Nach Orlando: Schaffen wir zwei, drei, viele Stonewalls!
Im Pride Monat kam ein Schwulenhasser namens Omar Mateen in den Nachtclub Pulse in Orlando und verübte die tödlichste Massenschießerei der US-Geschichte. Überwiegend war es ein Angriff auf schwarze und latinx LGBTI*-Menschen, aber Medien und bürgerliche Politiker*innen bestehen darauf, diesen Angriff als einen des "radikalen Islams" gegen das amerikanische Volk auszulegen.
“Weißt Du, unser ganzes Leben lang haben sie uns gesagt, dass es falsch ist, wie wir sind. Diese Bar ist unser Zuhause. Wir sind eine Familie. Heute Nacht werden wir feiern, wie wir sind. Das ist nicht nur ok, es ist wunderschön.” – Stone Butch Blues, Leslie Feinberg
Um das Massaker im Pulse, dem LGBTI*-Club in Orlando, zu verstehen, müssen wir zuerst begreifen, welche Bedeutung Clubs für die LGBTI*-Community besitzen. Für die von uns, die aufgrund von Homo- und Transphobie kein Zuhause bei unseren Familien finden, die sich nicht sicher fühlen auf den Straßen, ist der Club unser Zuhause. Ein Ort, wo wir uns sicher fühlen können, uns sexy fühlen können, uns frei fühlen können.
Der Club war der Geburtsort unserer Bewegung; der Ort wo wir anfingen uns gegen die homo- und transphoben Polizist*innen zu wehren, die uns einsperrten und vergewaltigten. Der Stonewall-Aufstand fing in der Bar “Stonewall Inn” an und wurde angeführt von nichtweißen Queeren und Trans-Menschen. Er markiert den Beginn der Bewegung für Rechte von LGBTI* – eine Bewegung gegen Polizeigewalt, Homo- und Transphobie.
Für LGBTI* Latinxs ist es besonders schwer, in dieser rassistischen, homo- und transphoben Gesellschaft ein Zuhause zu finden. Wie können wir uns zuhause fühlen, wenn die Länder, aus denen unsere Familien stammen, von der katholischen Kirche dominiert sind? Einer Kirche die unsere Familien überzeugt, dass wir krank seien. Dass uns zu lieben bedeutet, abzulehnen, was wir sind und wen wir lieben. Wie können wir uns in Schwulen- und Lesbenclubs zuhause fühlen, wo weiße Menschen uns wie exotische Raritäten behandeln? Wie können wir uns in einer amerikanischen Gesellschaft zuhause fühlen, die unsere Brüder und Schwestern abschiebt? Einer Gesellschaft, in der ein Präsidentschaftskandidat uns als Vergewaltiger und Kriminelle bezeichnet? Wie können wir uns zuhause fühlen, wo schwarze und latinx LGBTI* so häufig von Diskriminierung bei der Jobsuche, Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit im Niedriglohnbereich betroffen sind? Das Pulse veranstaltete eine Latino Night – ein Abend, der es latinx Queers ermöglichte, auszugehen, zu feiern, sich zuhause zu fühlen. Der es ermöglichte, mit anderen Queers zu der Musik zu tanzen, mit der wir in unseren Elternhäusern aufgewachsen sind.
Diese Nacht des Feierns unserer Identitäten wurde auf die furchtbarste Weise abgebrochen; das Entsetzen des Massakers im Pulse-Cub ist nicht zu beschreiben. Für den Angriff auf alle LGBTI* Menschen an diesem Tag fehlen die Worte.
Der Name des Schützen war Omar Mateen, ein 29-Jähriger afghanischer Abstammung, in New York aufgewachsen. Seit 2007 arbeitete er für das Unternehmen G4S als Wachmann. Laut dem FBI rief Mateen den Notruf und schwor dem IS die Treue. Omar Matee, der offen homophob gewalttätig war, wählte bewusst das Pulse, einen schwulen Nachtclub, um das Attentat zu verüben. Dort erschoss er 50 Menschen, 53 weitere sind verwundet. All das deutet auf ein klares Motiv von Homo- und Transphobie.
Die Medien bemühen sich, das Attentat als terroristischen Akt gegen US-amerikanische Bürger*innen darzustellen, was zu einer Politik wie der nach dem 11. September führen wird. Trump benutzt den Vorfall zur Wiederholung seiner inakzeptablen islamophoben Agenda und fordert ein Einreiseverbot von Muslim*innen. Diese Forderung schürt nur Angst und Rassismus, statt solche Massenerschießungen zukünftig zu verhindern. Denn die Täter sind fast ausschließlich weiße Männer, nicht im Ausland geborene „Terroristen”. Auch Omar Matten wurde in den USA geboren und wuchs hier auf. Er ist ein hauseigenes Produkt der aggressiven Militarisierung, des Patriarchats und der Homophobie der Vereinigten Staaten.
Wenn aber ein Muslim eine Gewalttat auf US-amerikanischem Boden verübt, wird die überwiegende Mehrheit der Muslim*innen Opfer von Gewalt – von verbalen Attacken bis hin zu körperlichen Angriffen. Vom individuellen Rassismus, der Menschen betrifft die „muslimisch“ aussehen, bis zu Untersuchungen des FBI gegen Muslim*innen: Islamophobie tötet. Dieser schreckliche Akt des Hasses darf nicht als Vorwand für fortschreitende Unterdrückung von Muslim*innen und anderen Menschen aus dem Nahen Osten dienen. Es darf kein Vorwand für Überwachung und Haft von Muslim*innen sein, die wir in Folge des 11. Septembers beobachten konnten.
Wir können und wir sollten mit Wut gegen diesen fürchterlichen Akt der Gewalt antworten. Aber diese Wut darf nicht gegen andere Gruppen gerichtet werden, die von der selben Regierung und den selben Reaktionär*innen unterdrückt werden wie wir. Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam gegen Homophobie, Transphobie und Rassismus kämpfen, gegen die Institutionen, die diese Unterdrückung aufrechterhalten.
Wir müssen gegen die Abgeordneten kämpfen, die dafür gestimmt haben, dass Trans-Menschen keine öffentlichen Toiletten benutzen dürfen, im angeblichen Interesse der „öffentlichen Sicherheit“. Wir dürfen Hass und Wut empfinden gegen diese Bestimmungen und gegen die Abgeordneten, die für sie stimmen. Wir müssen die religiösen Führer*innen verachten, die von ihrer Kanzel aus Fanatismus propagieren, ihre Anhänger*innen davon überzeugen, wir wären „unnatürlich“, dass wir krank sind und „zur Hölle fahren“ werden. Wir müssen Trump und seine rassistische Rhetorik verachten. Ebenso wie die Scheinheiligkeit der Demokraten, die unsere Familien und unsere Freund*innen abschieben und im Ausland bomben und töten.
Wir sollten auch all die verachten, die der Aufnahme von Geflüchteten im Weg stehen. Vor allem muslimische Geflüchtete fliehen vor der Gewalt des IS, welcher Produkt der brutalen Zerstörung des Nahen Ostens durch den Imperialismus ist. Wir sollten jene verachten, die Flüchtende im Meer ertrinken oder in Lagern verrotten lassen, wo sie hoffen, ein neues Zuhause zu finden. Dieselben Menschen, die den Geflüchteten die Einreise in die USA verwehren, möchten LGBTI* das Recht nehmen, zu heiraten und öffentliche Toiletten zu benutzen. Die selben Menschen verwehren Latinxs die Immigration.
Unsere Leben zählen nur, wenn sie einer rechten Agenda zur Dämonisierung von Muslim*innen helfen. Queere Leben zählen nicht, wenn wir abgeschoben oder von der Polizei getötet werden. Unsere Leben zählen nicht, wenn LGBTI* Menschen durch die Homo- und Transphobie in unseren Elternhäusern zu 40 Prozent der obdachlosen Jugend werden.
Obama bezeichnete das Massaker von Orlando als einen terroristischen Akt gegen US-amerikanische Staatsbürger*innen. Es ist ein schlechter Witz, wenn es plötzlich heißt Menschen lateinamerikanischer Herkunft wären vollwertige Bürger*innen der Vereinigten Staaten. Für die Polizei, die staatlichen Behörden und jeden*r dahergelaufene*n Rassist*in werden wir niemals vollwertige US-amerikanische Bürger*innen sein, völlig unabhängig von unserem rechtlichen Status. Barack Obama hütet sich davor zu sagen, dass Menschen aus Lateinamerika kommen, um Jobs zu klauen. Er möchte es vermeiden, latinxs Wähler*innen zu verärgern, die in der Demokratischen Partei das kleinere Übel sehen. Trotzdem hat er bis jetzt mehr Migrant*innen abgeschoben als jeder Präsident vor ihm – viele davon illegal eingewandert auf der Flucht vor der Gewalt in ihren Heimatländern, die ein Produkt der imperialistischen Agenda von Demokrat*innen und Republikaner*innen gleichermaßen ist.
Obamas Heuchelei wird offensichtlich, wenn wir uns sein außenpolitisches Vorgehen und die überwältigende Zahl ziviler Opfer des Drohnenkriegs anschauen. Republikaner*innen und Demokrat*innen stehen geschlossen hinter dem außenpolitischen Vorgehen der Massenvernichtung im Nahen Osten. Durch die Jahrzehnte imperialistischer Zerstörung schufen sie ein Massengrab – von dem heutigen Drohnenkrieg bis zu den Sanktionen der 1990er Jahre, den Stellvertreterkriegen und Staatsstreichen im Kalten Krieg.
Während Obama sich für die Rechte der in den USA lebenden LGBTI* ausspricht, gibt er mehrere Millionen Dollar an Unterstützung an Länder wie Saudi-Arabien, in denen LGBTI* mit dem Tode bestraft wird.
Zuhause erfahren LGBTI* begrenzte Anerkennung und Schutz, wenn sie Staatsbürger*innen sind. Im Ausland werden ihre Hoffnungen, ihre Körper, ihre Leben auf dem blutigen Altar US-amerikanischer Interessen geopfert.
Selbst in den USA hält der Staat homophobe Gesetze aufrecht, wie zum Beispiel die Verordnung der FDA, die “Männer, die Sex mit Männern haben” (dies betrifft auch Trans-Frauen) von der Blutspende ausschließt. Während 53 LGBTI* Menschen im Krankenhaus liegen und dringend Blut benötigen, werden Menschen der Community durch diese Gesetze vom Spenden abgehalten. Selbst in solch einer Notsituation der brutalen Gewalt gegen LGBTI* verhindert der Staat, der sich auf die Fahne schreibt uns zu beschützen, solch ein fundamentales Zeichen der Solidarität.
2015 war das tödlichste Jahr für Trans-Frauen in den USA, 2016 begann mit etlichen Morden an ihnen – überwiegend schwarze Trans-Frauen waren die Opfer. Damals gab es keinerlei Bemühungen, diese Welle der Gewalt einzudämmen oder ihre Ursache zu klären. LGBTI* werden ermordet, aber es wird nicht in den Nachrichten berichtet, die Morde werden nicht von Politiker*innen beklagt oder gar registriert. Für die Regierung haben die Leben von LGBTI*, insbesondere der schwarzen, nie eine Rolle gespielt.
Angesichts dieser Tragödie werden manche zu Gebeten aufrufen. Manche werden zu mehr Liebe aufrufen. Manche werden zu Frieden aufrufen. Ich rufe dazu auf, uns zu organisieren – im Geist von Stonewall. Uns zu organisieren mit der Forderung, dass keine*r von uns mehr getötet wird, mit dem Wissen, dass unsere Probleme nicht individuelle Ursachen haben, sondern von der Regierung gestützt werden – von Republikaner*innen wie Demokrat*innen. Ich rufe dazu auf, uns zu verbünden und mit unserer Wut dieses System zu zerschlagen, welches sich nicht dafür interessiert, ob wir leben oder sterben, ob wir frei sind oder im Gefängnis sitzen.
Am 14.6. auf Englisch auf Left Voice.