Nackt in den Keller sperren: Die Spezialität der Münchner Polizeiinspektion 14

20.09.2020, Lesezeit 6 Min.
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Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Polizei_bei_Jetzt_gilt%27s_9797.jpg

München: Nach der Eskalation am Gärtnerplatz mit Schlagstockeinsatz werden neue Anschuldigungen gegen die Polizei bekannt: Zwei Festgenommene berichten, nackt in ihre Zellen gesperrt worden zu sein. Ein Jugendlicher ist sich sicher: Der Polizist, der mit dem Schlagstock zuschlug, sei auf Drogen gewesen.

Der Münchner Gärtnerplatz ist besonders in diesem Sommer, in dem die Clubs geschlossen sind, ein beliebter abendlicher Treffpunkt für junge Menmschen. Hier kam es in den letzten Wochen häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Jugendlichen, so auch am 5. September, bei dem ein Einsatz wegen Lärmbelästigung eskalierte.

Betroffene widersprechen der Polizeimeldung

Die Polizei schreibt in ihrer Pressemitteilung, sie habe einen 20-Jährigen aufgefordert, „er möge die Beschallung des Gärtnerplatzes mit seiner Musikbox einstellen. Dieser zeigte sich jedoch äußerst unkooperativ und es kam letztendlich im Rahmen seiner Identitätsfeststellung zu einer Auseinandersetzung mit ihm.“ Der Betroffene E. stellt die Situation jedoch anders da:

So gegen 23.30 Uhr kamen zwei Beamte auf mich zu und meinten: ‚Personenkontrolle.‘ Und ich meinte: ‚Warum nur ich?‘ Die Anwohner hätten sich beschwert, hieß es. Ich hab gesagt: ,Schauen Sie sich mal um: Hier sind 400 Leute. Wieso soll ich mich als einziger einer Personenkontrolle unterziehen?‘ Der Beamte konnte es nicht begründen.

Nach ein, zwei Minuten habe ich meinen Ausweis ausgehändigt. Ohne ein weiteres Wort ging der Beamte einfach. Ich bin ihm hinterher und habe gefragt: ‚Wohin gehen Sie denn mit meinem Ausweis?‘ Daraufhin sehe ich, dass sein Kollege die Bodycam anmacht – er hat mich direkt gepackt. Und beide haben mich angegriffen, in den Schwitzkasten genommen und zum Streifenwagen gezerrt.

Hier geht es zum ganzen Interview mit dem Betroffenen: „7 Stunden nackt in der Zelle“ – neue Details der Polizeigewalt in München

Ein von der BILD-Zeitung veröffentlichtes Video zeigt die folgende Auseinandersetzung, bei der ein Polizist mit dem Schlagstock gegen einen Begleiter von E., den 26-jährige M., vorgeht.


M. wird mit Verletzungen im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert. Während der Polizist mindestens vier Mal von oben zuschlägt, behauptet der BILD-Reporter Karl Keim, die Treffer gegen den Kopf seien nicht aus Absicht geschehen. In der Folgewoche druckte die BILD eine Lüge ab, M. habe „bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt, dass er sich die Verletzungen am Boden liegend selbst beigebracht“ hätte. Über die Berichterstattung meint M.

In einem Artikel der SZ wurde der Eindruck erweckt, der Schlag wäre aus Versehen passiert. Im Video, das die BILD-Zeitung in ihrem Bericht veröffentlicht hatte, erkennt man aber deutlich, dass der Schlag zielgerichtet war… Noch in der selben Nacht kam ich ins Krankenhaus und wurde dort behandelt. Diagnostiziert wurde eine Gehirnerschütterung, außerdem hatte ich zwei etwa drei Zentimeter lange Platzwunden. Eine an der Oberlippe und eine weitere im Mundraum. Beide mussten mit mehreren Stichen genäht werden.“

Hier geht es zum ganzen Interview mit M.: Polizei schlägt. Bild-Zeitung lügt: Interview mit Betroffenem

Polizist auf Drogen? Jugendliche nackt in Zelle gesperrt

Der 17-jährige T., der mit vier weiteren Personen an dem Abend festgenommen wurde, berichtet, dass der zuschlagende Polizist gewirkt habe, als habe er Speed oder Koks genommen:

Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass der Polizist wirklich was gezogen hat. Wegen seinem Kiefer und der Art wie er sich benommen hat, er war sehr steif.

(die sogenannte Kieferklemme ist eine akute Begleiterscheinung bei übermäßigem Konsum von Drogen wie Amphetaminen oder Kokain – Anm. d. Verf.)

Alleine dafür, dass er dem Polizisten die Frage nach dem Drogenkonsum stellte („Haben Sie einen gerotzt oder warum haben Sie Kieferspackungen?“), wurde er auf die Polizeiinspektion 14 an der Theresienwiese gebracht, so berichtet es Tarkan. Doch damit nicht genug. Auf der Wache sollte er sich bis auf die Unterhose entkleiden.

10 Polizisten haben mich runter in den Keller gebracht. Sie haben mich erst zu den Zellen gepackt, dann haben sie gesagt: „Ausziehen!“ Ich musste mich bis zur Unterhose ausziehen und in eine Zelle gehen. Ich habe auch nach einer Decke gefragt, weil es sehr kalt war, aber die Bitte wurde mir verneint. Um 5 Uhr wurde ich dann rausgelassen.

Hier geht es zum ganzen Interview mit T.: Schläger-Polizist auf Drogen? 17-Jähriger musste „in Unterhose in die Zelle

Auch E. berichtet, dass er nackt in die Zelle gesperrt wurde:

„Mit zwei Handschellen wurde ich dann abgeführt – wieso mit zwei? Und dann wurde ich nackt in der Zelle sieben Stunden festgehalten. Ich habe zuerst gesagt: ‚Ich ziehe mich nicht aus.‘ Daraufhin haben sie mich zu fünft zu Boden zu Boden gedrückt und sich später über mich lustig gemacht, als ich gesagt habe, dass es zu kalt ist.“

Aufklärung der Vorfälle

Der Abend des 5. September wirft einige Fragen auf: Warum spielt ein Polizist – möglicherweise mit Speed oder Koks vollgepumpt – Rambo und nimmt es in Kauf, seinem Gegenüber schwere Kopfverletzungen zuzufügen? Warum demütigt eine ganze Polizeiwache einen Minderjährigen sowie einen 20-jährigen und sperrt sie bei 15 Grad fast nackt in einen Keller ein? Warum kontrolliert sie – wie die Betroffenen es aussagen – ausgerechnet Schwarze Jugendliche?

Die gewalttätigen Polizeieinsätze gegen Jugendliche am Gärtnerplatz und dem Baldeplatz in den letzten Wochen beschäftigen mittlerweile die Münchner Stadtpolitik. So stellte die Fraktion der Linken/die Partei eine Anfrage zu den Einsätzen und wie oft sie sich gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund richten. Auf einer Pressekonferenz kamen auch zwei der Betroffenen vom Gärtnerplatz zu Wort.

Die Polizei muss ihre Kontrollen und gewalttätigen Einsätze beenden. Es ist nötig, dass sämtliche Vorwürfe gegen sie von Kommissionen aufgeklärt werden, die sich unabhängig vom Staat und der Polizei aus Betroffenen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen zusammensetzen. Die verantwortlichen Polizist:innen müssen aus dem Dienst entlassen werden.

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