Nach Rechtsruck bei Europawahl: für eine klassenkämpferische Organisierung!

14.06.2024, Lesezeit 10 Min.
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Protest gegen die EU-Grenzpolitik. Foto: Ajdin Kamber / Shutterstock.com

Die Europawahlen haben ein politisches Erdbeben ausgelöst. In Frankreich stehen die Rechte vor ihrem größten Erfolg durch die Ankündigung von Neuwahlen. Auch in Deutschland geht die AfD trotz Verlusten der letzten Monate mit breiter Brust in die Landtagswahlen. Dagegen müssen wir uns heute schon organisieren.

Die Europawahlen waren für die Ampel eine Katastrophe. Deutlich hat sie an Wähler:innenstimmen verloren. Die SPD ist mit einem Verlust von 11,8 Prozentpunkten im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 nur noch drittstärkste Kraft mit 13,9 Prozent. Die Grünen mit 11,9 Prozentpunkten verloren fast die Hälfte ihrer Stimmen im Vergleich zur vorherigen Europawahl (20,5 Prozent). Auch die FDP konnte trotz ihrer aufwendigen Wahlkampagne ihr zwischenzeitliches Hoch bei der Bundestagswahl 2021 nicht halten. Sie fiel von 11,5 Prozent auf 5,2 Prozent.

Der Umgang der Ampelparteien mit den gegenwärtigen Krisen, Militarisierung, Waffenlieferungen nach Israel und der Freigabe deutscher Waffen für den Beschuss russischer Territorien stößt auf Ablehnung, während ihre Sparpolitik den Lebensstandard von Millionen von Menschen bedroht. Die Grünen treten schon lange nicht mehr als Friedenspartei auf, wie sie es vor der Bundestagswahl versucht haben. Ebenso wenig kann die SPD glaubwürdig soziale Forderungen in den Mittelpunkt ihrer Kampagne stellen, nachdem sie lieber 100 Milliarden Euro ins Militär steckte. Das Einzige, womit die Grünen und SPD noch für sich Wahlkampf machen konnten, war, dass sie nicht die AfD sind. Um nicht eine stärkere Rechte im EU-Parlament zu bekommen, solle man die Grünen und die SPD wählen, die dann aber selber die Festung Europa ausbauen und noch mehr abschieben, vielleicht bald auch nach Afghanistan. Ebenso wenig bieten die Ampelparteien eine Lösung für Palästina. Sie decken Israels verbrecherischen Genozid und gehen mit voller Härte gegen pro-palästinensische Proteste vor.

Die AfD hat insbesondere bei jungen Wähler:innen stark zugelegt. Sie ist zusammen mit der CDU mit jeweils 17 Prozent die stärkste Kraft bei den 16- bis 25-Jährigen. Auch in Ostdeutschland ist die rechtspopulistische Partei sehr stark vertreten und hat sich als stärkste Kraft etabliert. In den östlichen Bundesländern, inklusive Berlin, erreichte sie 27,1 Prozent, gefolgt von der CDU mit 20,7 Prozent. Die Skandale um den EU-Kandidaten Maximilian Krah haben die Partei zwar einige Stimmen gekostet, vor allem in Westdeutschland. Im Osten setzt die Partei ihren Erfolgskurs aber aktuell fort. Auch wenn sie bei den Kommunalwahlen in Thüringen jede Stichwahl verloren haben, war das überhaupt nur dadurch möglich, dass sich alle anderen Parteien auf eine:n einzige:n Kandidat:innen verständigt haben. Für die Landtagswahlen im Herbst ist das wohl wenig aussagekräftig. 

Obwohl erst im Januar gegründet, war das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sehr erfolgreich bei der Europawahl. Sie hat 6,2 Prozent der Stimmen erhalten. Im Osten schnitt das BSW mit 13,1 Prozent der Stimmen mehr als doppelt so stark ab wie bundesweit. Die Perspektiven für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt im September deuten auf möglichen Wahlerfolg hin. Auch bei den Bundestagswahlen scheint das Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde realistisch. Im Gegensatz dazu muss DIE LINKE um ihre Zukunft bangen. Aufgrund ihrer schwachen Oppositionspolitik holte sie bei den Europawahlen nur 2,7 Prozent der Stimmen. DIE LINKE rückt nach rechts und sucht die Nähe zu den Regierungsparteien, was zur Stärkung der Rechten führt. Diese können sich dadurch als Anti-Establishment-Parteien positionieren und Stimmen gewinnen.

Wie können die regierenden Parteien jetzt reagieren?

Dieses Wahlergebnis wird nur einen weiteren Rechtsruck befördern. Wir sind von einer CDU, die die Geflüchteten aus Syrien 2015 aufnahm zu einer Merkel übergegangen, die gesagt hat, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfe. Und neuerdings zu einer CDU, die nun mit Merz eine weiteren Schritt nach rechts macht und damit bei den Europawahlen stärkste Kraft in Deutschland wurde. In der gleichen Zeit sind die Grünen und SPD dazu übergegangen, Forderungen der Rechten nach mehr Abschiebungen und mehr Repression zu übernehmen. Damit erhoffen sie sich, die Teile der Bevölkerung, die nach rechts rücken, nicht zu verlieren, aber scheitern krachend. Gleichzeitig wird aber immer wieder betont, dass sie die „Weltoffenen und Demokratischen“ unter den Parteien wären. 

Das endet in einem lächerlichen Balanceakt, in dem auf eine rassistische Aussage eine über Toleranz folgt und darauf wieder eine rassistische (siehe das Spiegelcover von Olaf Scholz, man müsse „endlich wieder im großen Stile abschieben“). Zurzeit sieht es so aus, als könnten sie ihre Wähler:innen so nicht hinter sich vereinen, aber das starke Abschneiden der AfD und der CDU sind für sie auch ein ganz klares Zeichen, in welche Richtung man gehen kann, um wieder beliebter zu werden. Gut möglich also, dass ein Teil der Liberalen versucht, durch einen noch stärkeren Rechtsruck selbst der AfD und der Union die Stimmen abzugraben. Bei den Grünen diskutiert man beispielsweise direkt nach den Wahlen darüber, dass man das Problem des „islamistischen Extremismus“ ernster nehmen müsste. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann unterstützt sogar die Forderung von Abschiebungen nach Afghanistan.

Der Versuch der Partei DIE LINKE, mit der Seenotrettungsaktivistin Carola Rackete den Osten zu erobern, hätte kaum schlimmer enden können. So war nach ersten Umfragen vor allem die Ukraine-Politik noch vor sozialen Themen der ausschlaggebende Grund, dass viele Wähler:innen im Osten ihr Kreuz eher bei der AfD oder bei Wagenknecht gemacht haben, die sich als vermeintliche Alternative zur imperialistischen NATO-Politik inszenieren. Insbesondere die SPD hat laut erster Einschätzungen viele Stimmen an das Bündnis Sahra Wagenknecht verloren, was mit großer Wahrscheinlich vor allem in der Ukraine-Politik begründet liegt. 

Aber auch DIE LINKE passt sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine immer mehr dem deutschen Imperialismus und der NATO an. Der Gipfel dieses Trauerspiels ereignete sich zwei Tage nach den Wahlen anlässlich der Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskij vor dem Bundestag: Wieder waren es nur die AfD und BSW, die aus politischem Protest gegen den Auftritt Selenskijs demonstrativ das Parlament verlassen haben. Währenddessen verlor DIE LINKE kein einziges kritisches Wort über die imperialistische Politik der NATO in der Ukraine und versuchte damit nicht einmal, der extremen Rechten und dem Populismus von Wagenknecht eine antiimperialistische, sozialistische Perspektive für die Ukraine entgegenzustellen.

Was nun?

Die Perspektive „Wählen gegen Rechts“ erweist sich immer wieder als Trugschluss. Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht dadurch stoppen, vermeintlich „progressive“ Alternativen zu wählen, die dann selbst den Rechtsruck an der Regierung vorantreiben. Nach der Wahl sind es nun dieselben Kräfte, die aus dem Abschneiden der AfD den Schluss ziehen, noch weitere Schritte nach rechts zu machen. Doch für uns muss klar sein: Anstatt auf die regierenden Parteien, DIE LINKE oder BSW zu vertrauen, müssen wir die AfD und den Rechtsruck mit der Kraft der Mobilisierung auf der Straße, in den Betrieben und Universitäten stoppen.

Wir brauchen eine Kraft gegen die Militarisierung, gegen das Europa der Bosse und der Kriege, gegen die soziale Krise, für einen Kampf gegen die Reichen, die Banken und Konzerne. Eine Kraft, die für eine soziale und ökologische Umstellung der Produktion unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten eintritt, statt ein Europa der Klimakatastrophen. Dafür müssen wir in den Dialog gehen, besonders mit den jungen Wähler:innen, und ihnen eine politische Perspektive jenseits reformistischer Illusionen und rechter Demagogie bieten. In den Zeiten des Rechtsrucks, der inneren und äußeren Militarisierung und einem Europa des Kapitals können und müssen wir uns selbst organisieren. Einen Ansatzpunkt dafür bieten die Mobilisierungen vor allem junger Menschen weltweit gegen den Genozid in Palästina in den vergangenen Monaten. Neben wiederkehrenden massiven Demonstrationen haben Studierende im ganzen Land Universitäten besetzt, um ihre Solidarität mit Palästina auszudrücken und die Komplizenschaft der Regierungen und der Universitätsleitungen mit dem Genozid in Gaza anzuprangern. Es gilt, diese Mobilisierungen mit dem Kampf gegen den Aufstieg der AfD zu verbinden.

Ende Juni veranstaltet die AfD ihren Bundesparteitag in Essen. Gewerkschaften, Parteien und viele linke Organisationen mobilisieren für den 29. Juni dorthin, um den Parteitag zu blockieren. Zehntausende Jugendliche und Arbeiter:innen werden erwartet. Insbesondere den Gewerkschaften kommt im Kampf gegen Rechts eine zentrale Rolle zu, da sie auch heute noch die größten Organisationen der organisierten Arbeiter:innenklasse sind und die Macht haben, durch massenhafte Streiks und Blockaden auch Veranstaltungen von Rechten zu verhindern. Wenn die Bahnen und Busse der Rechten nicht fahren, weil die Beschäftigten streiken, kommen die Rechten gar nicht erst zu ihren Parteitagen. Gerade vor dem Szenario, dass die Rechte im Herbst stärkste Kraft in Ostdeutschland wird, eventuell sogar selbst regiert, müssen wir uns schon heute gegen Angriffe der Rechten auf unsere Lebensbedingungen und demokratische Rechte organisieren. 

Diese Perspektive erscheint aktuell noch weit weg, insbesondere weil zur Wahrheit auch gehört, dass die AfD auch unter Gewerkschafter:innen die zweitbeliebteste Partei bei den Europawahlen war. Daher reicht es aber auch nicht, wenn ver.di oder die GEW nur zu den Wochenenddemonstrationen gegen den Parteitag nach Essen mobilisieren. Vielmehr braucht es ein politisches und soziales Programm, was auch Beschäftigte in den Betrieben anspricht, die heute noch nicht bereit sind, gegen die AfD zu protestieren oder sie teilweise sogar wählen. Gegen die Rechte helfen keine abstrakten Appelle zur Verteidigung der Demokratie, sondern wir brauchen einen Kampfplan für die Massen der Arbeiter:innen, der Jugend und der Unterdrückten, ausgehend von den Betrieben, Schulen und Unis. 

Die Antwort auf drohende Kürzungen der Regierungen, müssen drastische Vermögenssteuern für Reiche und Unternehmen sein, um klamme Kommunen, Schulen, Kitas, Kliniken usw. ordentlich auszufinanzieren. Gleichzeitig braucht es eine klare Perspektive gegen die imperialistischen Kriege und die Aufrüstung. Geld für Soziales, Gesundheit und Bildung statt für Kriege. Sowohl in der Ukraine als auch in Gaza, als auch in allen Kriegen weltweit verdienen sich deutsche Konzerne dumm und dämlich. Rheinmetall ist beispielsweise der wichtigste private Rüstungskonzern weltweit in der Ukraine. Um diese Rüstungsspirale zu beenden, müssen Gewerkschaften für einen Frieden kämpfen, der von den Arbeiter:innen der Länder selbstbestimmt verhandelt und nicht von imperialistischen Großmächten diktiert wird. Für die Blockade von Waffenexporten an Israel, an die Ukraine und gegen die Normalisierung der Bundeswehr an Schulen und Universitäten; für ein Ende des Genozids in Gaza.

Wagenknecht und die AfD inszenieren sich als Friedensparteien, letztlich wollen sie den deutschen Imperialismus aber nur anders ausrichten: in Richtung einer Ordnung, wie sie vor dem Ukraine-Krieg existiert hat. Gleichzeitig fordern sie schärfere Abschiebungen, stärkere Grenzkontrollen und mehr Repression gegen Geflüchtete. Wagenknecht tut gerne so, als wäre sie die Partei der „kleinen Leute“. Tatsächlich spaltet ihre Politik die Arbeiter:innen in Deutsche, Migrant:innen, LGBTIQA* und verhindert den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter:innen, egal welcher Ethnie oder welches Geschlecht.

Daher müssen wir in unseren Gewerkschaften dafür kämpfen, die Interessen von Arbeiter:innen aller Geschlechter und Ethnien in gemeinsamen Kämpfen zu vereinen. Dazu gehört unter anderem der Kampf für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, für die volle Anerkennung von Rechten für Transpersonen, für volle Staatsbürger:innenrechte für alle Menschen und offene Grenzen. 

Um diese Perspektive zu erkämpfen, müssen wir uns schon heute organisieren – in Betrieben, an Schulen und an Universitäten. Wir brauchen Vollversammlungen, wo Beschäftigte, Schüler:innen und Studierende einen gemeinsamen Kampfplan gegen die Rechte diskutieren können mit demokratisch verbindlichen Entscheidungen. Aber wir müssen auch in alltäglichen Gesprächen diskutieren und unsere Positionen vertreten, anstatt nach den ersten Gegenargumenten von Kolleg:innen, Kommiliton:innen und Mitschüler:innen direkt aufzugeben.  Die faulen Kompromisse, die viele Linke mit gemacht haben in der Hoffnung, ein paar Krümel mitzunehmen, hat dafür gesorgt, dass am Ende selbst von diesem Krümel nichts mehr übrig war für uns. Sei es bei schlechten Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst, in der Industrie, bei der Post, usw. Eine Alternative zu den bürgerlichen Parteien muss eine mutige und entschlossene Partei sein, die bei jeder Gelegenheit anprangert, was die Regierung treibt, die sich auf der Straßen, an den Schulen, Universitäten und den Betrieben verankert; eine Alternative, die die Parlamente als Bühne für die Interessen der Arbeiter:innenklasse begreift und nicht als nächsten Karriereschritt; eine revolutionär-sozialistische Alternative, die konsequent an der Seite der Arbeiter:innen, Migrant:innen, Queers und allen anderen unterdrückten Gruppen unserer Gesellschaft steht. Dabei orientieren wir uns an unseren Genoss:innen im Spanischen Staat, die mit einem solchen Programm zur Europawahl antraten.

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