Nach der desaströsen TV-L-Einigung: Wie geht es nun weiter?
Die Gewerkschaftsführungen haben im TV-L wieder einmal ein ernüchterndes Ergebnis verhandelt. Statt darauf mit Austritten zu reagieren, wollen wir die Gewerkschaften zurückerobern und unter demokratische Kontrolle stellen.
Nach dem desaströsen Verhandlungsergebnis in der TV-L-Runde ist der Unmut unter den Beschäftigten groß. Die Führungen von ver.di und GEW haben nicht einmal das Mindeste – einen Inflationsausgleich – herausgehandelt. Stattdessen gibt es einen Reallohnverlust und eine enorm lange Laufzeit von 25 Monaten, in der nicht gestreikt werden darf. Auch der geforderte bundesweite Tarifvertrag für studentische Beschäftigte wurde nicht erreicht – nur minimale Lohnerhöhungen im Centbereich.
Bis zum 12. Dezember findet nun eine Mitgliederbefragung statt. Danach entscheidet die Bundestarifkommission final. Sie hat dem Verhandlungsergebnis jedoch schon mit großer Mehrheit zugestimmt und empfiehlt die Annahme. Außerdem ist die Mitgliederbefragung für die Bundestarifkommission nicht bindend.
Der Missmut unter den Beschäftigten ist groß
Unter dem Instagram-Post von ver.di zur erzielten Einigung wurde der Missmut, aber auch die Kampfbereitschaft der Beschäftigten sehr deutlich. Ein Kommentar, der das Ergebnis scharf kritisierte und den eigenen Austritt bei ver.di verkündete, bekam hunderte Likes. Viele fragen sich nun also: Sollte ich angesichts des wieder einmal ernüchternden Ergebnisses aus der Gewerkschaft austreten?
Unsere Antwort darauf ist ein klares Nein. Die Enttäuschung der Mitglieder ist zwar sehr verständlich, jedoch dürfen wir die Gewerkschaften nun auf keinen Fall durch massenhafte Austritte den Führungen überlassen.
Der Verrat der Gewerkschaftsführungen
Denn die Führung und nicht die Beschäftigten sind es, die Erzwingungsstreiks meiden und im Sinne der Bosse faule Kompromisse aushandeln. Die Verhandlungsführung handelt nicht in unserem Interesse. Sie ist eng mit der politischen Führung verbunden. So ist beispielsweise Frank Werneke, der Vorsitzende von ver.di, Mitglied der SPD und hat somit keinerlei Interesse daran, die Regierungsparteien durch einen Erzwingungsstreik in Schwierigkeiten zu bringen. Auch gibt es eine große materielle Trennung zwischen Basis und Führung. Werneke verdient monatlich etwa 15.800 Euro brutto, also fast viermal so viel wie der Durchschnitt eines:r Beschäftigten. Die Gewerkschaftsführung ist also nicht betroffen von dem schlechten Verhandlungsergebnis. In ihrem eigenen Interesse ist es vielmehr, ihre eigene privilegierte Position zu bewahren, die auf der Sozialpartnerschaft mit den Bossen beruht. Deswegen fordern wir einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn für Gewerkschaftsfunktionär:innen!
Für eine Demokratisierung der Gewerkschaften
Dazu kommt, dass die Führung von ver.di und GEW komplett undemokratisch ist. Weder sind die einzelnen Mitglieder von Bundestarifkommission oder Gewerkschaftsführung von der Basis, also den Mitgliedern, gewählt, noch darf die streikende Basis über die Forderungen und Verhandlungen mitentscheiden.
Statt die Gewerkschaften den Führungen zu überlassen, müssen wir also eine große kämpferische Basis in den Gewerkschaften aufbauen, die sich für eine Demokratisierung der Gewerkschaften einsetzt und gegen die Annahme des TV-L-Ergebnisses kämpft. Die Streiks der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es sehr wohl eine kämpferische Basis gibt. Zehntausende Streikende sind für höhere Löhne und Entlastung auf die Straße gegangen – und nicht für einen Reallohnverlust. Wir brauchen Streikversammlungen, wie an der Freien Universität Berlin im Rahmen der TV-L-Runde mit über 100 Kolleg:innen. Auf diesen Streikversammlungen können wir gemeinsam diskutieren, welche Forderungen wir aufstellen, wie wir weiter streiken wollen und welche Tarifabschlüsse wir anzunehmen bereit sind. Die Beschlüsse, die wir dort fassen, müssen für die Tarifkommissionen bindend sein.
Aktuell ist es im Gegenteil so, dass wir nicht einmal wissen, was in den Verhandlungen diskutiert wird. Die Mitglieder der Bundestarifkommission stimmen ohne ein Votum der streikenden Basis ab. Deswegen fordern wir eine Demokratisierung des gewerkschaftlichen Apparats. Das bedeutet, dass die Mitglieder der Bundestarifkommission wie auch die Gewerkschaftsführungen wähl- und abwählbar sind. Außerdem braucht es ein imperatives Mandat. Das heißt, dass die Mitglieder der Bundestarifkommission nur für die Forderungen eintreten dürfen, für welche die Basis vorher abgestimmt hat.
Wie kann es nun weitergehen?
Ein erster Schritt zur Demokratisierung der Gewerkschaften können gemeinsame Betriebsversammlungen sein, in denen wir die Ergebnisse diskutieren und für ein Nein in der Mitgliederbefragung eintreten. Doch das Ergebnis abzulehnen allein reicht nicht aus, da die Mitgliederbefragung für die Tarifkommission nicht bindend ist. Wir brauchen vielmehr eine Urabstimmung und einen Erzwingungsstreik. Alle Mitglieder sollen gemeinsam demokratisch in einer Urabstimmung darüber entscheiden, ob das Ergebnis angenommen wird und ob es unbefristete Streiks geben soll. Zudem müssen die aktuellen Streiks zusammengeführt werden, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, ähnlich wie Ende März beim „Megastreik“ der EVG und ver.di.
Dabei müssen wir die gewerkschaftlichen Kämpfe um höhere Löhne und Entlastung auch als politische Kämpfe führen, die sie im Kern immer sind. Denn während die Verhandlungsführung der Tarifrunde der Länder behauptet, die öffentlichen Kassen seien leer und die Bundesregierung einen Sparkurs im Sozialen und Klimaschutz fährt, findet eine milliardenschwere Aufrüstungskampagne im Inneren und Äußeren statt. Unsere Arbeitskämpfe sind also eng verbunden mit dem politischen Kampf gegen Krieg und Aufrüstung.
Statt die Gewerkschaften den Führungen zu überlassen und die schlechten Ergebnisse hinzunehmen, müssen wir eine antibürokratische und kämpferische Strömung in den Gewerkschaften aufbauen. Das bedeutet, für mehr Demokratie in den Gewerkschaften zu kämpfen, Organe der Selbstverwaltung der Arbeiter:innen, wie die Betriebsgruppe an der FU Berlin, aufzubauen und die Lohnkämpfe mit den politischen Kämpfen gegen die sozialen Kürzungen und die Aufrüstungspolitik der Ampelregierung zu verbinden.