialismus damit auf, Mandela und den ANC als eine terroristische und subversive Gruppe darzustellen, um sie als einen Verbündeten aufzunehmen.

Der Kampf gegen die Apartheid, der ANC und Mandela

Abgesehen von den Beileidsschreiben ist es notwendig, die Rolle Mandelas innerhalb des Prozesses zu beleuchten, der jahrelang die schwarze Mehrheit (genauso wie alle anderen, die nicht weiß waren) gegen das rassistische Regime in Stellung brachte und wo die ArbeiterInnnenklasse an der Vorhut dieser Kämpfe war.

Nach dem Generalstreik der MinenarbeiterInnen 1946 begannen der Imperialismus und die weiße Bourgeoisie den legalen Rahmen der Apartheid (Regime der „Rassentrennung“) zu strukturieren, das nicht nur die Rechte einer mächtigen ArbeiterInnenbewegung beschnitt, die in seiner Mehrheit schwarz war, sondern auch die Rechte eines aufsteigenden schwarzen Kleinbürgertums angriff, das auf einen Aufstieg zu HandelspartnerInnen mit den multinationalen UnternehmerInnen hoffte. Das führte dazu, dass ein Teil der Jugend (wie Mandela) aus der schwarzen Mittelklasse sich in die Avantgarde des Kampfes für die BürgerInnenrechte verwandelte und in den ANC eintrat, die eine Partei war, die die nationalistischen Hoffnungen der schwarzen Klein- und Großbourgeoisie vertrat. Bevor die Apartheid ihr die Rechte parlamentarischen und legalen Auftretens entzog, war der ANC eine Partei, die auf Reformen innerhalb des kolonialen Kapitalismus Südafrikas zielte und den wachsenden Einfluss der KP auf die ArbeiterInnenbewegung bekämpfte.

Die Apartheid in Südafrika war die reaktionäre Antwort auf den Prozess, der das koloniale Regime in Frage zu stellen begann und der Teil des Aufstiegs der antikolonialen Bewegungen in ganz Afrika in den 50er–60er-Jahren war. In dieser Periode bekam der ANC einen Masseneinfluss, der sich durch die Verbindung mit der KP (die als illegal erklärt wurde) vergrößerte, die die Perspektive der Revolution zugunsten der nationalen Befreiung als Vorstufe des Kampfes aufgab. Die Illegalisierung des ANC durch das rassistische Regime und die Verfolgung und Einsperrung seiner führenden Mitglieder, darunter Mandela, vergrößerte das Prestige unter den Unterdrückten nur noch weiter. Mandela stellte vor dem Gericht während seines Prozesses 1964 klar, dass weder er noch der ANC sozialistisch seien. Nach ihm wollten die MarxistInnen „die Klassengegensätze vergrößern [und] der ANC will sie harmonisieren“.

Während der 70er und 80er Jahre radikalisierte sich der Kampf gegen die Apartheid, genauso wie die Repression, die brutale Ausbeutung und die Bedingungen, unter denen die schwarze arbeitende und arme Bevölkerung zu leiden hatte. Ein neues Gesetz, welches die Benutzung des „Afrikaans“ (der Sprache der Weißen) in allen Schulen vorschrieb, setze eine Welle von Kämpfen in Gang, vor allem in der Studierendenbewegung und in dem Township von Soweto (ein Gefängnis unter freien Himmel, wo 1,5 Millionen Schwarze leben, welches von Weißen entworfen wurde, um die Schwarzen aus der Stadt zu entfernen). Das Massaker an den Studierenden in Soweto (1976) , Ergebnis der Polizeirepression (die an nur einem Tag mehr als 1.000 Personen, darunter 500 Kinder, umbrachte), verstärkte nur die Protestwelle der Jugendlichen und ArbeiterInnen. Alle Townships in der Umgebung von Johannesburg erhoben sich und in der Stadt selbst traten tausende ArbeiterInnen in den Streik. Mehrere Tage hielt der Protest an, erschütterte die Townships und die Städte und brachte das Regime zum Zittern. Auch wenn die Erhebung in Blut ertränkt wurde, blieb der Widerstand bestehen und das Apartheids-Regime war von da an verwundet. Im darauffolgenden Jahr wurde der Studentenführer S. Biko verhaftet und brutal ermordet, doch der Kampf hörte nicht auf und die Studierenden erhoben die Parole: „Befreiung vor der Bildung“.

1984 versuchte der weiße Präsident und vehemente Verteidiger der Apartheid, Pieter W. Botha, einige Minimalreformen durchzusetzen, um eine Vergrößerung des Unmutes zu vermeiden und die zunehmende internationale Isolation aufzuhalten, die die Apartheid mit sich brachte. Trotzdem blieb das Regime intakt, bis es Ende der 80er Jahre (zusammen mit anderen Faktoren wie der Niederlage des Angola-Krieges) unhaltbar wurde. Die koloniale weiße Bourgeoisie und der Imperialismus begannen den ANC und die SACP als Karte auszuspielen, um einen revolutionären Fall der Apartheid zu verhindern und einen „koordinierten Wandel“ einzuleiten. Die Befreiung Mandelas (gemeinsam mit der Legalisierung des ANC 1990), die eine große Forderung der Demonstrierenden war, sollte die Situation beruhigen.

Die Apartheid hörte auf, aber die Ungleichheit und die Ausbeutung bleibt bestehen

Die Allianz zwischen ANC, der SACP und der Gewerkschaftszentrale COSATU stellte sich an die Spitze der Verhandlungen mit der weißen Bourgeoisie und dem Imperialismus für einen Ausweg aus der Apartheid, um zu verhindern, dass dieses durch die Mobilisierung fällt. Die Verhandlungen dauerten drei Jahre, während derer Mandela im Angesicht von Angriffen weißer RassistInnen auf schwarze Führungspersönlichkeiten dazu aufrief, den Übergang friedlich zu gestalten und für die „nationale Einheit“ zu kämpfen. Die Wahlen 1994, bei der zum ersten Mal die nicht weißen WählerInnen in der Mehrheit waren, brachten Nelson Mandela mit breiter Mehrheit ins Präsidentenamt. Bis zu diesem Moment haben der ANC, die SACP und die Bürokratie der COSATU eine zentrale Rolle in der Erhaltung der kapitalistischen Strukturen gespielt.

Mandela kämpfte gegen die Apartheid, um die Chancengleichheit von Schwarzen und Weißen zu erreichen, um die „Freiheit“ im kapitalistischen Rahmen zu erreichen. Für Mandela wie für die FührerInnen der Drei-Parteien-Allianz bot die Einführung der Demokratie in Südafrika die Möglichkeit, die Armut und die Ausbeutung, die die Mehrheit der Bevölkerung erlitt, zu beenden. In ihren Reden versprachen sie, dass das Ende der Apartheid die Verstaatlichung der Minen, die in den Händen der imperialistischen Unternehmen waren, die Sicherung der grundlegenden Dienstleistungen für die arme Bevölkerung und die Erfüllung der demokratischen Forderungen der werktätigen Massen beinhalte.

Weit davon entfernt war es die Regierung der Drei-Parteien-Allianz, die die kapitalistische Stabilität garantierte und besonders unter der zweiten Präsidentschaft des ANC (Thabo Mbeki) neoliberale Pläne der Privatisierung und den Ausverkauf der Bodenschätze an den Imperialismus im Tausch dafür vollzog, sich in die Juniorpartner der Multinationalen zu verwandeln. Das ermöglichte, dass sich ein kleiner Teil der schwarzen Bevölkerung (der die GewerkschaftsbürokratInnen beinhaltet, die die Kontrolle über die outgesourcten Betriebe haben, wie es im Minensektor der Fall ist) nach dem Ende der Apartheid bereicherte und eine neue schwarze bürgerliche Elite geschaffen wurde. Währenddessen veränderten sich die sozialen Bedingungen für die schwarze Mehrheit (80 Prozent) nicht: Sie müssen in den gleichen Townships leben, mit einer Arbeitslosigkeit von bis zu 25 Prozent und mit Arbeitsbedingungen der Überausbeutung.

Seitdem ist es die Regierung des ANC und die Drei-Parteien-Allianz, die damit beauftragt ist, die imperialistischen Interessen vor der wachsenden Mobilisierung der ArbeiterInnen zu schützen. Der Präsident Südafrikas, J. Zuma, der dazu aufrief, die „Werte für die Madiba kämpfte, wiederzubeleben“, ordnete 2011 die Repression gegen den Streik von Marikana an, die zu 32 toten MinenarbeiterInnen führte.

Dies verschärft die Erfahrung, dass sich nach dem Erkämpfen von BürgerInnenrechten und selbst mit einer schwarzen Regierung die tieferliegenden Probleme nicht lösen lassen, weder die strukturellen noch die dringendsten sozialen.
Deshalb benutzt der ANC und die Drei-Parteien-Allianz die Figur Mandelas heute, um ihre Autorität wiederherzustellen und den Unmut der ArbeiterInnen und Massen aufzuhalten, der besonders nach dem Massaker von Marikana anstieg. Eine sehr schwierige Aufgabe in Anbetracht des großen Prozesses der ArbeiterInnenkämpfe und -streiks und dem Aufkommen neuer Organisationen, die unabhängig von der verräterischen Gewerkschaftsbürokratie sind, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat.

In den letzten Jahren konnten sich die imperialistischen Unternehmen, die lokalen PartnerInnen und ein kleiner Teil der schwarzen Bevölkerung auf Grundlage eines großen Wirtschaftswachstums in Südafrika bereichern, während Millionen weiterhin unter den schlimmsten Bedingungen der Ausbeutung und Diskriminierung leben. Das zeigt deutlich, dass nur eine Regierung der ArbeiterInnen und Massen die großen Probleme der Massen lösen kann, in dem es die Interessen der KapitalistInnen und des Imperialismus angreift.

Mehr zum Thema