Nach Nahles‘ Rücktritt: Kommt bald Schwarz-Grün?

03.06.2019, Lesezeit 5 Min.
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Nachdem die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Wochenende von all ihren Ämtern zurückgetreten ist, herrscht Panik in der Sozialdemokratie. Wie geht es weiter mit der SPD und der Großen Koalition? Die Frage von Neuwahlen steht immer lauter im Raum.

Wie ein vorangekündigtes Erdbeben zog sich die Nachricht von Andrea Nahles durch Deutschland. Das Erbeben war zwar nicht besonders überraschend. Der Verschleiß von Parteivorsitzenden ist bei der SPD relativ hoch. Der vorzeitige Rücktritt von Andrea Nahles reiht sich ein in die Geschichte ihrer Vorgänger. In manchen Blättern wird der SPD-Vorsitz gar mit einem Rodeo-Ritt verglichen, dafür hat sich Andrea Nahles sogar vergleichsweise lange gehalten.

Dennoch ist der Rücktritt von Andrea Nahles keiner wie alle anderen zuvor, sondern findet in einer Situation statt, die von immer stärkerer politischer Unsicherheit geprägt ist. Die „Große“ Koalition – also CDU und SPD – haben bei der Europwahl weniger als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Die beiden großen Volksparteien stecken in einer tiefen Krise. Ob sich Annegret Kamp Karrenbauer noch lange als CDU-Vorsitzende halten kann, ist ebenfalls fraglich.

Mit dem Rücktritt von Andrea Nahles wird deshalb auch die Große Koalition in Frage gestellt. Andrea Nahles hatte den Deal einst eingefädelt und dem Koalitionsvertrag eine „sozialdemokratische Handschrift“ gegeben. Mit ihrem Rücktritt werden nun diejenigen Kräfte gestärkt, die schon damals gegen die Große Koalition waren, allen voran Kevin Kühnert.

Klar ist auch: Mit einer Person wie Malu Dreyer kann sich die SPD nicht erneuern, wie immer wieder von Seiten der Parteilinken gefordert wird. Sie steht substanziell für nichts anderes als Nahles oder Giffey. Kühnert hingegen verkörpert den –illusorischen – Ausweg einer linken SPD. Nur ist der mit der Großen Koalition unvereinbar.

Von der Krise der SPD, die in den wenigen Tagen seit der Europawahl in Umfragen noch weiter abgestürzt ist und laut Forsa nur noch auf 12 Prozent kommt, könnten vor allem die Grünen profitieren. Die Partei des grün angestrichenen Kapitalismus positioniert sich als Nachfolgerin der SPD in der Stabilisierung des deutschen Imperialismus und könnte im Falle von Neuwahlen Teil einer schwarz-grünen Koalition werden.

Denn die Krise der SPD ergibt sich nicht nur aus ihren schlechten Wahlergebnissen. Sie ist Produkt der aktuellen weltpolitischen Lage und des fortschreitenden Endes der Post-Jalta-Ordnung. Während das deutsche Kapital einen strategischen Ausweg gegenüber der wachsenden Konkurrenz aus den USA und China sucht – besonders angesichts der bröckelnden EU –, ist die SPD nicht mehr in der Lage, den sozialen Unmut im Inland zu kanalisieren. Als Partei wird sie sukzessive in ihrer Vermittlungsrolle überflüssig, selbst als Grundpfeiler der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie muss sie immer mehr Federn lassen (vorerst nur elektoral, noch nicht strukturell).

Während die Grünen vor allem in Westdeutschland (und in geringerem Maße in ostdeutschen Großstädten) das Erbe der SPD als Stabilitätsfaktor des politischen Regimes antreten, sind die sozialen Verwerfungen in weiten Teilen Ostdeutschlands stärker, wovon vor allem die AfD profitiert.

Vor allem in Görlitz – wo die AfD bald den Bürgermeister stellen könnte – stehen große Schließungen im Raum, die die ganze Region betreffen würden. Siemens und Bombardier wollen ihre Produktion am Standort Görlitz schließen – und was tut die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung? Mit „Verhandlungsgeschick“ konnten sie die Schließung bis 2020 hinauszögern.

Zudem wächst in Ostdeutschland – vor allem in der Automobilindustrie im Raum Leipzig, wo Porsche und BMW mit jeweils mehreren tausend Beschäftigten produzieren – die Unzufriedenheit über die weiterhin bestehende 38-Stundenwoche, während die Kolleg*innen der Metallindustrie im Westen nur 35 Stunden arbeiten. In beiden Fällen sinkt wegen der angespannten Lage am Weltmarkt der Raum für Verhandlungen.

Klar ist, die Krise der beiden großen Volksparteien wird anhalten. Dahinter steht viel mehr als nur ein vorübergehender Einbruch in der Wähler*innengunst. Der Rücktritt von Andrea Nahles wird nur eine erste Erschütterung sein, viele weitere werden folgen. Das alte politische System der BRD zerfällt nach und nach.

Für Linke stellt sich die strategische Frage, eine glaubwürdige Alternative zum „Weiter so“ der SPD-Führung aufzustellen, aber auch zu den illusorischen Hoffnungen in Personen wie Kevin Kühnert. Denn selbst er als Repräsentant des linken Flügels in der SPD steht nicht konsequent für einen Austritt aus der Großen Koalition. Es ist zwar zu begrüßen, dass er die Debatte um die Enteignung von Großbetrieben mit vorangetrieben hat, aber zu verwirklichen ist diese Forderung weder mit einer SPD in der Regierung, noch in der Opposition. Doch auch die Linkspartei profitiert nicht von der Krise, da auch sie – gemeinsam mit der SPD – in Landesregierungen dieselbe Politik umsetzt, für die beide Parteien an den Wahlurnen abgestraft wurden. Eine wirkliche linke Politik im Sinne der Arbeiter*innen ist nur durch den Aufbau einer von allen Varianten der Bourgeoisie unabhängigen Arbeiter*innenpartei.

Ob sich die Große Koalition bis 2021 noch halten kann, ist mehr als nur fraglich. Die CDU-Führung hat bereits ihren Willen zu einer Aufrechterhaltung der Koalition kundgetan. Ob die Große Koalition zerbricht und Neuwahlen anstehen, wird sich darin entscheiden welcher Flügel das von Nahles hinterlassene Machtvakuum füllen wird. Die kommenden Wochen werden also entscheidend sein.

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