Nein, das ist keine “feministische” Außenpolitik

26.11.2022, Lesezeit 6 Min.
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Quelle: shutterstock // Alexandros Michailidis

Am 25. und 26.11. rufen wir “Frauen, Leben, Freiheit“ auf den Straßen von Berlin. Gegen Annalena Baerbocks angeblich “feministische” Außenpolitik stehen wir Seite an Seite mit den rebellierenden und streikenden Frauen und Massen im Iran und in Kurdistan, für einen antiimperialistischen und sozialistischen Feminismus der Arbeiter:innen.

Am diesjährigen 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, ist die Welt von Krise und Krieg, aber auch von Rebellion und Kampfkraft geprägt. Mit Frauen und LGBTQI-Personen an vorderster Front haben sich die Massen im Iran gegen ihr reaktionäres Regime erhoben. Wir stehen in voller Solidarität an ihrer Seite. Und während die Bundesregierung sich heuchlerisch ihre Parole Jin, Jiyan, Azadi (Frauen, Leben, Freiheit) auf die Fahnen schreibt, überzieht sie das Land mit Sanktionen, die wieder nur die große Mehrheit der Bevölkerung und vor allem Frauen und LGBTI-Personen besonders hart treffen.

Doch nicht nur das: Der türkische Präsident Erdoğan – ein wichtiger Verbündeter der Bundesregierung in der Aufrechterhaltung des rassistischen europäischen Grenzregimes – bombardiert seit Tagen erneut kurdische Gebiete und kündigt eine Bodenoffensive an. Die Reaktion der Bundesregierung: Sie mahnt “Verhältnismäßigkeit” an, während sie weiterhin das PKK-Verbot und die Repression gegen kurdische Aktivist:innen aufrechterhält. Mit Erdoğan hatte sich Baerbock erst im Juli bei einem Treffen händeschüttelnd und lächelnd von der Presse ablichten lassen. In solchen Momenten lüftet sich der Schleier der angeblich “feministischen” Außenpolitik und enthüllt die dahintersteckenden Profit- und Machtbestrebungen Deutschlands: Wenn die Bundesregierung die Kapitalinteressen mit zutiefst rassistischen Deals mit Erdoğan über das Abfangen von Flüchtenden durchsetzt oder die Türkei als NATO-Partner hofiert, statt sich gegen die Angriffe auf Kurd:innen zu stellen.

Doch die imperialistische Bundesregierung zeigt nicht nur außenpolitisch ihr heuchlerisches Gesicht. Innenpolitisch feiert sie sich selbst für die Abschaffung des Anti-Abtreibungs-Paragraphen 219a StGB und für die Ersetzung des Transexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz. Doch während wir uns nun wenigstens darüber informieren können, wo Schwangerschaftsabbrüche durchführbar sind, kriminalisiert §218 StGB Abtreibung noch immer – und die bisherigen Verbesserungen sind auch nicht einfach durch das Wohlwollen der Regierung zustande gekommen, sondern durch jahrzehntelangen unermüdlichen Kampf auf der Straße gegen patriarchale Gewalt und für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Sexualität. Dazu gehört auch, gerade jetzt in Zeiten, die für die meisten von uns finanzielle Schwierigkeiten bedeuten, ein umfassender und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln.

In diesem Sinne kämpfen wir auch für ein Gesundheitssystem, in dem reproduktive Rechte gewährleistet werden. Neben den großen Protesten der Krankenhausbewegung bundesweit in den vergangenen Jahren, gibt es gerade auch Proteste gegen die Verschlechterung der Geburtshilfe. Ein Teil dieses Kampfes ist der Kampf gegen Kreißsaalschließungen, beispielsweise in München-Neuperlach, wo sich die Beschäftigten bewusst dagegen wehren. Weniger Kreißsäle bedeutet, dass sich der Hebammenmangel verschärft und Schwangere noch weitere Wege und noch schlechtere Betreuungsmöglichkeiten haben, was handfeste gesundheitliche Nachteile mit sich bringt.

Nicht zu vergessen auch die allgemeine ökonomische Krise, bei der die Inflation insbesondere Menschen mit niedrigen Löhnen – statistisch gesehen häufig Frauen und LGBTI-Personen – besonders scharf trifft. Die Regierung lobt sich selbst für “Entlastungspakete” und Gaspreisbremse, doch tastet die Milliardenprofite der Großkonzerne nicht an. Sie wirbt für ein “Bürgergeld” als Ersatz für Hartz IV – und verhandelt mit der Union dessen vollständige Verstümmelung und damit die fortgesetzte Armut von Millionen Frauen und LGBTI-Personen. Weniger Geld und nicht nur in Großstädten viel zu hohe Mieten gepaart mit einem absurd hohen Mangel an Frauenhausplätzen und Zufluchtswohnungen bedeuten auch eine schmerzhafte große Zahl an Frauen, die aus finanzieller Not und Wohnungsmangel gezwungen sind, mit Gewalt ausübenden Partnern weiter zusammenzuwohnen. Ganz zu schweigen von der antifeministischen und transfeindlichen Rhetorik von AfD und Co, die hierzulande und weltweit in der Krise zunimmt.

Die Beispiele zeigen zur Genüge, auf wessen Seite die Bundesregierung – und mit ihr alle imperialistischen und kapitalistischen Regierungen – steht. Wir können uns nicht auf sie oder eine angeblich “feministische” Außenpolitik stützen, die unter dem Banner von Frauen- und Menschenrechten die imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals verteidigt. Denn was soll uns Repräsentation schon nützen, wenn uns unsere Rechte fehlen wir ökonomisch schlechter gestellt werden?

Zugleich wissen wir: Die Gewalt an Frauen und trans Menschen ist vielfältig. Sie äußert sich zudem in sexualisierten Übergriffen, in Catcalling, Sexismus, Gewalttaten und sogar in Morden. Allein im vergangenen Jahr wurden über 100.000 Fälle zur Anzeige gebracht, in denen Frauen Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner erfahren haben. Die Dunkelziffer wird noch deutlich höher eingeschätzt. Und mindestens 90 Frauen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, nur weil sie Frauen sind. All diese Fälle sind keine Einzelfälle,  “Beziehungsdramen” oder “Gewalt der anderen”, wie es uns die bürgerliche Presse und die Politiker:innen auf rassistische Art und Weise verkaufen wollen. Diese grausame Gewalt, die täglich Leben von Frauen und Queers fordert, wie erst vor kurzem die fünf Ermordeten in einem queeren Club in Colorado Springs, stabilisiert die Funktionsweise des Kapitalismus, der aufs engste mit der patriarchalen Unterdrückung von Frauen und trans Menschen verbunden ist.

Aus all diesen Gründen ist es eine Sackgasse, sich an den Staat oder an die Bosse zu wenden, um das Problem sexualisierter Gewalt und patriarchaler Strukturen zu lösen. Im Gegensatz dazu ist es notwendig, auf eine von den Regierungen und dem Kapital unabhängige Mobilisierung zu setzen, mit Frauen und insbesondere den Arbeiter:innen an der Spitze. Im Iran zeigt sich diese kraftvolle Allianz, wo eine von Frauen angestoßene Revolte einen Flächenbrand erzeugt hat, der die ganze Gesellschaft in Bewegung bringt und schon mehrere partielle Generalstreiks hervorgebracht hat. Diese Perspektive gilt es zu vertiefen – für eine proletarische Revolution im Iran statt die Unterordnung unter die Interessen des angeblich “fortschrittlichen” deutschen Imperialismus. Nur die Perspektive einer vereinigten sozialistischen Föderation in Westasien, für die die Arbeiter:innenklasse und die unterdrückten Völker der Region gemeinsam kämpfen, kann einen Ausweg bieten.

Im selben Atemzug sagen wir deshalb: Nieder mit den Sanktionen! Schluss mit Erdoğans Krieg gegen die Kurd:innen! Nieder mit dem PKK-Verbot! Nieder mit dem europäischen Grenzregime!

Unsere Perspektive für eine vom kapitalistischen Patriarchat befreite Gesellschaft ist Organisierung. Lasst uns damit heute beginnen – für einen antiimperialistischen und sozialistischen Feminismus der Arbeiter:innen!

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