Münster: Schmutzkampagne sorgt für Aufruhr – Ist die Lange Nacht der Bildung antisemitisch?

11.06.2024, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Klasse Gegen Klasse

Die "Lange Nacht der Bildung", die am Mittwoch in den Räumlichkeiten der Universität stattfinden soll, gerät ins Kreuzfeuer. Einige der eingeladenen Redner:innen sind mit Vorwürfen des Antisemitismus konfrontiert. Diese Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen.

Die “Lange Nacht der Bildung” (LNdB) ist ein alljährlicher von den Fachschaften Soziologie und Politikwissenschaften organisierter Bildungsabend an der Universität Münster, welcher das Ziel hat, linke, kritische Perspektiven auf verschiedene gesellschaftliche Themen zu eröffnen, die sonst aus dem Diskurs weitgehend ausgeschlossen bleiben. In diesem Jahr wird es auch eine Veranstaltung über den laufenden Genozid am palästinensischen Volk in Gaza geben. Dies missfällt dem Senat und dem AstA, die krampfhaft versuchen, an der Universität ein Klima des tödlichen Schweigens aufrechtzuerhalten. Beide Institutionen forderten die Organisator:innen auf, ihre Redner:innen auszuladen. Auch die bürgerliche Presse, das “Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG)” und diverse andere politische Organisationen haben Vorwürfe gegen bestimmte Personen auf der Redner:innenliste der „Langen Nacht der Bildung“ erhoben. Ihnen wird „Terrorismusverharmlosung, Juden- und Israel-Hass“ unterstellt. “Lange Nacht des Israelhasses“ oder “Lange Nacht der Verblendung” wurde sie genannt. Es wurde gefordert, die finanzielle Unterstützung zu entziehen und die Räume der Universität für die Veranstaltung nicht zur Verfügung zu stellen. Ein Vertreter des AStA erklärte, dass den Fachschaften eine Durchführung der Veranstaltung untersagt worden sei, sollte keine Änderung der Redner:innenliste erfolgen. Diese Maßnahme folgt einem Beschluss des Studierendenparlaments, der jährlich erneuert wird und darauf abzielt, pro-palästinensische Stimmen zu unterdrücken und die Freiheit des wissenschaftlichen Diskurses einzuschränken. Ungeachtet dessen soll die „Lange Nacht der Bildung“ trotzdem stattfinden.

Verbot unmöglich

Das Rektorat der Universität Münster hält sich dagegen seltsam bedeckt, öffentliche Statements bleiben aus. Es ist lediglich bekannt, dass der Rektor vor wenigen Tagen versucht hat, die Entscheidung über das Stattfinden der LNdB auf den AStA abzuwälzen, vermutlich,um am Ende nicht selbst eine studentische Veranstaltung unterdrücken zu müssen und damit mit peinlichen Bildern in der überregionalen Presse zu landen. Der Schock der Serie von Unibesetzungen in Berlin und anderen deutschen Städten, die viel Kritik am Vorgehen der Unileitungen, der Innenministerien und der Polizei zur Folge hatten, steckt auch dem Münsteraner Rektorat in den Knochen. Während Teile des AStAs lange geglaubt haben, die Veranstaltung könnte verboten werden, und zu Beginn große Töne im Hinblick auf ein Verbot von sich gegeben haben, mussten sie sich inzwischen eingestehen, dass sie die Veranstaltung nicht verbieten können. Vermutlich, nachdem sie sich von einer Jurist:in inzwischen das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit haben erklären lassen. Der AStA Vorsitz tut aber trotzdem alles in seiner Macht stehende, um den Veranstalter:innen zu schaden. Beispielsweise schränkte er die Finanzen und personellen Verfügbarkeiten der autonomen (!) Referate (BIPOC- und FikuS-Referat), die an der LNdB beteiligt sind, ein und versucht, ihnen eine Teilnahme zu verbieten. Die Universitätsleitung hat sich ebenfalls mit der Unmöglichkeit eines Verbots abgefunden, sie werde aber laut eigener Aussage die Veranstaltung “genau beobachten”.

Trotzdem hat die medienwirksame Schmutzkampagne gegen die Organisator:innen der LNdB eine Atmosphäre der Unsicherheit geschaffen und damit die Fachschaften unter Druck gesetzt. Auch der Förderverein des Instituts für Politikwissenschaft, der die Veranstaltung seit Jahren finanziell unterstützte, hat seine Förderzusage für das Event am 12. Juni zurückgezogen. Daraufhin hat die Fachschaft beschlossen, die Veranstaltung dieses Jahr aus privaten Mitteln der aktiven Fachschaftsmitglieder zu finanzieren. Ein starkes Zeichen, welches jede Solidarität verdient.

Haltlose Vorwürfe

Die Vorwürfe gegen die LNdB  sowie gegen die Redner:innen von Organisationen, wie “Revolutionärer Linke”, „Jüdische Stimme für Gerechten Frieden in Nahost“, “Zora”, “Destruktiver Kritik (Gegenstandpunkt)”, “Students for Palestine” dem linken “Manifest Verlag” sowie unserer Hochschulgruppe „Waffen der Kritik“, sind vollkommen absurd. Eine Kritik an der gegenwärtigen Politik der israelischen Regierung, eine Kritik an der Ideologie und Praxis des Zionismus sind nicht per se antisemitisch. Sozialistischen Organisationen, deren Ziel es ist, die nationale Unterdrückung der Palästinenser:innen im Rahmen einer allgemeinen sozialen Befreiung aller Menschen der Region, ob jüdischer oder palästinensischer Herkunft zu realisieren, ohne eine Prüfung ihrer Argumente Antisemitismus vorzuwerfen, zeugt entweder von völliger Unkenntnis der vorgebrachten Positionen oder von bewusster Verläumdung. Das politische Ziel dahinter ist es, dem Staatsterror Israels in Gaza und der ihn bewaffneden Politik der deutschen Bundesregierung ideologische Schützenhilfe zu leisten. Zu diesem Zweck wird gerne die umstrittene Arbeitsdefinition für Antisemitismus der IHRA missbraucht, die aus wissenschaftlichen Kreisen immer wieder für ihre analytische Unschärfe kritisiert wird. Noch absurder erscheinen diese Vorwürfe, wenn man bedenkt, dass nur ein Vortrag des Abends überhaupt das Thema Palästina behandelt. Die bürgerliche Propaganda erweckt fälschlicherweise den Eindruck, die LNdB würde sich ausschließlich auf den Nahen Osten fokussieren. Dabei entblößt sie nur ihre eigene Obsession, damit, bloß keinen Einbruch in der so sorgfältig gezimmerten ideologischen Front zu tolerieren. Dieser Angriff auf eine studentisch organisierte Bildungsveranstaltung ist ein Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit selbst, sie muss dementsprechend verteidigt werden. 

Bereits am letzten Mittwoch wurde beim „Palestine Action Day“, organisiert von der Gruppe „Students for Palestine“ die vortragende Dozentin der Arabistik und Islamwissenschaft Barbara Winkler vom Rektorat unter Druck gesetzt. Sie wollte auf dem Protestcamp erneut einen Vortrag über palästinensische Literatur („Wir haben ein Land aus Worten: Stimmen und Sprachen der palästinensischen Diaspora“) halten. Auch hier wurde die Veranstaltung schon bereits vor ab ohne Belege als antisemitisch eingestuft. Sie wurde daraufhin aufgefordert, die Bewerbung der Veranstaltung aus den sozialen Medien zu entfernen. Doch die haltlosen Einschüchterungsversuche haben viel von ihrer früheren Wirksamkeit verloren. Der wissenschaftliche Vortrag hat trotzdem stattgefunden, sehr zum Missfallen des bürgerlichen Antisemitismusbeauftragten des AStA und des Rektorats.

Pseudo-Linke machen mit

Auch die vermeintlich linke Gruppe „Eklat“ – ein Münsteraner Ableger des „Ums Ganze!“-Bündnisses – und deren Vorfeldstruktur „Plattform Minimum“ –, strebt danach, die Hegemonie der deutschen Staatsräson auch auf dem Campus zu verteidigen. Dabei bedienen sie sich vermeintlich kritischer und aufklärerischer Postings auf Instagram, um die politischen Gruppen, die an der „Langen Nacht der Bildung“ beteiligt sind, mit ihren “Recherchen” zu diskreditieren. Es ist interessant zu beobachten, dass diese Gruppierungen den Vorwurf des Sektenwesens und der verdeckten Aktivitäten gegen die eingeladenen Referent:innen erheben, während sie selbst in den letzten Jahren zu einem bemitleidenswerten Häuflein Ex-Linker zusammengeschrumpft sind und nun vergeblich versuchen, sich mit leblosen Vorfeldstrukturen größer darzustellen. Eine eigenständige „Plattform Minimum“ existiert nicht, sie wird vom selben Personenkreis betrieben, wie andere Eklat-Strukturen, etwa die “Falken Münster” oder der “feministische Streik”. Hinter diesen Aktionen verbirgt sich der Versuch, eine vermeintliche Vielfalt und Breite im Spektrum der “linken” Israel-Solidarität sowie im vermeintlichen Kampf gegen Antisemitismus vorzutäuschen, die es nicht gibt. In der Realität werden pro-israelische Kundgebungen in Münster hauptsächlich vom Staat und von Vertretern des liberal-konservativen bis rechten Spektrums sowie einem sehr kleinen Personenkreis aus dem ehemaligen autonomen Spektrum besucht.

Die “Recherche”, die “Plattform Minimum” über die Gruppen und Redner:innen der „Langen Nacht der Bildung“ angestellt hat, ist äußerst oberflächlich. Die dargebotenen Informationen sind eine Googlesuche entfernt. Der Rest ist alt bekanntes Vokabular. Mit Begriffen wie “Sekte” oder  “Autoritäre Linke” wird um sich geworfen, ohne dass damit irgendetwas gesagt wird. Charakteristisch für solche “Recherchen” ist überdies, dass überhaupt nicht argumentiert wird, warum die “recherchierten” Positionen der betreffenden linken Gruppen zum Marxismus, zur Imperialismustheorie, zur verwendeten Antisemitismusdefinition oder sonstigen Inhalten “problematisch” seien. Es wird einfach davon ausgegangen, dass dem so ist. Eine tragfähige Gegenargumentation, wieso es beispielsweise falsch wäre, im Falle Palästinas von nationaler Unterdrückung im Kontext eines imperialistischen Weltsystems zu sprechen, wird nicht geboten. Dies unterstreicht den völligen theoretischen und politischen Bankrott, den die israelsolidarische “Linke” erlitten hat.

Mafia-Methoden

An anderer Stelle können diese Überreste dieser “linken” Israelsolidarität in Münster jedoch weiterhin großen Schaden anrichten, wie ein Vorfall auf dem Viertelfest in Berg Fidel unterstreicht. Dort wurde eine Person zum Ziel einer haltlosen Diffamierungskampagne, getragen von Aktivist:innen von „Eklat“. Die Person konfrontierte “Eklat” mit ihrer menschenverachtenden Position gegenüber der leidenen Bevölkerung in Gaza und kritisierte die Veranstalter:innen für die Duldung der Anwesenheit von “Eklat” auf ihrem vermeintlich internationalistischen Fest. Eklat reagierte mit Fotografieren und mit Drohungen, die Polizei einzuschalten. Bei unsicherem Aufenthaltsstatus nahm Eklat dabei die Abschiebung ihres Gegenübers in Kauf. Anschließend wurde die palästinasolidarische Person zielgerichtet an der Universität diffamiert, indem persönliche Informationen über sie verbreitet wurden. Das offensichtliche Ziel dahinter ist, die Bewegung fern von der Universität zu halten und ihr den Zugang zu Räumen zu erschweren. Doxxing, das heißt das Veröffentlichen persönlicher Informationen, ist mittlerweile offensichtlich eine zentrale Taktik dieser Gruppe, der keine Argumente mehr bleiben, und offenbart ihren verzweifelten Versuch, die erstarkenden politischen Gegner mit den Mitteln des Staates zum Schweigen zu bringen. Als Reaktion auf den Vorfall wurde auf “Plattform Minimum”  ein anonymes Statement veröffentlicht, das die Person ungerechtfertigt der Aggression, des Antifeminismus und des Antisemitismus bezichtigte – Ein klarer Versuch, von den eigenen rassistischen Positionen abzulenken, den Vorfall zu verdrehen und politisch aktive Personen aus universitären Räumen zu vertreiben. 

Dieser Vorfall steht nicht allein, sondern ist Teil einer beunruhigenden Tendenz. Es unterstreicht die zunehmende Bereitschaft einiger israelsolidarischer “Linker“, zusammen mit staatlichen Strukturen, der bürgerlichen Presse und der CDU gegen Palästinener:innen und ihre Unterstützer:innen vorzugehen, auch mit Mafia-Methoden.

Aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, dass solidarische Strukturen und Organisationen energisch gegen diese Tendenzen vorgehen und die Universitäten zu Orten zu machen, in der linke und kritische politische Positionen ohne Angst und Unterdrückung ausgesprochen werden können. Die „Lange Nacht der Bildung“ bietet die Gelegenheit, genau einen solchen Raum für freien Diskurs und demokratische Diskussion bereitzustellen. Sei Teil dieser Debatte und trage dazu bei, einen Ort für den freien Austausch zu schaffen – komm zur „Langen Nacht der Bildung“ am Mittwoch, den 12. Juni 2024 ins Institut für Politik, Scharnhorststraße 100. Waffen der Kritik wird dort um 20 Uhr ebenfalls einen Vortrag mit dem Thema „Die Welt verändern – aber wie? Reform oder Revolution im 21. Jahrhundert” halten. 

Das weitere Programm findet ihr hier.

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