Münster: Warnstreiks im Einzelhandel

24.06.2023, Lesezeit 4 Min.
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Foto: penofoto / Shutterstock.com

1500 Beschäftigte im Einzelhandel demonstrierten gestern in Münster für höhere Löhne. Die Bosse wollen sie mit Einmalzahlungen abspeisen.

Nach und nach strömten die Arbeiter:innen in Grüppchen vor das Münsteraner Rathaus. Sie trugen Banner, auf denen ihre jeweiligen Betriebe vermerkt waren. Es waren Beschäftigte des Einzelhandels und sie kamen gestern aus ganz Westfalen sowie dem nördlichen Ruhrgebiet zur zentralen Streikdemonstration nach Münster. Da waren Beschäftigte von Primark Münster und Essen, von Kaufland in Borken, Bocholt und Münster, von H & M, Marktkauf, TK-Maxx, Galeria-Kaufhof, Edeka, Lidl, Aldi-Nord und von vielen weiteren Betrieben. Fahnen und Wimpel wehten überall. Der Verkehr in der Innenstadt staute sich, LKWs und Busse wurden von den Beschäftigten jedoch mit Laola-Welle durchgelassen. Die Gewerkschaft ver.di erwartete bis zu 1500 Demonstrant:innen in der Provinzhauptstadt.

Die Beschäftigten sind sauer, ihnen werden von der Arbeitgeberseite seit 3 Verhandlungsrunden nur Brotkrumen angeboten: 3% mehr Lohn, das sind nur 52 Cent mehr pro Stunde, und 750€ Einmalzahlung. Zwar wurde in der letzten Verhandlungsrunde am 12. Juni hinzugefügt, dass der Lohn im Mai 2024 um 2% und im Februar 2025 um weitere 2,5% steigen soll, doch die Laufzeit von 24 Monaten wird von allen als inakzeptabel angesehen, insbesondere angesichts einer jährlichen Inflationsrate von über 6%. Die Gewerkschaft hingegen fordert eine Laufzeit von 12 Monaten, eine Erhöhung des Stundenlohns um 2,50 Euro sowie eine Anhebung der Ausbildungsvergütung um 250 Euro.

Die Gewerkschaft verhandelt den Tarifvertrag für insgesamt 517.000 sozialversicherungspflichtige und 197.000 geringfügig Beschäftigte in ganz NRW. Das wäre eine potenziell gewaltige Streikmacht, doch die Gewerkschaftsbürokratie trennt diese Masse auf und lässt nur jeweils einzelne Regionen gleichzeitig zu eintägigen Warnstreiks antreten. Dabei bleiben die Beschäftigten lediglich passive Verhandlungsmasse, sie können selbst nicht über die Dauer und den Zeitpunkt ihres Streiks entscheiden. Das könnte sich ändern, wenn die Gewerkschaft von Warnstreiks zu unbefristeten Streiks übergehen würde. Dann entscheidet die Basis über den Streik mittels Urabstimmung. Sollte sich die Arbeitgeberseite auch in der vierten Verhandlungsrunde am 05. Juli in Düsseldorf weigern, auf die Forderungen der Gewerkschaft einzugehen, braucht es genau so einen unbefristeten und demokratischen Streik. In diesem intensiven Kampf könnten die organisierten und führenden Teile der Belegschaften durch ihr Beispiel nach und nach unsichere und schwach organisierte Bereiche in den Kampf einbeziehen und somit die Durchsetzungskraft der gesamten Bewegung stärken. Dafür bräuchte es aber demokratische Streikversammlungen, in denen Delegierte aus allen streikenden Betrieben die Bewegung demokratisch und von unten koordinieren könnten. Nur so könnte die Zersplitterung der Streiks auf unzählige einzelne Betriebe durchbrochen werden und die ganze potentielle Macht der Arbeiter:innen zur Geltung kommen.

Die Streiks im Einzelhandel fallen in eine Periode, in der nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Streikbewegungen wieder aufleben. Das Vereinigte Königreich erlebte dieses Jahr die größten Streiks seit Jahrzehnten, in Frankreich gingen Millionen Arbeiter:innen gegen Macrons undemokratische Rentenreform auf die Straße und auch in Deutschland gewinnt die Arbeiter:innenbewegung mehr Dynamik als im Vorjahr: allein in der ersten Hälfte des Jahres 2023 sind 500.000 Menschen den Gewerkschaften beigetreten. Es gab große Streikbewegungen im öffentlichen Dienst, bei der Post und bei der Bahn. In diesem Augenblick stimmen die Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) über einen unbefristeten Streik ab. In all diesen Auseinandersetzungen haben die Gewerkschaftsführungen jedoch ihren Widerwillen gezeigt, den Kampf konsequent bis zum Ende zu führen und die Bewegungen in entscheidenden Momenten eher gebremst, als sie voranzutreiben. Das geht letztlich zu Lasten der Beschäftigten.

Um gegen diese Politik der faulen Kompromisse etwas unternehmen zu können, braucht es oppositionelle Strömungen in den Gewerkschaften, die die Führung unter Druck setzen können und sie letztlich der demokratischen Kontrolle durch die Basis unterstellen. Wie wir solche Strömungen aufbauen können, ist eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit. In Münster veranstalteten die Arbeiter:innengruppe “KGK-Workers” und die Studierendengruppe “Waffen der Kritik” am 01. Juli um 19 Uhr im Odak Kulturzentrum, Wolbecker Straße 1 eine Veranstaltung mit dem Titel “Klassenkämpfe in Europa, ein Potenzial gegen die Krise”, wo wir uns genau mit solchen Fragen befassen wollen. Dabei können wir auch aus den verschiedenen internationalen Kämpfen lernen. Alle Menschen sind herzlich eingeladen, dort gemeinsam zu diskutieren.

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