Nach Thüringen: Was für eine Linke brauchen wir?

18.02.2020, Lesezeit 7 Min.
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Bodo Ramelow ließ gestern Abend eine Bombe platzen: Um einen Ausweg aus der parlamentarischen Krise in Thüringen zu weisen, schlug er die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als neue Regierungschefin vor. Ist das die Linke, die wir brauchen?

Bild: Steffen Prößdorf, CC BY-SA, via Wikimedia Commons

Das politische Erdbeben in Thüringen hat das traditionelle Parteienregime erschüttert, der Machtkampf in der CDU ist offen ausgebrochen. Wenige Tage nach der Ministerpräsidentenwahl im Parlament atmete die Republik aber wieder auf: Kemmerich (FDP) trat zurück und alle erhofften eine neue rot-rot-grüne Regierung unter Bodo Ramelow (Linkspartei).

Noch ist natürlich nicht alles klar – Kemmerich ist weiterhin geschäftsführend im Amt, es bleibt unklar, ob oder wann es im Parlament zu einer neuen Wahl kommen wird, ob die AfD in einem taktischen Manöver Ramelow wählt, damit er die Wahl nicht annehmen kann, ob bald Neuwahlen stattfinden oder nicht, und so weiter. Neben der Frage, wie lange der parlamentarische Zirkus um Kemmerich noch weiter geht, stand im Fokus der Öffentlichkeit vor allem die gewachsene Nähe von CDU und AfD, nochmal angefacht durch den Einfluss der ultrakonservativen WerteUnion innerhalb der CDU und dadurch, dass sich Friedrich Merz als Nachfolger von Annnegret Kramp-Karrenbauer positioniert und für einen weiteren Rechtsruck in der Union wirbt.

Doch um ein Thema blieb es selbst innerhalb der Linken bisher merkwürdig stumm: Wie konnte es eigentlich kommen, dass in einem Bundesland, wo die Linkspartei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenen stellt, die AfD so stark werden konnte? Und damit verbunden: Was ist eigentlich gewonnen, wenn Ramelow doch noch eine R2G-Neuauflage anführen kann?

Die aktuellen Umfragewerte für den Fall von Neuwahlen sind dabei sehr aussagekräftig: Während vor allem CDU und FDP verlieren, werden für die Linkspartei aktuell sogar 40 Prozent prognostiziert. Aber: Die AfD bleibt stabil bei 25 Prozent. Die Linkspartei konnte von dem Manöver von CDU und FDP also stark profitieren, aber die AfD ist damit keinen Zentimeter zurückgedrängt worden.

Das ist auch logisch, denn die Linkspartei positioniert sich in der aktuellen Situation extrem staatstragend, allen voran Bodo Ramelow selbst. Es brauche „Sicherheit“ und „Stabilität“ in der Regierung. Als der Sitz der Thüringer Regierung im Bundesrat vergangene Woche leer blieb, malte Ramelow die Zukunft düster aus, was passiere, wenn Thüringen keine Regierung hat. Der Wunsch nach Regierbarkeit geht sogar so weit, dass Ramelow die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) zu einer Übergangs-Regierungschefin machen will, bis irgendwann Neuwahlen eingeleitet werden.

Im Klartext: Die Linkspartei will vor allem die Regierungsfähigkeit des Landes erhalten – das konkrete Programm ist dabei nebensächlich. Die Linkspartei möchte eine „Front der Demokraten“ gegen die AfD. Während sie sich darüber (zurecht) empört, dass CDU und FDP sich auf ein Manöver mit der AfD eingelassen haben, will sie nun mit ebendieser CDU einen Pakt für eine Übergangsregierung schmieden.

Die konstante Rechtsverschiebung der Bundespolitik in den vergangenen Jahren hat den Aufstieg der AfD angefacht – auf dem Nährboden von 30 Jahren kapitalistischer Restauration durch Treuhand und Co. Doch die Linke (weder im Allgemeinen noch konkret die Linkspartei) steht dabei nicht am Seitenrand. Im Gegenteil, die Linkspartei ist für viele Menschen nicht nur in Ostdeutschland Teil des Establishments geworden. Bodo Ramelow ist dafür der beste Beweis. Doch eine Bilanz ihrer eigenen Regierung der vergangenen Jahre scheut die Linkspartei.

Dabei ist die Frage eindeutig: Kann eine Partei, die es sich zur Aufgabe macht, die Regierbarkeit des bürgerlichen Staates aufrechtzuerhalten, überhaupt eine tatsächliche Alternative zum neoliberalen und rassistischen Kurs der letzten Jahrzehnte bieten? Eine Partei, die im Tausch für ein paar kleine Reförmchen in einer Logik des geringeren Übels die Opposition aufgibt und nicht nur an Regierungen mitwirkt, sondern sie aktiv anführt? Oder brauchen wir dafür nicht eine ganz andere Partei? Eine Partei, die sich vornimmt, mit den Mitteln des Klassenkampfes und der Massenmobilisierungen die großen Fragen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung zu beantworten?

Wir glauben, dass das Thüringer Erdbeben diese Frage mit voller Wucht auf den Tisch gepackt hat. Erst am Wochenende mobilisierten sich 18.000 Menschen in Erfurt gegen jeden Pakt mt der AfD. Großdemonstrationen wie diese zeigen, dass es Kräfte und Dynamik gibt, auf der Straße eine Alternative zu errichten. Doch die Voraussetzung dafür ist, dass wir darüber Klarheit haben, was für eine Linke wir brauchen. Eine Linke, die das System stützt und damit der AfD das Feld der „Systemopposition“ überlässt? Nein. Wir brauchen eine Linke, die sich offensiv gegen die Regierung des Kapitals und gegen die AfD positioniert. Eine Linke, die die Kraft auf der Straße und in den Betrieben nutzt, um die Profite der Kapitalist*innen anzugreifen und gegen das neoliberale Mantra der Privatisierung und Kürzungen die Perspektive der Vergesellschaftung der Produktion und der Daseinsvorsorge als einzige Antwort auf den Aufstieg der AfD aufwirft.

Immer noch glauben viele Strömungen innerhalb und außerhalb der Linkspartei, dass sie ein Stützpunkt für progressive gesellschaftliche Kämpfe ist oder werden könnte. Es gibt selbst trotzkistische Strömungen, die seit der Gründung bis heute innerhalb der Linkspartei arbeiten. Aber wofür eigentlich? Damit die Linkspartei wie unter Ramelow 40 Prozent in Umfragen bekommt und dann die CDU an die Regierung hebt? Oder damit im Fall einer erneute R2G-Regierung in Thüringen die einzige „Opposition“ auf der Straße und im Parlament bei der AfD bleibt? Nein, dass die AfD gerade in Thüringen unter einer rot-rot-grünen Regierung eine derartige Kraft erlangen konnte, liegt nicht vor allem an der CDU oder der FDP oder irgendeinem parlamentarischen Manöver. Es liegt vor allem an der Regierungspolitik in Verantwortung der Linkspartei.

Diejenigen Strömungen innerhalb der Linkspartei, wie Marx21 oder SAV und SOL, die immer wieder betonen, dass sie keine Linkspartei in der Regierung wollen, harren trotzdem seit Jahren in dieser Partei aus – zum Teil mit Posten im Parteivorstand –, während die Linkspartei an mehreren Landesregierungen beteiligt war und ist. Ist Ramelows „Realpolitik“ nun für sie eine Grenze? Wenn nicht, wo dann? Wie viel Mitwirkung an der Verwaltung eines der wichtigsten imperialistischen Staaten der Welt ist noch erträglich?

Eine Linke, die die Mitverwaltung der kapitalistischen Ordnung als kleineres Übel verharmlost, wird machtlos, eine tatsächliche Kraft gegen das kapitalistische System und die vermeintlichen „Alternativen“ von rechts aufzubauen. Stattdessen muss das Thüringer Beispiel ein Weckruf für all diejenigen sein, die bisher in der Linkspartei ein Instrument gegen die AfD gesehen haben. Es geht nicht um die Frage, ob mit der Linkspartei diese oder jede Reform durchgesetzt werden kann (zu welchem Preis?), sondern darum, dass eine Linke, die sich als Garant der Regierbarkeit positioniert, keine Basis für eine radikale gesellschaftliche Alternative sein kann.

Es reicht nicht mehr, sich darauf zu berufen, dass in der Linken ja noch antikapitalistische Stimmen existieren. Wenn diese antikapitalistischen Stimmen immer wieder die Kröte der Regierungsbeteiligung schlucken, statt Konsequenzen zu ziehen, werden sie über kurz oder lang zum Feigenblatt ebendieser Regierungsbeteiligungen.

Es ist ein unverhohlener Skandal, dass Bodo Ramelow eine CDU-Regierung unterstützen würde, um die Regierbarkeit zu garantieren. Das muss für die antikapitalistischen Kräfte innnerhalb und außerhalb der Linkspartei ein Startschuss sein zum Aufbau einer Partei, die nicht nur für das kleinere Übel im Rahmen der kapitalistischen Ordnung als Teil der Regierung eintritt, sondern ein revolutionäres sozialistisches Programm im Interesse der Arbeiter*innen, der Jugend, der Frauen, der Migrant*innen aufzubauen, dass den Bossen und ihren Regierungen tatsächlich den Kampf ansagt und den Aufstieg der extremen Rechten auf der Straße und in den Betrieben und nicht auf der Ebene parlamentarischer Manöver verortet.

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